Bibliothek FERMENTO: Monatsprogramm Juni-Juli

Voilà, das Monatsprogramm für Juni bis Juli. Es ist wieder zusammengestellt aus kleinen Artikeln zur Beschreibung der Veranstaltungen und aus Auszügen aus Texten, die wir diskutieren wollen. Zusätzlich enthält es eine kurze Rezension eines Buches, das im Fermento ausleibar ist, diesmal: „Der Einzige und sein Eigentum“, von Max Stirner. Wir hoffen auf weitere hitzige und ruhige, kontroverse und ermutigende Diskussionen…

Veranstaltungen
Juni-Juli
2012

Abendessen
(Gegen freie Spende zur Unterstützung der Bibliothek)
Mi, 6. Juni, Ab 20:00

Löwenzahn
Präsentation und Diskussion über die Zeitung „Löwenzahn“
Mi, 13. Juni, Ab 20:00

Edizioni Anarchismo
Vortrag über den italienischen Verlag, die gleichnamige Zeitschrift und deren Diskurse. Italienisches Essen gegen Spende zur Unterstützung des Verlags.
Sa, 16 Juni, Ab 19:00

Anarchie (von Errico Malatesta)
Textdiskussion
Mi, 20. Juni, Ab 20:00

Abendessen
Mi, 4. Juli, Ab 20:00

Kurzfilm gegen die Gefängnisse
Über das Isolationsregime in Belgien und den Kampf gegen die Gefängnisse. Anschliessend Diskussion.
Sa, 7. Juli, Ab 20:00

14 Punkte über die Insurrektion
Textdiskussion
Mi, 18. Juli, Ab 19:00

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Löwenzahn

(Präsentation und Diskussion, 13. Juni, 20:00)

Löwenzahn ist eine Zeitschrift, die im Januar 2012 zum ersten Mal in der Schweiz erschien. Ihr Schwerpunkt liegt vor allem auf Themen rund um Migration und die Ausschaffungsmaschinerie, es wird aber auch über anderes berichtet, was am Herzen liegt, und auch Nachrichten über aktuelle Entwickungen und Revolten finden ihren Platz. Die Zeitschrift soll nicht nur informieren, sondern mit dem Kampf für die Freiheit verbunden sein.
Bislang sind zwei Ausgaben erschienen, die jeweils auf der Strasse verteilt, und an verschiedenen Orten aufgelegt werden. Dabei gibt es von der ersten Ausgabe eine deutsche und eine englische, und von der zweiten zusätzlich auch eine französische Version.
Aus dem Editorial:
« In der ganzen Welt verbreitet, wächst der Löwenzahn nicht nur auf Wiesen und an Wegrändern, er schlägt seine starken Wurzeln auch in Brachflächen, Schutthalden und in jede Mauerritze. Als Heilpflanze vermag er belastende Stoffe aus dem Körper zu leiten, welche uns träge machen, lähmen und langsam vergiften können. Mit dem bitteren, weissen Saft, welcher in jeder einzelnen Ader seines Pflanzenkörpers fliesst, verteidigt der „Zahn des Löwen“ sein Leben gegen alles was ihn zu vernichten droht. Trotzend erblüht er leuchtend Gelb in jeder noch so öden und lebensfeindlichen Umgebung. Mit dem Wind schickt dieses Wildkraut eine Samen aus und lässt sie fliegen wie Gedanken, welche die Idee einer anderen Welt in sich tragen, auf dass sie sich über weite Gebiete verbreiten, sich in allen Ritzen niederlassen und mit der Kraft der reifenden Früchte die Mauern dieser Welt zu sprengen vermögen. »
Einige Gefährten werden dieses Projekt vorstellung und wir wollen uns Zeit nehmen, um über die Zeitung, über bereits publizierte Artikel oder über die Thematik der Migration an sich zu diskutieren.
[alle Ausgaben der Zeitung „Löwenzahn“ sind in der Bilbiothek Fermento erhältlich.]

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Edizioni Anarchismo

(Essen, Vortrag und Diskussion, 16. Juni, 19:00)

Bereits seit einigen Jahrzehnten trägt der italienische Verlag Anarchismo theoretisch und praktisch zur Kontinuität und Entwicklung einer revolutionären Perspektive innerhalb der anarchistischen Bewegung bei.
Es wäre sicher falsch, die Arbeit dieser Kameraden nur nach der enormen Menge an Revues, Zeitungen, Broschüren und Büchern, die von ihnen publiziert wurden, zu beurteilen. Denn die Quantität, abgesehen davon, dass sie uns über eine Konstanz und Hartnäckigkeit im Vorantragen eines Projektes informiert, sagt sehr wenig über ebendieses aus.
Wir denken, dass der Wert der Arbeit, die die Kameraden der Edizioni Anarchismo vorangetragen haben, in der Qualität ihrer Beiträge zur revolutionären Bewegung durch Analysen, Kritiken und Vorschläge liegt.
Was die Projektualität und die Inhalte betrifft, reicht es, die Verleger selbst zu zitieren:
« “Anarchismo“ hat […] einen projektbezogenen Diskurs vorangetragen, der nach der permanenten Konflikthaltung, der Autonomie in der Aktion und dem Angriff ausgerichtet war. Die kleinen, auf dem Gebiet verstreuten Angriffe stellten und stellen weiterhin den Vorschlag einer Methode dar für jene, die, angetrieben von einer Situation der Unterdrückung und des Unwohlseins, autonom entscheiden, sich aufzulehnen, während sie sich weigern, die praktische Realisierung von diesem Bedürfnis an irgendeine autoritäre, institutionelle oder angeblich revolutionäre Struktur zu delegieren. »
Heute fehlt leider das Geld, um weitermachen zu können, und deshalb ist die Publikation von mehr als 50 Broschüren und Büchern blockiert. Aus diesem Grund denken wir, dass es wichtig wäre, sie zu unterstützen.
An diesem Abend werden Gefährten einen Vortrag halten über den Verlag, die gleichnamige Zeitschrift und deren Diskurse seit 1975. Wir werden für reichlich Essen sorgen (aus italienischer Küche selbstverständlich) und hoffen, somit einige Spenden weiterleiten zu können.

[Eine umfassende Auswahl der Publikationen von Edizioni Anarchismo befindet sich im Fermento und kann ausgeliehen werden.]

Einige Worte der Edition selbst:

Edizioni Anarchismo

1975-2012
NOCH NICHT

« Wir sind noch nicht bereit, anzuhalten. Trotz allem und gegen alles, wollen wir mit unserem Verlag weitermachen.
An Ideen mangelt es uns nicht, und ebensowenig an praktischen Projekten. […] Schliesslich mangelt es nur an einem klitze kleinen Detail, an einer Lappalie, einer unbedeutenden Sache, die aus den Augen zu schaffen, uns nicht so gut gelingt. Das Geld.
Unglückliche Missgeschicke, die allen leider bekannt sind (z.B. die Verhaftung von Alfredo und Christos im Oktober 2009 nach einem Banküberfall – Anm. d. Ü.), haben uns zu Boden gedrückt. Wir könnten uns durchschlagen, vielleicht von Zeit zu Zeit einige kleine Fetzen herausgeben. Doch die Masse an vorbereiteten Werken ist so gross, dass wir verpflichtet sind, bei den Gefährten um Hilfe zu fragen, bei allen Gefährten, die uns in diesen letzten fünfundreissig Jahren begleitet haben, ob geliebt oder gehasst, dass ist unwichtig.
Eine Spendenaktion?
Nennt es wie ihr wollt.
In äussersten Fällen könnte dieses Geld als ein Vorschuss betrachtet werden für die künftigen Bücher und Broschüren, die wir drucken werden. In diesem Fall würden wir die Bücher, sobald sie publiziert werden, nach und nach direkt zuschicken, bis die Beitragssumme erreicht ist.
Jeder Beitrag ist willkommen. Natürlich nehmen wir konsistentere Summen lieber entgegen, aber wir weisen die kleineren nicht zurück.
Macht schliesslich, wie ihr wollt, aber macht etwas. Zumindest für den, der diese bedauerliche Notiz schreibt, drängt die Zeit. »

für Edizioni Anarchismo,
Alfredo M. Bonanno

www.edizionianarchismo.net
edizionianarchismo@gmail.com
(Benachrichtigen bei Überweisung!)

c/c postale n° 23852353
Adressiert an: 
A. Medeot – C.P. 3431 – 34128 Trieste
IBAN: IT77 L076 0102 2000 0002 3852 353
Cod.
BIC/SWIFT: BIPPIITRRXXX
CIN:
L   |   ABI: 07601   |   CAB: 02200
N. CONTO: 000023852353

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Anarchie
Errico Malatesta

(Textdiskussion, 20. Juni, 20:00)

Dieser Text wurde 1885 von dem italienischen Anarchisten Errico Malatesta geschreiben. Der ganze Text ist als Brochüre im Fermento erhältlich. Folgend ein Auszug:

«Anarchie ist ein griechisches Wort und bedeutet: Ohne Herrschaft. Es bezeichnet also den Zustand, in welchem ein Volk ohne festgesetzte Obrigkeit, ohne Regierung seine Angelegenheiten selbst besorgt.
Ehe denkende Menschen diesen Zustand als möglich und wünschenswert erkannt haben, ehe derselbe das Ziel einer Bewegung wurde, die seitdem einer der wichtigsten Faktoren im sozialen Kampfe ist, fasste man das Wort „Anarchie“ allgemein als Unordnung, Konfusion auf; und es wird noch heute so aufgefasst von den unwissenden Massen, und von unseren Gegnern, in deren Interesse es liegt, die Wahrheit zu verheimlichen.
Wir wollen hier nicht in das Gebiet der Sprachwissenschaft abschweifen, denn die Frage ist keine sprachwissenschaftliche, sondern eine geschichtliche. ― Die allgemein angenommene Bedeutung des Wortes fasst den wirklichen, sprachlich begründeten Sinn desselben ganz richtig auf; das Missverständnis entsteht aus dem Vorurteile, dass die Regierung, die Herrschaft notwendig zum Bestehen des gesellschaftlichen Lebens ist, und dass in Folge dessen eine Gesellschaft ohne Herrschaft der Unordnung anheimfallen muss, und zwischen der Allgewalt der Einen und der blinden Rache der Anderen hin und herschwanken wird.
Es ist leicht erklärlich, wie dieses Vorurteil entstanden ist, und wie dasselbe die Bedeutung des Wortes Anarchie in der Auffassung der Massen beeinflusst hat.
Wie alle Tiere, passt sich der Mensch an und gewöhnt sich an die Verhältnisse, in denen er lebt; und die angenommenen Gewohnheiten vererbt er auf seine Nachkommen.
Der Mensch, der in Sklaverei geboren und aufgewachsen ist, und von einer langen Reihe von Sklaven abstammt, glaubte, als er anfing zu denken, dass die Sklaverei ein unvermeidlicher Zustand des Lebens sei; die Freiheit erschien ihm unmöglich. So geht es auch dem Arbeiter; seit Jahrhunderten ist er gezwungen, die Arbeit, das heisst das Brot, von der Laune eines Herren zu erwarten; er ist daran gewöhnt, dass er fortwährend von der Gnade dessen abhängt, der den Boden und das Kapital besitzt; und am Ende giaubt er, dass es der Arbeitgeber ist, der ihm zu essen gibt. In seiner Leichtgläubigkeit sagt er: „Wie würde ich denn leben können, wenn es keine Herren gäbe?“
So würde es einem Menschen ergehen, dessen Füsse seit seiner Geburt gefesselt wären, aber so dass er doch ein wenig gehen könnte; er würde vielleicht sagen, dass er sich darum bewegen kann, weil er Fesseln anhat, obgleich im Gegenteil die Fesseln ihn am freien Bewegen hindern. »

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Kurzfilm gegen die Gefängnisse

(Film und Diskussion, 7. Juli, 20:00)

Der Film wird auf Französisch sein, mit deutschen Untertiteln. Folgend eine Beschreibung der Gefährten aus Belgien:

I m Juni 2008 wurde in dem Gefängnis von Bruges, in Belgien, ein Isolationmodul geöffnet. Es war die Antwort des Staates gegenüber den 
    zahlreichen Rebellionen, Ausbrüchen, und Unruhen, die so einige Herzen innerhalb sowie ausserhalb des Gefängnis erwärmt haben.
Der Hochsicherheitstrakt (QHS): Sechs gerade das Nötigste enthaltende Einzelzellen, zwei Bunker, etwa vierzig Gefängniswärter und „Weisskittel“ – Ärzte, Psychiater, Psychologen, Krankenpfleger. Der Zweck: die aufsässigen Häftlinge zu brechen. Der Staat setzt dort ein strenges Regime durch, indem er die physische und mentale Folter gebraucht, legale Drogen und Injektionen verabreicht. Die Häftlinge werden dort von einigen Monaten bis zu einem Jahr (oder sogar mehr) eingesperrt, um jeglichen rebellischen Geist zu brechen, um die Märchen vom „guten Weg“ und von der guten Führung einzutrichtern, und die potenziell ansteckenden Rebellionen zu verhindern, indem die sogenannten Rädelsführer beiseitegeschafft werden.
Wir wollen den Widerstand im Innern in Erinnerung rufen, den dieser abscheuliche Ort schon von Anfang an kannte und gleichzeitig einen Kampf gegen die Isolierung ermutigen, der ein unablässiger Bestandteil eines umfassenderen Kampfes gegen das Gefängnis und die unterschiedlichen Formen der Unterdrückung und des Freiheitsentzuges ist. Ein Kampf, der sich nicht damit zufriedengibt, Verbesserungen des Strafvollzuges zu fordern, der nichts von einem Staat fordert, der alles in Gang setzt, um die sozialen Verhältnisse der Unterdrückung aufrechtzuerhalten und die Flammen der Revolte zu ersticken.
Heute befindet sich der Widerstand in den Gefängnissen noch immer auf der Kippe. Das Verlangen nach Freiheit lässt sich nicht leicht durchkreuzen. Immer gewaltsamere Ausbrüche sind die Antwort auf steigende Sicherheitsmassnahmen, die Gewalt gegen die Gefängniswärter antwortet auf die Arroganz jener, die sich hinter der Allmacht ihrer Gewerkschaften verstecken. Eine Gewalt, die sich deutlich gegen die Unterdrücker richtet und die, letzten Endes, im Kontext der Einsperrung und der alltäglichen Erniedrigungen relativ bleibt.
Der Kurzfilm skizziert das Isolationsmodul im Gefängnis von Bruges, im Kontext der Revolte innerhalb und ausserhalb der Gefängnisse.

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14 Punkte über die 
Insurrektion

(Textdiskussion, 18. Juli, 20:00)

Folgend einige Auszüge aus diesem Text, der aus der 3. Ausgabe der internationalen anarchistischen Zeitschrift „A Corps Perdu“ stammt. Diese wird ab Anfang Juni im Fermento auf Deutsch erhältlich sein.

« Der Insurrektionalismus (oder wie man vor einem Jahrhundert sagte, der Insurrektionismus) ist keine “Strömung”, keine x-te Fraktion oder Abspaltung einer politischen Bewegung:
er ist schlicht und einfach eine Methode. Er ist eine mögliche Methode neben anderen, in konstanter Spannung und Entwicklung begriffen. […]
Was den “anarchistischen Insurrektionalismus” betrifft, zumindest in der Art und Weise, wie er besonders in Italien diskutiert und theoretisiert wurde, so sollte der insurrektionelle Akt danach streben, eine Struktur der Macht auf kollektive Weise anzugreifen. Die gewählte Struktur ist wohlverstanden ein partielles Ziel, das weder die Gesamtheit der Herrschaftsverhältnisse repräsentieren kann, noch – wurde sie einmal angegriffen – durch ihre Zerstörung oder durch den zugefügten Schaden einen Wandel der sozialen Verhältnisse bedeuten kann. Das Potential liegt im Angriff selbst, im Exempel und in den auf Selbstorganisation und Selbstverwaltung basierenden Inhalten, in dem, was die Struktur repräsentiert und im Organisationsmodell der “insurrektionellen Auflehnung”.  […]
Sich an der Revolte eines Viertels, oder an den Auseinandersetzungen während einer Demonstration zu beteiligen, bedeutet nicht an sich, eine insurrektionelle Methode zu gebrauchen. Ebensowenig, wie alleine bei Nacht eine Struktur oder ein noch so verabscheuenswürdiges Ziel anzugreifen, nicht a priori bedeutet, eine insurrektionistische Methodologie anzuwenden. […] Die Idee der Insurrektion ist nicht der Aktivismus, und noch viel weniger der Avantgardismus oder die individuelle Aktion, sondern vielmehr eine mit Methode ausgetragene präzise Projektualität, die sich in Entwicklung und in Verbindung mit den bestehenden sozialen Spannungen befindet und auf ein im Voraus festgelegtes Ziel ausgerichtet ist. Innerhalb dieser Perspektive und im Aufbau des „insurrektionellen Momentes“ mögen unterschiedliche Kampfpraktiken angewandt werden (vom individuellen Angriff bis zur Demonstration, vom Streik bis zur Sabotage), diese letzteren sollten aber stets mit dem Ziel in Verbindung stehen und dieses anstreben. Sie sollten, kurz gesagt, eine unmittelbare soziale Verständlichkeit (gegenüber potenziellen Komplizen) haben, sie sollten an die “Temperatur” des Konfliktes angepasst sein (indem sie sowohl die Flucht nach vorne, wie jene nach hinten vermeiden), sie sollten generalisierbar und für alle anwendbar sein. Die Praktiken und die Agitation werden schliesslich zu Propagandamomenten, zu Aktionen, die dazu dienen, den Moment des kollektiven Angriffs vorzubereiten. »

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Auszüge und Rezensionen 
von Büchern

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Der einzige und sein Eigentum
Max Stirner

« Ein wildes Denken, dies ist es, was wir brauchen.
Jenes von Stirner ist ein Beitrag in diese Richtung. »
Alfredo M. Bonanno

Um 1844 veröffentlichte Johann Caspar Schmidt unter dem Pseudonym Max Stirner sein erstes und einziges Buch mit dem Titel Der Einzige und sein Eigentum.
Wieso eine Rezension? Nun: Stirner‘s Ideen sind gerade in Zeiten, in denen die Herrschaft tiefer denn je in die Verhältnisse und Köpfe eindringt und wir von der Realität immer mehr entfremdet sind, besonders wichtig, und – abgesehen von der altmodischen und streng philosophischen Sprache – haben ihre Aktualität auch über die Jahrhunderte nicht verloren.
Der Einzige und sein Eigentum  ist vor allem eine fundamentale Kritik der Moral – sei sie religiös oder „atheistisch“ –, die  uns beherrscht, oder, um es mit Stirner zu sagen: „Unsere Atheisten sind fromme Leute ».  Ausgehend von der Philosphie seiner Zeit, zeigt er, wie z.B. auch „der Mensch“ nur ein weiteres Heiliges ist – wie dies eigentlich alles sein kann, sobald es zur fixen Idee wird –, das die Einzelnen beherrscht und Normen unterwirft. Dagegen stellt er die eigene Einzigartigkeit.
« Ich bin meine Gattung, bin ohne Norm, ohne Gesetz, ohne Muster und dergleichen. Möglich, daß Ich aus Mir sehr wenig machen kann; dies Wenige ist aber Alles und ist besser, als was Ich aus Mir machen lasse durch die Gewalt Anderer, durch die Dressur der Sitte, der Religion, der Gesetze, des Staates usw. Besser – wenn einmal von Besser die Rede sein soll – besser ein ungezogenes, als ein altkluges Kind, besser ein widerwilliger als ein zu Allem williger Mensch. »
So redet er vor allem über die Herrschaft über den Einzelnen, die real erlebbar ist und legt die Basis für eine Befreiung davon. Denn dieses Buch ist weniger eine Philosophie, denn eine Tat, die Tat der psychischen Selbstbefreiung. Er entwickelt eine Sensibilität für die Eigenheit, die sich gegen jede Herrschaft wendet. Denn dies ist immer noch das beste Mittel, um die Autorität zu bekämpfen: « die Empfindung der eigenen Individualität in allen Wesen so stark wie möglich zu entwickeln. » (1) Oder wie Stirner das sagt: « Hörte die Unterwürfigkeit auf, so wär‘s um die Herrschaft geschehen. »
Das ganze Buch ist aus einer radikal subjektiven Sicht geschrieben, und der Versuch, sich das « Bewusstsein des Egoismus. » anzueignen, wobei der Begriff Egoismus vor allem folgendes meint: Mit aller Konsequenz die eigene Freiheit und Einzigartigkeit zu wollen. Ein weiterer zentraler Begriff des Buches ist das Eigentum, wobei dies schon zu einigen Missverständnissen geführt hat. Eigentum ist in diesem Fall weder ökonomisch noch auschliessend (2). Es ist schlicht das, was mir gehört, in einem umfassenden, psychischen Sinn – das, was mir nicht fremd ist, kurz: das Gegenteil von Entfremdung.
Und so ist der Eigner einer, der Frei ist, zu tun und zu nehmen, was er will. Der „Verein der Egoisten“, die zweite positive Konzeption die Stirner aufstellt, zeigt das sein Egoismus nicht die Einsamkeit des Isolierten ist, dessen Freiheit dort aufhört, wo die des anderen anfängt, sondern die grenzenlose Freiheit, die in der der Anderen erweitert wird.

Reaktionen

Nach der Veröffentlichung seines Buches gab es einige Reaktionen darauf; zuerst einmal ein Verbot für kurze Zeit und Kritiken aus dem Kreis des linkshegelianischen Clubs „die Freien“, in dem er desöfteren abhing und gegen deren Philosophie ein Grossteil seines Buches geschrieben ist. Als Antwort auf diese Reaktionen schrieb Stirner den Text Recensenten Stirners (3) der wohl mit einigen Missverständnissen aufräumt(e). Eine Kritik – länger als das Buch selbst – schrieb auch Karl Marx (4), der sich allerdings nicht traute, diese zu veröffentlichen, wohl weil sie vor allem aus billiger Polemik besteht.
Mut gab und gibt Stirners Buch vielen kämpfenden Anarchisten, vor allem, wenn nicht gerade revolutionäre Zeiten herrschen und sich wenige Einzelne zusammentun – gegen alle Vorwürfe zum Trotz –, um die Subversion des Bestehenden anzugehen. Denn der Einzige und sein Eigentum ist vor allem interessant als Werkzeug im Kampf gegen das Bestehende und verkommt in den Händen von Bürgern zur blossen Kuriosität der Philosophie.

(1) Giuseppe Giancabilla – der Politische Kampf, S.5
(2) (im Verein der Egoisten, der potentiell „die ganze Menschheit“ umfasst, gehört jedem einzelnen Alles.)
(3) Lässt sich, wie auch Der Einzige und sein Eigentum, in der Bibliothek Fermento finden.
(4) Abschnitt Sankt Max in Die deutsche Ideologie von Karl Marx‘s Grundlagenschrift für den „historischen Materialismus“, erst nach seinem Tod veröffentlicht.

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Die Bücher dieser Bibliothek sollen weder Waren zur blossen Unterhaltung, noch Materialien zum blossen Studium, weder alte Geschichten zur Flucht in die Nostalgie, noch Ideologien auf der Suche nach Anhängern sein. Sie sollen ein Ferment, ein Gärstoff aus Ideen sein, der das soziale Gemisch zum brodeln bringt und den Tatendrang belebt. Sie sollen ein Werkzeug sein; zur Subversion der herrschenden Verhältnisse und zur Konstruktion von freien Beziehungen.
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FERMENTO
anarchistische Bibliothek
Rosengartenstrasse 10, 
8037 Zürich

Öffnungszeiten:
Mittwoch: 17:00 – 21:00
Samstag: 14:00 – 19:00

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bibliothek-fermento (at) riseup.net
www.fermento.noblogs.org

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