Italien: 60 Hausdruchsuchungen, Verhaftungen, Ermittlungen gegen 26 Gefährten

In den frühen Morgenstunden des 6. April 2011 rückten über 300 italienische PolizistInnen in einer Vielzahl von Wohnungen in mehreren Städten (Bologna, Ferrara, Modena, Rom, Padova, Trento, Reggio Calabria, Ancona, Torino, Lecce, Napoli, Trieste, Genua, Teramo, Forlì, Ravenna und Mailand) in Italien ein, um Hausdurchsuchungen und Verhaftungen anarchistischer Gefährten durchzuführen. 60 Häuser und Wohnungen wurden im Rahmen einer Operation durchsucht, die gegen 26 GefährtInnen läuft. Fünf von ihnen sind in Bologna verhaftet worden und befinden sich im Knast. Koordiniert werden die Ermittlungen, die seit 2009 laufen, von der Digos in Bologna, Digos ist die politische Polizei Italiens.

Konkret geht es um einige Aktionen, die im letzten Jahr in der Stadt Bologna stattgefunden haben: von Aktionen anarchistischer Propaganda bis Aktionen gegen den lokalen Abschiebeknast, Angriffe auf Banken, Demonstrationen und vor kurzem eine Aktion gegen Eni – den größten Erdöl- und Energiekonzern Italiens, welcher auch große Interessen in Libyen vertritt. Vor ein paar Wochen sind einige selbstgebaute Sprengsätze vor der Zentrale der Firma hochgegangen.
Am stärksten traf die Repressionswelle die GefährtInnen des anarchistischen Zentrums Fuoriluogo in Bologna: fünf von ihnen sitzen nun im Knast und gegen weitere sieben wurden verschiedene restriktive Maßnahmen angeordnet, wie beispielsweise “Stadtverbot” für diejenigen, die nicht in Bologna gemeldet sind, sowie das Verbot die Stadt zu verlassen, bei der sie gemeldet sind. Außerdem wurde das Zentrum Fuoriluogo geschlossen.

Die vielen Durchsuchungen in ganz Italien wurden auch mit der Zusammenarbeit einiger GefähertInnen für die Veröffentlichung einer Zeitung erklärt. Dabei handelt sich um „Invece“ („Anstatt dessen“), eine monatliche Zeitung, die seit Anfang des Jahres von anarchistischen GefährtInnen veröffentlicht wird. Die Polizei und die Presse versuchen nun zu behaupten, sie sei „klandestin“ erstellt worden, um die GefährtInnen und ihr Projekt weiter zu kriminalisieren.

Die Adresse der fünf Gefangenen:

Martino Trevisan
Robert Ferro
Nicusor Roman
Stefania Carolei
Pistolesi Anna Maria
c/o
casa circondariale
via del Gomito 2
40127 Bologna
Italien

Nachfolgend ein Brief von Stefi und Anna, sowie ein Brief von Martino:

Brief von Stefi und Anna aus dem Gefängnis la Dozza

Die Solidarität war stark spürbar und überflutete mit Briefen und Telegrammen die Gefängniswärter. Sogar eingeschriebene Briefe wurden geschickt, um zu versichern, dass sie wirklich ankommen.
Das tut gut.
Die Anklage gegen die Verhafteten, die Gefährten mit Auflagen und allen, gegen die ermittelt wird, lautet „Kriminelle Vereinigung“.
Dieser Gesetzesartikel wurde bereits gegen die Gefährten aus Lecce angewendet und zeigte sich als geeigneter als der Artikel „Subversive Vereinigung“, um Anarchisten zu verfolgen. Er wurde danach auch in anderen Ermittlungen, wie in Turin, angewendet. Nun zieht ihn auch die Digos von Bologna aus dem Zylinder, um einen Schlag gegen ihren Albtraum der Stadt zu machen. Jedoch fügt die Digos Bologna auch noch etwas eigenes zum Gesetzesartikel hinzu, nämlich „mit umstürzlerischen Zielen“.
Nachdem Fuoriluogo (anarchistisches Dokumentationszentrum in Bologna) als einen Sitz beschrieben wurde, in dem zählige interne und externe Veranstaltungen organisiert wurden und die Beziehung zwischen uns als stark und intensiv, wird eine lange Liste von „illegalen“ Handlungen aufgeführt, die zusammen oder getrennt begangen wurden und die im Übrigen nur das Aufeinanderfolgen von laufenden und wohlbekannten Strafverfahren ist, für welche wir bereits vor Gericht gestellt wurden und wofür (besonders einige unter uns) teuer bezahlten oder bezahlen werden. Es handelt sich um Widerstand, Sachschaden, Nötigung, unbewilligte Kundgebungen usw, usw. Die üblichen Anklagepunkte, die auf den Schultern jener lasten, die Kämpfe voranbringen, welche stören.
Um von diesen Anschuldigungen an bis zur „kriminellen Vereinigung“ zu gelangen, ist der „Gedankengang“ finster, man hört das Knirschen auf den Spiegeln (ital. Redewendung: sich an Spiegeln festklammern bedeutet, etwas um jeden Preis behaupten zu wollen). Wurde die Struktur einmal aufgebaut, so sehr auch unbegründet und absurd, ist es an uns sie zu zerlegen. So machen sie es und so ist es.
Und dann kommen sie wieder mit ihren Chefs, Unterchefs und Soldaten. So versuchen sie es immer, weil es ihre Art ist zuzuschlagen und weil es ihnen nicht in den Kopf geht, dass Beziehungen auch anders aussehen können. Es wird „bewiesen“, dass eine die Chefin ist, weil sie sich darum bemüht, Angaben für die Flyer zu sammeln und dass die Veranstaltungen gelingen. In einem Telefongespräch mit einem Gefährten, der in finanziellen Schwierigkeiten steckt und deshalb nicht an eine Kundgebung oder Demo gehen konnte, ermutigte sie ihn mit folgenden Worten, trotzdem hinzugehen: „Komm, wir finden das Geld schon, jemand wird es schon hinlegen“ natürlich mit ihrem üblichen Ton, den viele kennen.
Kurz gesagt, bilden eine Reihe von bekannten und wohlbekannten Belanglosigkeiten und Abhörungen, ähnlich wie die obengenannte, die Intrige der Digos, bestätigt von einer Staatsanwältin mit Steinchen in den Schuhen.
Uns beiden aus dem Frauentrakt geht es gut. Wir sind noch getrennt und in Isolationshaft. Die Post kommt an, aber vielleicht nicht alles. Wir umarmen euch und kämpfen gemeinsam mit euch weiter für eine Welt ohne materielle oder durch Ängste induzierte Umzäunungen. Ohne Sklaven und Herrscher mit ihren Frevelhaftigkeiten und Schädlichkeiten.
Wir sehen uns bald, aber, wie jemand in einem Telegramm schrieb, wenn wir zu euch kommen ist es besser.

Brief von Martino aus dem Gefängnis la Dozza

Ich heisse Martino und bin einer der am 6. April – infolge der x-ten staatlich organisierten Repressionswelle – in Bologna Verhafteten Anarchisten: eine Operation, die zur Verhaftung von 5 Gefährten und Gefährtinnen, zur Wegweisung weiterer 7 Gefährten und einer Vielzahl von Hausdurchsuchungen (die übrigens gleichzeitig in mehreren Städten durchgeführt wurde) und sogar zur Beschlagnahme des Dokumentationszentrums Fuoriluogo (welches vom Ort, wo radikaler Kritik verbreitet und wöchentlich offene Veranstaltungen organisiert wurden zu einem uneinnehmbaren Terroristenbunker gemacht wurde) führte. Eine Ermittlung, die schon seit einiger Zeit von der Staatsanwaltschaft geführt wird, welche – infolge einiger anonymen Anschläge in Bologna, die innerhalb einer Woche durchgrführt wurden, zu Schaden von IBM, ENI, Emilbanca und Lega Nord – entschieden hat, dass es der richtige Moment ist, um diese fortzusetzen (obwohl in den Papieren, die uns zum Zeitpunkt der Verhaftungen ausgehänigt wurden, kein Bezug auf diese Taten gemacht wurde). In einem Klima mediatischer Lynchjustitz, die darauf abzielt, die vielen Personen abzuschrecken, die sich den anarchistischen Kämpfen nähern, war es notwendig jemanden zu verhaften.
Denn die Polizei ist da, die Polizei tut etwas. Alles ist unter Kontrolle.
Dasselbe wie immer: jeder nicht rekuperierbare Ausdruck der Ablehnung muss verzerrt und auf einen „privaten Krieg“ zwischen der Macht und ihren erklärten Feinden reduziert werden, um die soziale Tragweite zu entschärfen und ihrem Potential entgegenzuwirken.
Als würde es in dieser Welt der Waren, ohne Anarchisten, nur fügsame Untertanen übrigbleiben, die davon überzeugt sind, dass sie in der besten aller möglichen Welten leben.
Und trotzdem braucht man kein Subversiver zu sein, um zu erkennen, in was für einer Welt wir leben: von der drohenden Atomgefahr bis zum Krieg in Libyen auf der Aussenfront, von der herrschenden Militarisierung bis zur Einsperrung der Migranten auf der Innenfront…. die alltägliche Katastrophe der Profitgesellschaft erleiden alle.
In einer Zeit, in der die dunkle Resignation, die allzuoft die Nordküsten des Mittelmeers umgibt, von den Aufständen, welche die Südküsten entflammen lassen, beleuchtet wird.
In einer Zeit in der die N.A.T.O einen Rapport verfasst (Urban Operation in the Year 2020), in der die Analytiker für das Jahr 2020 Szenarien erdenken, in denen die Armee massiv für die Erstickung der Revolten der Armen in den Peripherien der westlichen Grossstädten eingesetzt werden soll.
In Zeiten der Krise kann es nicht verwundern, wenn die Verbreitung des anarchistischen Ideals (besonders, wenn es von Individuen verfechtet wird, die nicht Däumchen drehend auf die Ankunft einer freien Menschheit warten, aber hier und jetzt kämpfen und sich selbst aufs Spiel setzen ) die Träume der Herrschenden stören.
Tatsächlich ist in einer solchen Gesellschaft die „Rolle“ des inneren Feindes, die einzig ethisch akzeptierbare:
– ich will nicht Komplize einer Gesellschaft sein, die den Planeten, den sie beherbergt, zerstört
– ich will nicht Komplize einer Wirtschaft sein, die für das eigene Überleben fortwährend Kriege braucht und ganze Völker zum Hungern verurteilt
– ich will nicht Komplize der Bullen sein, die in den Kasernen und in den CIE (Ausschaffungszentren) vergewaltigen und auf Polizeiposten und in Knästen töten
– ich will nicht Komplize einer Gesellschaft sein, die Nanotechnologie und Gentechnologie entwickelt, um Lebewesen zu kontrollieren und den Profitansprüchen zu beugen
– ich will nicht Komplize des Rassismus, der Hetze gegen Migranten, der Einsperrung sein, der allen droht, die sich nicht den Gesetzen eines Landes beugen, in der die Regierungen wechseln, jedoch die Kameras, die Schlagstöcken und die Stacheldrähte bleiben
– ich will nicht Komplize der religiösen Heuchlerei sein oder des Sextourismus, der oft dessen Ausgleich darstellt
– ich will nicht Komplize des fortwährenden Massakers gegen Millionen von gezüchteten und gemästeten Tieren sein, die entweder benutzt werden, um den Umsatz der Tierzuchtindustrie zu garantieren oder, um neue Produkte zu testen und einzuführen (auch um den Preis, neue Krankheiten zu erfinden, um neue Medikamente zu patentieren)

Hingegen grüsse und umarme ich alle die gegen all das kämpfen: Solidarität mit den gefangenen GefährtInnen in Italien, Schweiz, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Spanien, Chile, Argentinien, Mexiko, USA, mit den Mapuches im Kampf für ihre Erde, mit den „Freedom Fighter“ des Delta des Nigers, mit den Aufständischen im Maghreb und mit allen Kämpfen, die ich nicht kenne oder nicht genannt habe.
Danke für die starke Solidarität mir und den anderen Gefangenen gegenüber.
Noch immer auf der Seite jener, die von einem bleiernen Himmel erdrückt, entscheidet, Stürme zu sähen!
Noch nüchterner! Noch wütender! Immer mit erhobenem Kopf! Immer gut drauf Leute!
Für die Anarchie

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