Am 20. November 2011 erschienen, zirkuliert dieser Brief auch auf Italienisch, Französisch und Englisch. Er dringt in eine Debatte ein, die im deutschsprachigen Raum etwas weniger als in gewissen anderen Ländern, aber dennoch spürbar anwesend ist. Ausserdem vertieft er durch die Kritik einige Ideen bezüglich Informalität und aufständischen Perspektiven…
[Der Brief befindet sich als ausdruckbare Brochüre im Anhang]
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Brief an die anarchistische Galaxie
Ohne Einladung, dringen wir mit diesem Brief in eine Debatte ein, die nicht die unsere ist. Eine Debatte, die nie die unsere sein wird, da sie sich auf einem Terrain abspielt, das uns für die Suche nach aufständischen Perspektiven und damit einhergehenden anarchistischen Ideen und Aktivitäten unfruchtbar scheint. Aber wieso dann, könnte man sich fragen, einen solchen Brief verfassen? Weil es nichts gibt, das unsere Herzen mehr erwärmt, als die befreiende und zerstörende Revolte, als der Kampf für die Subversion des Bestehenden; weil wir uns weiterhin immer in allen Gefährten wiedererkennen werden, die, angetrieben von einem Verlangen nach Freiheit, zum Angriff auf die Strukturen und Menschen der Herrschaft übergehen; weil wir der Kraft des individuellen Willens, der Suche nach Kohärenz und dem Mut, der trotz allem das Feuer an die Lunte zu legen versucht, einen unendlich grossen Wert beimessen. Betrachtet diese Bemerkungen also nicht als einen vergeblichen Versuch, gefällig zu sein; sie sind ehrlich, ebenso wie unsere Besorgnis angesichts der willentlichen Verstümmelung des anarchistischen Kampffeldes.
Lasst uns kein Blatt vor den Mund nehmen: die zerstörerische Intervention der Anarchisten braucht es mehr denn je, und mehr denn je ist heute der Moment, unsere Kämpfe zu intensivieren, uns auf die Suche nach Möglichkeiten und Hypothesen zu machen, die die Revolte ausweiten, den Aufstand möglich machen und somit die Möglichkeit vorantreiben könnten, diese Welt umzuwälzen. Doch dieser Bedarf und dieser Antrieb entheben uns nicht der Notwendigkeit, über das Was, Wo, Wann, Wie und Wieso nachzudenken.
Kommen wir gleich auf den Punkt: welche Beweggründe treiben Anarchisten dazu an (wohl bemerkt, dass sie bei den Autoritären unschwer zu erkennen sind), ihre Aktionen systematisch zu bekennen und sie mit mittlerweile global gewordenen Sigeln zu unterzeichnen? Was macht sie glauben, die schwierige Frage der Perspektiven durch ein ins Internet gestelltes oder den Medien zugeschicktes Bekennerschreiben lösen zu können? Was treibt sie dazu an, zu glauben, dass sich heute auf einen solchen Weg zu begeben mit einer tiefen Form von Kohärenz zwischen Denken und Handeln, zwischen Ideen und Praktiken verbunden sei, während es sich dabei vielmehr um eine illusorische Auflösung der permanenten Spannung zwischen Theorie und Praxis handelt, jener Spannung, die da sein müsste und die die antreibende Kraft hinter dem anarchistischen Kampf ist?
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