[Faltblatt] Gegen die Arbeit!

Ein Faltblatt das am 1. Mai 2010 in Zürich erschienen ist. Der Text wurde im April 2011 überarbeitet. Das PDF dazu kann hier heruntergeladen und auf A3 ausgedruckte werden, 2 Seiten, jeweils vorne und hintern.
Nachfolgend der Haupttext des 8 seitigen Heftchens:

 

http://ch.indymedia.org/images/2010/05/75406.pngGegen die Arbeit!

1. Mai der “Tag der Arbeit“, wie man stolz zu sagen pflegt; der Tag, an dem alle mal wieder, ob mit Wurst und Brot oder mit Stock und Stein, etwas “Arbeiterkampf“ feiern – was auch immer man darunter versteht. Vom gemässigten Linken bis zum Anarcho-Syndikalisten (kurzum: alles, was sich an der Arbeit festhält) graben sie ihre Banner aus, um auf der Strasse etwas Anwesenheitspolitik zu betreiben. Nun, wir haben kein Banner, wohinter wir Leute versammeln, wir haben kein politisches Programm, womit wir werben, wir fordern weder ein Recht auf Arbeit, noch wollen wir sie verschönern oder auf ein Minimum reduzieren, wir wollen die Arbeit, mit ihrer Ethik und ihrer Logik, beseitigen, und zwar ein für alle mal!

Was verstehen wir unter dem Wort „Arbeit“, um das sich schon die ganze Menschengeschichte dreht, dieser Angelpunkt fast aller bisherigen sozialen und revolutionären Kämpfe und zentraler Aspekt unseres alltäglichen Lebens? Fern davon, bloss die schöpferische Tätigkeit des Menschens zu bezeichnen, ist Arbeit ein Werkzeug in den Händen derjenigen, die diese Tätigkeit unterwerfen und verwalten wollen, um sich ihre Erträge selbst zu Nutzen zu machen. Insofern der Mensch das grundlegende Bedürfnis besitzt, sich selbst und seine Umgebung zu erschaffen, so wurde die Arbeit eingeführt, um dieses Bedürfnis zu knechten. Für die Beseitigung der Arbeit zu kämpfen, bedeutet jene einfache Feststellung nicht hinzunehmen: Unser Schaffen gehört uns nicht.
Die äusseren Formen der Ausbeutung der Arbeitskraft wandelten sich oft im Laufe der Zeit, doch wesentlich ist sie immer dasselbe geblieben: Die Ausschöpfung des Lebens, um im Gegenzug ein mehr oder weniger gesichertes “Überleben“ anzubieten; die Enteignung jeglicher Autonomie, um die Individuen an ihre Beherrscher zu binden; die Sicherung und Ausweitung der Macht des Kapitals.

 

Die Ethik der Arbeit

Es scheint eine unantastbare Gegebenheit zu sein: Man arbeitet.
Die Rechtfertigung dafür ist ebenso simpel wie allgegenwärtig. Als Teil dieser Gesellschaft hat jeder seinen Beitrag zu leisten. Noch vor jeglichen überlebenstechnischen Gründen geht es dabei um eine Frage der Moral.
Hier und heute, in dieser generalisierten Vereinzelung der Menschen, sollen wir uns einer Gesellschaft verpflichtet fühlen, deren letzte, kümmerliche Formen von Gemeinschaft sich nurmehr durch Waren und Autorität behaupten. Wir können gemeinsam in der unendlichen Auswahl von Konsumgütern “Freiheit“ geniessen und in den hierarchischen Strukturen „Verantwortung für das Gemeinwohl übernehmen“ – so spricht die Ideologie der verkehrten Welt.
Und falls wir uns davon nicht mehr täuschen lassen, dann können wir uns noch immer einreden, dass wir unsere Arbeit mögen und uns in dieser spezialisierten Sinnlosigkeit entfalten können (ja, es steht schlecht um die Begierden).
Hat auch das nicht funktioniert, so lässt uns die Gesellschaft gut spüren, dass wir nichts wert sind, solange wir nicht arbeiten, und dass wir besser daran täten, so bald wie möglich zurück in die Reihen zu treten – so wie alle anderen…

„Wer nicht arbeitet, hat nichts zu essen“, heisst es. In einer Gesellschaft, in der anonyme Arbeit für einen anonymen Markt verrichtet wird, um immer entfremdetere Bedürfnisse zu befriedigen, die der Kapitalismus aufgrund seiner Fortschrittslogik stets neu kreiert, ist diese Aussage nichts weiter als eine Absurdität. Arbeit ist zunächst die Erzeugung von Mehrwert, in welcher Form auch immer. Es geht längst nicht mehr darum, die Mittel für unser Überleben zu beschaffen – und darum, die Qualität unseres Lebens zu steigern, ging es noch nie!
Denken wir nur daran, wie viele Leute aufgrund der blossen Existenz von Geld arbeiten (Finanzwesen, Bürokraten, Verwaltung, etc.), denken wir an all die sinnlosen Produkte und Dienstleistungen, an das falsche Problem der Arbeitslosigkeit, an Beschäftigungstherapien, an das krampfhafte Erforschen von neuen Marktlücken,…
Tatsache ist, dass man uns um alles in der Welt beschäftigt halten will, durch Arbeit und Konsum. Damit wir keine Gelegenheit haben, zu erkennen, dass das Wesentliche, was uns von den Überlebensmitteln trennt, die Moral ist, mit der wir uns selbst untersagen, sie den Ausbeutern zu entreissen; und dass die Möglichkeit, die uns einer Steigerung der Lebensqualität näher bringt, in einem gelebten Aufstand liegt, der sich der kapitalistischen Arbeitswelt entledigt.

In der allgemeinen Unterwürfigkeit – meist eher durch Fatalismus („es ist nun mal so“) als durch konkreten Zwang – gibt es eine besonders erbärmliche Gestalt: Den ehrlichen Arbeiter.
Er zieht es vor, sich ein Leben lang zu unterwerfen, um dafür bei Tagesende ein “reines Gewissen“ zu haben. Stolz kriecht er vor seinem Boss, während das Einzige, woran er sich noch festhalten kann, die soziale Rolle ist, die ihm seine Arbeit verschafft. Sich selbst völlig fremd geworden, versucht er die Substanzlosigkeit seines Lebens mit der Anhäufung von Waren zu kompensieren. Heutzutage ein ehrlicher Arbeiter zu sein, hat mit Ehre nichts zu tun, es ist eine Selbsterniedrigung, eine Idiotie, eine Schande und eine Feigheit. Bei der Arbeit sowie in der “Freizeit“ bleibt er Sklave derselben Ethik:
Leben um zu arbeiten, arbeiten um zu leben.

Nun, falls ihr euch von der Arbeit nicht so sehr beleidigt fühlt, und die direkte Unterdrückung persönlich wenig spürt; wenn ihr, trotz all der oberflächlichen Klagegesänge, ohne die Arbeit nicht leben könntet, weil ihr euch schrecklich langweilen würdet; wenn es euch gelingt, die tägliche Disziplin am Arbeitsplatz zu ertragen und die ständigen Vorwürfe von schwachköpfigen Kleinbossen zu respektieren; wenn ihr nie die Verlockung verspürt, das Geld oder die Nahrung dort zu holen, wo es sie im Überfluss gibt, um euch endlich dem Leben selbst zu widmen; dann haben wir euch hier nicht viel zu sagen. Doch an alle anderen:
Wieso sollten wir jemals arbeiten?

Die moralischen Schranken einmal überwunden, mit etwas Wagemut, Fantasie und spielerischem Elan, bieten sich tausend Möglichkeiten, der Arbeit zu entkommen. Durch Selbstorganisation und gegenseitige Hilfe können diese Möglichkeiten mit jeder weiteren Person, die sich dazu entscheidet, anwachsen. Und wenn wir dem noch etwas Gespür für Subversion hinzufügen, wenn wir der Ethik der Arbeit unsere persönliche Ethik entgegenstellen, eine, die mit jeglicher Form von Ausbeutung und Unterdrückung unversöhnlich ist, dann mögen daraus Verhaltensweisen entstehen, die direkt in die Herzen unserer Feinde treffen.

 

Die Logik der Arbeit

Die zynische Verlogenheit, die uns glauben machen will, selbst von unserer Arbeit zu profitieren, während sie einzig und allein den Zwecken der Machthaber dient, ist etwas, das im Laufe der Geschichte immer wieder erkannt und bekämpft wurde. Viel schwieriger scheint es jedoch, auch in die Logik der Arbeit einzusehen, und ihr zu entfliehen. Diese könnte im Grunde folgendermassen zusammengefasst werden: Jegliche bedeutsame Aktivität muss einen Zweck und ein Ziel haben. Demzufolge muss jegliche Aktivität aufgrund ihres Produktes beurteilt und bewertet werden. Dieses Endprodukt hat Vorrang vor dem kreativen Prozess, so dass die inexistente Zukunft über die gelebte Gegenwart herrscht. Die unmittelbare Befriedigung der Freude am Erschaffen ist unbedeutend, das einzige was zählt, ist das Gelingen oder das Scheitern…
So ist es nicht erstaunlich, dass in einer Welt, in der diese Logik herrscht, die Effizienz das allgemeine Bewertungskriterium ist – vor allem auch von uns gegenüber uns selbst. Wir haben eine Leistung zu erbringen, um unser Selbstwertgefühl zu steigern. Das ziellose Entfalten der eigenen Individualität, der lebendige Fluss von leidenschaftlichen Beziehungen wird in Rollen kanalisiert und eingedämmt, die im Räderwerk der sozialen Maschinerie ihren Platz einnehmen. Nachdem wir schon als Kinder lernten, jegliche Begierden und Träume liegen zu lassen, die nicht von der Arbeits- oder Warenwelt diktiert werden, erfahren wir heute tagtäglich die Entfremdung einer Tätigkeit und einer Umwelt, die uns vom Bezug zum eigenen Leben trennt.
Eben dieses Gefühl, dass uns das Leben durch die Finger rinnt, ist seit jeher der Auslöser für Revolten, und der Grundstein für das Bedürfnis nach einer sozialen Revolution. Doch die Vorstellung von einer Revolution ist allzuoft innerhalb der Logik der Arbeit geblieben. Die Revolution als eine Aufgabe mit einem Zweck, einem Ziel… eine perfekt funktionierende Gesellschaft hervorzubringen. Sie hat einen Anfang und einen Ende. Sie ist erfolgreich oder sie scheitert, sie wird zum Gewinner oder Verlierer.
Wenn wir unserer Aktivität, anstatt aufgrund ihres Endprodukts, aufgrund dessen einen Wert beimessen wollen, was sie zu dieser Stunde ist, wieso dann die Revolution als Aufgabe, und nicht vielmehr als eine Art von Spiel verstehen, im weitesten Sinne des Wortes? Als eine Erkundung, ein Experimentieren… ohne Anfang noch Ende. Ein unendlicher Aufbruch zu neuen Entdeckungen, neuen Erfahrungen, neuen Abenteuern.

 

Ein alter Traum

Sei es während der Bauernaufstände gegen die Sklaverei im Mittelalter; zu Zeiten, als die englischen Ludditen die ersten industriellen Webereien mit Hämmern zerschlugen; im Innern der Pariser Kommune, wo die aufständischen Arbeiter mit einem selbstorganisierten Leben experimentierten, oder während der Jahre inmitten des spanischen Bürgerkriegs, als im revolutionären Katalonien ein Leben auf anarchistischen Grundlagen aufgebaut wurde: Der alte Traum, sich der unterwürfigen Arbeit zu entledigen, um das Leben mit den eigenen Händen zu gestalten, tritt immer wieder meuternd zu Tage.

Während dieser Epoche befand sich die Welt der Arbeit in starkem Wandel. Die Industrialisierung brachte mit den Fabriken und Maschinen ein neues Ausmass der Trennung zwischen dem Menschen und seiner Tätigkeit mit sich, zugleich aber auch eine Konzentrierung der Arbeiter und des Willens, ihr Elend zu bekämpfen. Man könnte vom Höhepunkt der internationalen “Arbeiterbewegung“ sprechen. Die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts waren übersät mit Aufständen und Versuchen einer revolutionären Umgestaltung des alltäglichen Lebens. Doch das Kapital ist sich der Gefährlichkeit von Fabriken- und Arbeitervierteln bewusst geworden, und über Jahrzehnte fand und findet eine Restrukturierung der gesellschaftlichen Organisation der Ausbeutung statt. Die Produktionszentren wurden über das Land verteilt und die Vereinzelung der Arbeiter vorangetrieben. Nachdem man sie einst den ländlichen Gemeinschaften entriss, um sie in den Städten zusammenzupferchen, begann man nun damit, diese gefährlichen Milieues wieder zu zersetzen, in denen sich ein Klassenbewusstsein und die Möglichkeit, sich seines Schaffens wieder selbst zu bemächtigen, konkretisierte. Nachdem sie dem “ersten proletarischen Ansturm gegen die Klassengesellschaft“ standhielten, kümmern sich die Polizisten und Architekten, Soziologen und Psychologen, Bosse und Politiker nun umso intensiver darum, diesen alten Traum, wo auch immer er sich zeigt, von Grund auf zu ersticken.

Die Bedingungen begannen sich also zu verändern und Jahrzehnte waren nötig, bis sich die freiheitsstrebenden Herzen in dieser neuen Situation zurechtfanden und sich ein revolutionärer Elan verbreitete, der sich dieser neuen Zeit entgegenzustellen verstand.
Mit dem wildesten Generalstreik der Geschichte, der im Mai 68 ganz Frankreich lahmlegte, wurde aber schnell deutlich, dass der Kampf zwischen den Eignern und den Verdammten dieser Welt noch längst nicht ausgefochten war. Auch Italien und England sahen sich in den folgenden Jahren durch unzählige Streiks, Fabrikbesetzungen und Revolten an den Rand eines offenen Klassenkrieges gedrängt. Zum Schrecken der Herrschenden durchbrach erneut die Idee, die Welt auf den Kopf zu stellen, um sie endlich in die Hände jedes einzelnen zurückzugeben, den Lauf jener Geschichte, die sie doch so gerne hätten vergessen machen wollen.
Doch auch diese stürmische Welle, mit all ihren Erfahrungen von Selbstorganisation und wilden Revolten, zerbarst an den Felsen der sozialen Normalität. In der nachfolgenden Ebbe hat das Kapital seine Lehren aus aus den Forderungen der Bewegung gezogen; vor allem aus jenen, die von Reformisten und Stalinisten dominiert und durch Gewerkschaftsbürokraten im Zaum gehalten wurden. Indem man diesen im Rahmen einer Verfeinerung der Herrschaft entgegenkam, wurde Schritt für Schritt die Integrierung der Arbeiterbewegung in die bürgerliche Gesellschaft vollzogen.

Indessen kümmern sich die Mediokraten eifrig darum, die Rechtfertigung der herrschenden Verhältnisse allgegenwärtig zu machen und das Ende der Geschichte zu verkünden. Dies führte dazu, dass heute Generationen heranwachsen, die sich gar nicht erst eine andere Welt denken können, die keine Träume mehr haben, in die sie die Energie ihrer Wut und unterdrückten Verlangen stecken können. Die Techniken der Macht wurden subtiler, was die Ausbeutung nicht erträglicher, aber weniger greifbar macht. So entlädt sich die soziale Unzufriedenheit oft durch ansteigende Gewalt unter den Ausgebeuteten selbst (ethnische, nationalistische, „Gang“-Konflikte), anstatt sich gegen Ordnung zu wenden, die sie verursacht.

 

Eine neue Realität

Heute, in den totalitären Warendemokratien des Westens noch von einer Klassengesellschaft zu sprechen, erscheint beinahe schon lächerlich. Der klassische Arbeiter wird zunehmends durch den Bürokraten und das Anwachsen des “Dienstleistungssektors“ verdrängt, und die klare Gegenüberstellung von Ausbeuter und Ausgebeutetem hat sich meist in tausend Wirrungen verflüchtigt. Jeder ist irgendwie Meister und Diener zugleich. Man wird weniger von einem Boss herumkommandiert, als von einem Sekretär verwaltet.

Während die Identität des “Arbeiters“ seit längerem, gemeinsam mit jener des “Konsumenten“, in der Figur des “Bürgers“ verschmolz, verliert hier auch die Arbeit immer mehr ihre starren Strukturen. Eine Vielfalt von Jobs, aus denen man aussuchen kann, keinen grossen intellektuellen Anspruch, standardisierte Sicherheitsmassnahmen, Robotisierung grundlegender Prozesse, zunehmende Trennung zwischen den unterschiedlichen Arbeitsbereichen – all dies zielt auf ein Modell ab, das sich deutlich von jenem der Vergangenheit unterscheidet.
Der Kapitalismus selbst hat seinen veralteten Apparat demontiert. Die Methoden, auf die der bewusste Arbeiter einst zurückgriff, um die Härte der Arbeit zu reduzieren und der brutalen und direkten Ausbeutung standzuhalten, hat das Kapital nun selbst zu normalen Prozessen gemacht. Es ist das Kapital, das jetzt das Aufbrechen der Arbeitszeiten vorschlägt, wenn es dies nicht sogar aufzwingt. Mit reduzierten, flexiblen Arbeitsstunden, selbst definierten Projekten, Partizipation in der Entscheidungsfindung, Miteinbeziehung sozialer und ökologischer Aspekte, etc. verbreitet sich eine Verwirrung, die uns glauben machen will, dass die Interessen der Chefs auch die unsrigen sind. Wir sollen uns mit dem Unternehmen identifizieren, uns freuen, wenn das Geschäft gut läuft, und zusätzliche Anstrengungen liefern, falls es gerade schlechter geht.

Doch die genannten Bedingungen sind vor allem jene, der “privilegierteren“ Schichten, um in der verkehrten Sprache der Arbeitswelt zu sprechen. Für die Armen sieht die Realität etwas anders aus. Auch hier lösen sich die starren Strukturen… zugunsten einer möglichst flexiblen Ausbeutung. Prekarität, Temporärarbeit, ständiges Umherziehen und soziale Isolierung sind die Perspektiven für jene, die als Puffer für die ökonomischen Schwankungen zu dienen haben.

Es ist durch das Verbinden der Kämpfe von jenen, auf denen das existentielle Elend dieser Ordnung am härtesten lastet, mit einer Kritik des sozialen und emotionalen Elends, das in der reinlich funktionierenden Arbeits- und Warenwelt herrscht, dass wir zu revolutionären Kämpfen gelangen können, die erneut die Gesamtheit der bestehenden Verhältnisse in Frage zu stellen vermögen.

Wir finden uns also erneut vor einer grundlegenden Änderung der Lebensbedingungen wieder, und wenn wir heute von Revolution sprechen wollen, dann haben wir einiges neu in Betracht zu ziehen.
Rund um uns herum spitzen sich die sozialen Konflikte wieder zu. Die französischen Banlieues explodieren immer wieder, ein massiver Aufstand im ständig brodelnden Griechenland, in Brüssel liefern sich Jugendliche alle paar Wochen Strassenkämpfe mit der Polizei, in Rom und London verwüstet die Wut der Studenten ganze Strassenzüge, der Schrei nach Freiheit verbreitet Aufstände vom Maghreb bis in den Nahen-Osten… mögen diese Konflikte, die sich in Zukunft wohl häufen werden, anstatt der Willkür eines Bürgerkriegs, einem revolutionären Ansturm gegen jeglichen Staat und jegliche Autorität entgegengehen.

Das sichtbare Scheitern der anti-kapitalistischen Reform der Arbeit, welche bloss dazu verhalf, der Ausbeutung angepasstere und somit standfestere Formen zu geben, und schliesslich dem Kapital die Grundlage verschuf, um die Arbeiter auf eine differenziertere Weise zu unterwerfen, macht deutlicher denn je, dass der Kampf gegen die Ausbeutung ein Kampf für die Beseitigung der Arbeit sein muss.
Wir haben gesehen wie jede fordernde Kritik bloss zu einer Verfeinerung der Herrschaft führte. Nun, da die grossen Massenbewegungen verschwunden sind, die in den seichten Programmen, die aus ihnen hervorkamen, soviel revolutionäres Potential ertränkten, wieso sollten wir uns davon aufhalten lassen, nach Teilzugeständnissen zu suchen?
Die Arbeiter, die während eines Generalstreiks ein Transparent mit der Aufschrift “Wir fordern nichts“ trugen, hatten verstanden, dass das Scheitern in der Forderung selbst liegt. Wenn wir den revolutionären Bruch mit dem Bestehenden anstreben, dann bedeutet dies das Ende aller Zugeständnisse. Es liegt an uns, uns in der Revolte unseren Problemen zu entledigen.
Aller Komplexität der heutigen Ausbeutungsmechanismen zum trotz, hängt ihr Funktionieren noch immer von der Entscheidung eines jeden einzelnen ab, seine Tatkräftigkeit entweder in ihre Erhaltung oder in ihre Zerstörung zu stecken.

Arbeitet nie!“

Dies ist der beste Ratschlag, den wir geben können, um der Normalität zu entkommen. Alles weitere liegt an jedem selbst zu erkunden.
Unser Denken kann sich nur aus der bornierten Logik der Arbeit befreien, wenn wir den sozialen Zwängen Zeit und Raum entreissen, um mit anderen Ideen zu experimentieren. Jemand, der sich von der Arbeit befreit, während er in der Warenlogik gefangen bleibt, wird entweder zum Kleptomanen oder Berufs-Bankräuber. Arbeit und Konsum sind zwei Phasen desselben Prozesses. Das Dilemma kann nur gelöst werden, indem wir unsere eigenen erschaffenden Projekte erfindet. Das geistige Elend der Kunst und ihres Milieues ist dabei unter allen Umständen zu vermeiden. Vielmehr geht es um die Erschaffung jedes einzelnen Moments unseres Lebens. Anders ausgedrückt: es ist erforderlich, darüber nachzudenken, was wir mit unserem Leben tun wollen und wie wir uns die notwendigen Mittel beschaffen, um es zu realisieren – ohne zu arbeiten. Wenn wir die Arbeit beseitigen wollen, dann müssen wir Wege des individuellen und kollektiven Experimentierens mit Ideen und Handlungen finden, die uns ermöglichen, den notwendigen Raum und die notwendige Zeit dafür zu erkämpfen. Wir müssen lernen, während des Lebens und mit ihm zu spielen und die Regeln dieses Spiels selbst zu bestimmen.
Freiheit bedeutet nicht eine Abwesenheit von Regeln. Wir sind uns der Notwendigkeit von Abmachungen, um zusammenzuleben bewusst. Doch alle Regeln, die durch Kontrolle und Strafen aufgezwungen werden, sind Sklaverei. Und Arbeit war das, ist das und könnte niemals etwas anderes sein. Die einzigen Abmachungen, die diesen Namen auch wirklich verdienen, sind für uns jene, die von allen Beteiligten frei und in Übereinstimmung getroffen und festgelegt wurden, und nicht die, die einseitig von denjenigen auferlegt wurden, die die Macht, Gesetzte zu erlassen, und die Gewalt, um deren Respektierung durchzusetzen, besitzen.

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Wir können die Gewohnheit wählen, das Bestehende und seine Sicherheiten. Und an Sicherheiten, diesem sozialen Gift, kann man sterben. Vielleicht nicht an Hunger, dafür aber an Langeweile…

Jenseits der Grenzen der herrschenden Moral und Gesetzlichkeit liegt eine Möglichkeit, die uns nicht gegeben wird, eine, die wir uns nehmen müssen: Ein Zusammenleben ohne Herrschaft und ohne Ausbeutung, in dem wir uns nicht durch erzwungene Taten am überleben halten, sondern uns durch freie Handlungen die Mittel beschaffen, um das Leben in all seinen Tiefen zu geniessen. Insofern wir heute bereits ein Leben wollen, das nicht auf Arbeit sondern auf unseren Leidenschaften beruht, wollen wir diese letzteren zunächst der Provokation eines Aufstandes widmen, der sich jeglicher Form von Ausbeutung endgültig entledigt.

Es ist ein alter und einfacher Traum, doch er fordert die Umwälzung der gesamten Welt: Das freie Erschaffen von uns selbst, und der Situation, die uns umgibt.

Auf dass dieser Traum erneut durch die Tore der Geschichte einfällt.

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