FERMENTO: Veranstaltungsprogramm August-September

AnsichtVeranstaltungsprogramm vom August-September
in der anarchistischen Bibliothek FERMENTO

(Diesmal mit einer Rezension des Buches „Hau ab, Mensch“ von Xosé Tarrio. Diese Rezension befindet sich am Ende dieses Artikels
Die beiden Texte für die Textdiskussionen können hier und hier heruntergeladen werden.)

 

Apokalyptische Perspektiven
Textdiskussion
Sa, 25. August, Ab 20:00

Stein um Stein, Kämpfen gegen das Gefängnis und seine Welt (Belgien 2006-2011)
Buchpräsentation, Film, Diskussion
Sa, 1 September, Ab 19:00

Abendessen (Gegen Spende zur Unterstützung der Bibliothek)
Mi, 5. September, Ab 20:00

Diskussion über den Einladungstext zum internationalen anarchistischen Treffen vom 10.-13. November 2012 in Zürich
Sa, 8. September, Ab 19:00

Die flammende Revolte vom November 2005 in Frankreich und die insurrektionelle Hypothese
Textdiskussion
Mi, 19. September, Ab 20:00

Ein neues Polizei- und
Justizzentrum in Zürich
Präsentation und Diskussion
Sa, 29. September, Ab 19:00

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Öffnungszeiten

Mittwoch: 17:00 – 21:00
Samstag: 14:00 – 19:00

Rosengartenstrasse 10, 8037 Zürich

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Für Kontakt, Fragen, oder um über Veranstaltungen informiert zu bleiben:

bibliothek-fermento@riseup.net
www.fermento.noblogs.org

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Apokalyptische Perspektiven

Dieser Text befindet sich in der Brochüre, die die Diskussionsbeiträge zum internationalen Treffen unter Anarchisten und Anti-autoritären im Oktober 2011 in Brüssel zusammenfasst. Diese Broschüre ist im Fermento erhältlich, der Text befindet sich auch auf unserer Internetseite. Folgend einige Auszüge:

 

«Die revolutionäre Frage ist eine mehr oder weniger klare Bruchlinie innerhalb der internationalen anarchistischen Bewegung, an einigen Orten mehr als anderswo. Da gibt es einerseits DIE Revolution, das Trugbild einer fernen Oase, für die wir die Zeit hätten, mehrere Male vor Durst in der Wüste zu sterben, bevor wir von ihr irgendetwas Handfestes erreichen. Es gibt diese Vorstellung der Revolution als ein friedlich zu erreichendes Ereignis, da sie sowieso nicht von unserem Handeln abhängt, sondern von einem Erwachen der Massen. Für die Revolutionäre dieser Gattung sind die Bedingungen für die Revolution nie wirklich beisammen, und jegliche Art von Offensive, die nicht von der „Masse“ ausginge, sei das Produkt einer unangebrachten und avantgardistischen Ungeduld, die sich an die Stelle der Sprache und der Akte der wirklichen revolutionären Subjekte stelle, die nämlich nicht die Revolutionäre seien…

Auf der anderen Seite gibt es ein roher Anti-Revolutionarismus, der die Revolutionäre dazu antreibt, nichts anderes zu tun, als zu warten, die Revolte hinauszuzögern und jene, die es danach verlangen, davon abzuhalten, die Anarchie hier und jetzt zu leben. Im Grunde ist die Revolution als ein konkretes Ereignis eine Art Wunder, auf das man hofft, das aber niemals kommt, ein fernes Paradies. […]

Irgendwo auf dem Podium spaziert auch die Idee eines Systems, das von selbst, unter der Last seines Verschleisses zusammenbrechen würde. Der unausweichliche Zusammenbruch des Kapitalismus der Marxisten, der im Anbruch des 21. Jahrhunderts und seiner ökonomischen, sozialen und ökologischen „Krisen“ neu interpretiert wurde. […]

Diese Vorstellung von einer Revolution, die sich ganz alleine, ohne uns, ohne mich und irgendwie unter dem Druck der sich selbst zerstörenden alten Welt, verwirklichen würde, bietet als unmittelbare Perspektive nur das Warten. […]

Es versteht sich von selbst, dass diese Vorstellung […] die insurrektionelle Notwendigkeit überflüssig macht, während sie nur dem Unterdessen, dem Defensiven Platz übrig lässt. »

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Stein um Stein, Kämpfen gegen das Gefängnis und seine Welt (Belgien 2006-2011)

Fünf Jahre Unruhen in den belgischen Gefängnissen. Fünf Jahre Revolten, Meutereien und Ausbrüche. Fünf Jahre Agitation, Aktionen und Angriffe gegen das Gefängnis und seine Welt. Fünf Jahre Schmerzen, Isolierung, Bestrafungen, Prügel und auch Tote. Fünf Jahre Worte, die auf die Freiheit hinweisen und die notwendige Zerstörung von allem, was ihr im Weg steht, als Konsequenz aufstellen. Fünf Jahre ohne geradlinige Flugbahn, ohne andere Logik, ohne anderen Rhythmus als die Pulsierungen des Lebens selbst und des Kampfes für die Freiheit, zu dem es anregt. Dieses Buch wird also gezwungenermassen nur ein Versuch sein, eine lebendige Kraft zu teilen, die so viele Gefangene von Drinnen und Draussen, so viele Gefährten, so viele Unbekannte und Anonyme ermutigt hat, gegen die Gefängniswelt zu kämpfen. »

 

Dieses Buch, das Kameraden aus Belgien vor kurzem veröffentlicht haben, wird bald in einer gekürzten Fassung auch auf Deutsch erscheinen und soll an diesem Abend im „Fermento“ vorgestellt werden. Ein Buch, das nicht nur von der Entwicklung der Bedingungen in den belgischen Gefängnissen, von den zahlreichen Unruhen, den Massenausbrüchen und individuellen Revolten erzählt, die in diesen fünf Jahren aufeinanderfolgten, sondern vor allem auch von einer lebendigen Dynamik zwischen einer agierenden anarchistischen Präsenz und der sozialen Konfliktualität. Einer anarchistischen Präsenz, die beständig nach Wegen sucht, in erster Person zu handeln, ausgehend von den eigenen Ideen zu intervenieren, und dennoch, durch Worte und Taten, in Kommunikation mit anderen Rebellen zu bleiben. Dieses Buch erzählt uns vor allem, wie sich eine eigene Projektualität, mit einer gewissen Klarheit und Entschlossenheit, nur durch eine kontinuierliche Spannung zwischen Experiment, Erfahrungen und Reflexion entwickeln kann.

 

Am Anfang, vor der Buchvorstellung, werden wir den Kurzfilm zeigen, den wir vergangenen Juli aufgrund von unglücklichen Umständen nicht zeigen konnten. Der Kurzfilm handelt vom Isolationsregime im belgischen Gefängnis von Brugge und vom Kampf gegen die Gefängnisse in Belgien.

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Samstag, 8. September, 19:00

Diskussion über den Einladungstext zum
internationalen anarchistischen Treffen
vom 10.-13. November 2012 in Zürich

Der Einladungstext ist im Fermento erhältlich

An diesem Treffen im November wird an zwei Tagen, ausgehend von den Fragen, die in dieser Einladung aufgeworfen werden, eine Diskussion über die Möglichkeiten der anarchistischen Intervention stattfinden, basierend auf einer Analyse der laufenden Veränderungen auf internationaler Ebene. An den darauf folgenden zwei Tagen besteht offener Raum für weitere Diskussionen.

Wir wollen bereits im Voraus unser Verständnis vergrössern, unsere Ideen klären und diese Fragen vertiefen.

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Die flammende Revolte vom November 2005 in Frankreich und die insurrektionelle Hypothese

Dieser Text stammt aus der 3. Ausgabe der internationalen anarchistischen Zeitschrift „A Corps Perdu“, die im Fermento erhältlich ist. Der Text befindet sich auch auf unserer Internetseite. Folgend ein kurzer Auszug:

 

«Als [die von den französischen Banlieues ausgehende Revolte vom] November 2005 ausbrach, hinterließen die hitzigen Debatten unter Kameraden über die verschiedenen zu führenden Interventionen bei uns oft den Eindruck einer kollektiven Ohnmacht. [Sie war vor allem] das Produkt des Gefühls, im Abseits zu stehen, mit dem sich damals das gesamte anti-autoritäre Milieu konfrontiert sah: ein Milieu, dessen Bezug zu den Unruhen eher spektakulär als praktisch war, und das einer bewegungsorientierten Konzeption der Revolte verhaftet war, das heißt, einer Suche nach Subjekten, denen man sich anschließen kann. Als ob eine Revolte in der Zeit festgeschrieben oder in ihren Formen und unmittelbaren Zielen erstarrt wäre, und vor allem, als ob sie nicht auch die Frucht all jener wäre, die sich entscheiden, sie zu nähren, fern von jeglichem Determinismus, der quasi soziologisch daherkommt. Und als ob sich die Komplizenschaften nicht ebenso unterwegs, im Innern der Konfliktualität knüpfen könnten.

Wieso ist es angesichts einer Situation sozialer Revolte, deren Ausmaß (durch Dauer, Breite oder Formen) ganz neue Möglichkeiten eröffnet, nicht vorstellbar, anstatt sie wie Insektenforscher untersuchen zu wollen (wer beteiligt sich, auf welchen Grundlagen, um was zu tun?), einfach das willkommen zu heißen, was uns darin anspricht, das, worin wir uns wieder erkennen? Nicht um uns unkritisch mit mystifizierten „Wütenden“ oder „Revoltierenden“ dort zusammenzutun, wo sie sich bereits befinden, sondern um den Bruch mit der Normalität dort zu verstärken und den Ausdruck davon dort zu vertiefen, wo wir uns befinden. Dies vorausgesetzt, was wollen wir wirklich (jenseits der klassischen Parolen), und was sind wir bereit dafür Nacht für Nacht und Tag für Tag zu tun? Wie können wir aus dem Innern der Revolte, wenn nicht gemeinsame Orte, so zumindest eine Dialektik entwickeln, die unter denjenigen ist, die sie vorantragen, reich an Versprechen und Komplizenschaft ist? Dies sind einige der Überlegungen, die (abgesehen von begrenzten Affinitätsgruppen) nur allzu selten in die Diskussionen unter Gefährten vorgedrungen sind, selbst als es offensichtlich wurde, dass dieser riesige Brand nicht so bald erlöschen wird. »

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Ein neues Polizei- und
Justizzentrum in Zürich

Der Bau eines neuen Polizei- und Justizzentrums (PJZ) in Zürich ist nun definitiv lanciert. Laut Plan soll der alte Güterbahnhof im Jahr 2013 abgerissen werden, damit 2014 mit dem Bau begonnen werden kann. Dieser glasige Riesenkomplex, ganz nach dem modernen Antlitz der anderen Projekte, die entlang der Neufrankengasse aus dem Boden schiessen, wird 30 bestehende Polizeikommissariate, verschiedene Strafverfolgungsbehörden und ein 300 Plätze fassendes Gefängnis in sich zusammenfügen. Ein möglichst effizienter Strafkomplex also, gleich neben dem Quartier, in dem sich vielleicht die meisten sozialen Spannungen und Probleme in Zürich konzentrieren. Ein Quartier, militarisiert von Polizeipatrouillen, in dem die Wut gegen die Kontrollen und Erniedrigungen schon lange unter der Oberfläche brütet…

An diesem Abend wollen wir uns in einer kurzen Präsentation und einer anschliessenden Diskussion mit dem PJZ auseinandersetzen, während wir von einer Kritik ausgehen, die nicht getrennt ist von einer Kritik an den Gefängnissen als solche, das heisst, an der Logik von Autorität, Strafe und Justiz. Wir wollen gemeinsam unser Verständnis der Funktion dieses Projektes und des sozialen Kontextes vertiefen, in den es sich einschreibt: die steigende Verarmung und soziale Delinquenz, die wachsende Migration, den Ausbau und die Zentralisierung des Strafapparates, die chronische Überbelegung und die Spannungen in den schweizer Gefängnissen und Zentren für Migranten, die Stadtentwicklung in Zürich, usw.

Welche Interessen liegen hinter diesem Projekt? Welches sind die Verantwortlichen? Worauf stützt sich der Diskurs der Regierenden? Wie können wir in einem Kampf gegen dieses Projekt anarchistischen Ideen Präsenz verschaffen? Welche Spannungen umgeben das Projekt bereits und welches soziale Konfliktpotential könnte sich entwickeln? Wie könnte es geschürt werden?

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Auszüge und
Rezensionen

Hau ab, Mensch!

Xosé Tarrio

 

« Das Buch, das du in den Händen hältst, ist […] die Geschichte einer Gruppe libertärer Gefangener der Gesellschaft, die wir uns auf diffuse Weise in der Folge bestehender Freundschaften zu organisieren versuchten, um mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln gegen ein irrsinniges System zu kämpfen, das dazu gemacht ist, jeden Menschen zu entpersönlichen und zu zerstören.“ […] „Wir, Xosé, Patxi, Paco und so viele andere, mussten lernen, in diesen fürchterlichen „Sonderabteilungen“ zu überleben, wo wir vom Rest der inhaftierten Bevölkerung getrennt gehalten wurden. Wir lernten, dass Rebellion oder Tod die Alternative war, die uns blieb. Und wir rebellierten. »

Gabriel Pombo da Silva,
aus der Einleitung zum Buch

 

Der Kampf gegen Autoritäten ist eine Frage der Würde. Nichts geht deutlicher aus diesem Buch hervor, als diese Bekräftigung. Die Revolte, im Fall von Xosé Tarrio oft individuell und unter widrigsten Bedingungen, ist nichts anderes, als der Puls, der uns zeigt, wie sehr wir noch am leben sind. Der Lebenspuls von Xosé, der in einem kleinen spanischen Städtchen aufwuchs, liess nicht zu, das Elend zu akzeptieren, in das ihn diese Gesellschaftsordnung zwingen wollte, und er entschied, sich den Reichtum dort zu holten, wo er zu Genügen vorhanden war. Während er schon seine Jugend in Zwangsanstalten verbrachte, begann also bald sein Parcours durch die spanischen Gefängnisse, in denen er ein Grossteil seines Lebens verbrachte. Sein Buch, das er auf diesem Parcours Papierfetzen für Papierfetzen aus dem Gefängnis schmuggelte, verschafft uns ein Bild von einer Realität, die kaum zu unseren Sinnen dringt. Zumindest, wenn wir sie nicht selbst erlebten: das Leben im Innern der Gefängnisse und ihren Isolationstrakten, im Fall vom Xosé, im spansichen FIES-Haftregime. Wovon dieses Buch aber vor allem spricht, das ist eine Art und Weise, das Leben anzugehen, eine offene Feindschaft gegen­über jeder Art von Autorität und jeder Form von Einsperrung. Und wer wüsste besser, was die Einsperrung bedeutet, als eine Person, die sie in ihren tiefsten Abgründen erfahren hat? Wer wüsste besser, die Freiheit zu lieben, als jemand, der ihr dermassen enteignet wurde? Dies sind die Worte von Xosé Tarrio, als er nach einem gelungenen Ausbruch einige Tage im Freien verbrachte:

« Ich war frei. Nach vier Jahren ununterbrochener Isolation, eingesperrt in kleine Räume aus Beton, füllten sich meine Lungen jubelnd mit frischer Luft. Meine Augen, gestraft vom Kalkweiss der Wände und dem tristen Grau der Mauern, genossen wieder Bäume und Vögel, die umherflogen und ihr Nest suchten, um sich zur Nachtruhe zu begeben. Die Nacht erlöste uns, süsser als ich je geträumt hatte, von der Hitze des Tages. Dieses Wiedersehen mit der Natur, war wie die Schönheit einer Blume auf sich wirken zu lassen, vor ihr stehenzubleiben, um zu betrachten, wie sie delikat Farbe und Parfüm versprühte. Wie konnte man eine Person in eine kalte drei Quadratmeter grosse Zelle sperren und ihr jahrelang das alles vorenthalten? Was war unter dem Strich das schlimmste Verbrechen, einen Menschen mit solcher Grausamkeit zu bestrafen oder ein einfacher Raub eines Gutes, einer Sache, deren Tageswert am Markt ermittelt wird? Erst in diesem Moment verstand ich den Schmerz wirklich, den sie mir zugefügt hatten, nicht nur wegen meiner Gefangenschaft, sondern weil diese Gefühle in mir abgestorben gewesen waren. Das Gefängnis war so bösartig und widerwärtig wie das schlimmste Verbrechen, das man verüben konnte. Es wurde allerdings im Namen von Justiz und Gesellschaft verübt. »

 

Xosé beschreibt nicht die Abgründer Gefängniswelt, um besser belüftete Zellen zu fordern. Er stellt die Frage des Gefängnisses auf die einzige Weise, die Sinn macht: indem er die Gesellschaft kritisiert und bekämpft, die es nötig hat. Eine Welt der Freiheit kann nur eine Welt sein, welche die Prinzipien von Kontrolle, Strafe und Justiz zu zerstören weiss, um in den Individuen das Gefühl von Souveränität und zwischen ihnen das Gefühl von Solidarität zu beleben. Denn diese ersteren Prinzipien verwandeln diese Welt in ein Gefängnis unter offenem Himmel, in dem wir alle, je nach Unterwürfigkeit, an mehr oder weniger langen Ketten gehalten werden. Und in diesem Sinne könnten die folgenden Worte von Xosé Tarrio ebensogut von irgendwem stammen, ob innerhalb oder ausserhalb der Mauern, der nicht beabsichtigt, sich von dieser Welt erdrücken zu lassen:

« Ich werde nicht zulassen, dass sie meine Gefühle und Gedanken abtöten, ich werde meine Schreie nicht verstummen lassen und nicht mein kindliches Gefühl und nicht die Freiheit, die ich in mir strömen fühle. Ich werde nicht zulassen, dass sie meine Werte mit Lügen erdrücken: Sie sind mein Salz des Lebens, meine Nahrung. Ich bin kein Wimmern: Ich bin Kriegsgeschrei aus der unendlichen Dunkelheit und Tiefe des Gefängnisses. »

 

Dieses Buch kann im Fermento ausgeliehen werden.

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