Vom Ernten toter Elefanten – Die falsche Opposition der Animal Liberation

 

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Vom Ernten toter Elefanten
– Die falsche Opposition der Animal Liberation

von Aden Marcon

 

Ich hab noch nie jemanden getroffen, der als Kind sagte ‘Wenn ich groß bin, will ich Kritiker werden.’ – Richard Prior

Wir glauben, dass es einige gibt, die unter dem sehr breiten Banner der Animal Liberation Aktionen machen, denen es ebenso wie wie uns darum geht, diese auf Ausbeutung und Elend basierende Gesellschaft komplett umzuwälzen. Nichts desto trotz sehen wir, dass viele in radikalen und anarchistischen Kreisen die Philosophie der Animal Liberation und des Veganismus auf unkritische Art begrüßen. Diese Ideen werden mit Beharrlichkeit und Ausdauer beibehalten und wurden unglücklicherweise selten in Frage gestellt, zumindest nicht in Nordamerika. Wir hoffen mit dieser Kritik einige Ansatzpunkte für kritischeres Denken und theoretische Reflexion bereitzustellen, Werkzeuge, die wir für effektive Aktionen gegen Herrschaft und Unterdrückung brauchen werden.

Animal Liberation: Ein kurzer Überblick

Animal Liberation entwickelte und radikalisierte sich als Bewegung in den 1970er Jahren in Großbritannien und in geringerem Maße in den USA. Ihre Philosophie entwickelte sich aus der Tierrechtsidee, mit der es häufig Überschneidungen gibt. Animal Rights geht davon aus, dass alle Tiere das Recht auf ihr eigenes Leben haben, sie moralische Rechte besitzen sollten, und dass einige der Rechte für Tiere gesetzlich festgeschrieben werden sollten, wie beispielsweise das Recht nicht eingesperrt, verletzt oder getötet zu werden.

Peter Singer ist einer der ideologischen Gründer Animal Liberation. Sein Zugang zum moralischen Status der Tiere basiert nicht auf dem Konzept von Rechten, sondern auf dem utilitaristischen* Prinzip der Abwägung von Interessen. In seinem Buch Animal Liberation argumentiert er 1975, dass Menschen ihre moralische Überlegungen anderen Tieren gegenüber nicht abhängig machen sollten von Intelligenz, der Fähigkeit zu moralisieren, oder anderen menschlichen Attributen, sondern vielmehr von der Fähigkeit Leid zu erfahren. Die Ideologie der Animal Liberation besteht darauf, dass Menschen im Unterschied zu Tieren moralische Entscheidungen treffen können, dass die Wahl der Menschen daher in der Vermeidung bestehen muss Leid zu verursachen.

Seit den philosophischen Anfängen von Animal Rights und Animal Liberation sind weltweit viele Animal Liberation Gruppen entstanden, jede mit ihrem eigenen Zugang, und doch arbeiten alle grundsätzlich für das gleiche Ziel. Entsprechend wurde Veganismus – der Lebensstil, der darin besteht keine tierischen Produkte zu konsumieren oder zu nutzen, ebenso wenig Produkte, die an Tieren getestet wurden – immer populärer. Meine Absicht ist es an dieser Stelle nicht, das Thema erschöpfend darzustellen. Wer mehr über die Animal Liberation Bewegung lernen möchte, sei auf die Fülle [englischsprachiger] Bücher und Webseiten zum Thema verwiesen [1].

Manipulationen, Repräsentationen und Abstraktionen

Animal Liberation ist…ein Krieg. Ein langer, harter, blutiger Krieg, in dem es all die zahllosen Millionen Opfer immer nur auf einer Seite gab, die unschuldig und ohne Verteidung waren, deren einzige Tragödie es war, nicht als Mensch geboren zu sein. – Robin Webb, Britischer ALF Pressesprecher

…der abstrakteste der Sinne, und der am leichtesten zu täuschende… – Guy Debord, Gesellschaft des Spektakels

Um irgendetwas kritisieren zu können, müssen wir verstehen, wie es von seinen FürsprecherInnen repräsentiert wird. Die Animal Liberation Bewegung bezieht sich zuerst und vor allem auf verschiedene unkritisch angenommene Klischees, die es – wie in der Gesellschaft auch – bei AktivistInnen der Bewegungen im Überfluss gibt. Die Sprache der Animal Liberation spielt mit Konzepten von Niedlichkeit, Mitleid und Philantropie, die in uns hinein sozialisiert wurden, die als zivil, verantwortlich und gut gelten. Animal Liberation stellt sich selbst als moralische und zivile Weiterentwicklung der menschlichen Gesellschaft dar, als Prozess, in dem wir “unseren Kreis des Mitgefühls ausweiten” [2]. Uns wird gesagt, dass Menschen Schmerz und Leid für Tiere vermeiden können und sollen, dass die Menschheit durch dieses Handeln auf den richtigen Weg zu einer freundlicheren und friedlicheren Welt kommen wird.

Diese Konzentration auf das Leid und die angenommene Notwendigkeit seiner Beseitigung ist höchst problematisch. Unter dem Kapitalismus werden Tiere als Waren benutzt – als Objekte, deren einziger Zweck es ist, gekauft und verkauft zu werden – and als Objekte, die gezählt, kommerzialisiert und ausgepreist werden. TierbefreierInnen reduzieren indes all diese Dinge auf eine breite Kategorisierung: Leid. Diese Reduzierung beseitigt alle Kniffligkeiten und Spezifika dessen, wie Tiere im gegenwärtigen sozialen Kontext benutzt werden, sie verflacht die Natur ihrer Ausbeutung. Für TierbefreierInnen ausschlaggebend ist das Ausmaß des Schmerzes, der Tieren zugefügt wird und die Anzahl der getöteten Tiere. Dies führt allgemeinen zu lächerlichen Übervereinfachungen von allen, die Tiere töten. JägerInnen sind schlecht, weil sie Tiere töten, genau wie die industrielle Landwirtschaft, genau wie HaustierbesitzerInnen, die ihre Tiere mißhandeln; für TierbefreierInnen ist das nur eine graduelle Frage. Ihr Fokus ist es einfach Leid zu beenden – eine komplette Absurdität in sich.

Wir sollten hier keinen Fehler machen: Tiere fühlen Schmerz und alle, die das Gegenteil behaupten sind dumm. Zugleich ist die Behauptung, dass Schmerz und Leid beendet werden können nicht weniger dumm. Schmerz ist ein unabtrennbarer Teil des Lebens. Tiere können in der Wildnis verhungern, sich die Knochen brechen oder von einem anderen Tier in Stücke gerissen werden. Schmerz ist dann ein biologischer Indikator von Gefahr, Verwundung und Krankheit. Er stösst Tieren dann ohne jede menschliche Einflussnahme zu. Dennoch präsentiert Animal Liberation den Schmerz und Tod von Tieren als Konsequenz einer den Menschen unterstellten moralischen Rückständigkeit, wo Tiere immer benutzt und beherrscht werden, weil wir sie nicht gleichermaßen berücksichtigen; wir uns nicht weiterentwickelt haben. TierbefreierInnen gehen auf diese Art von der widersprüchlichen und gefährlichen Behauptung aus, dass Leid und Schmerz zumindest für Tiere beendet werden können, entweder in Gänze oder sofern es von menschlichem Handeln verursacht wurde. Dabei ist die Idee das Leid zu beenden so albern wie zu versuchen die Traurigkeit abzuschaffen und überall herumzulaufen und zu versuchen die Leute zum Lachen zu bringen. Es wäre eine sinnnlose Übung. Wir sind auf intime Weise in einem Kreislauf aus Leben und Tod verbunden, der Schmerz und Leid ebenso notwendig beinhaltet wie Traurigkeit und Freude.

Dann erzählen sie uns, dass wir von ihrer Sache überzeugt wären, wenn wir nur nicht länger wegsehen würden. Entsetzliche Bilder voller Blut und Tod in der Massentierhaltung und der Verrohung der Versuchslabors kommen reichlich vor in der Propaganda der Animal Liberation. Diese Bilder werden genutzt, um das Elend zu repräsentieren und auszubeuten – sie sind nicht anders als jene, mit denen wir von den Nachrichtenmedien schockiert werden. Während uns die Medien mit Bildern der globalen Misere schockieren und uns so zugleich daran als Normalität gewöhnen, stellt die Animal Liberation Bewegung das Elend dar, um zu manipulieren und mit Schuldgefühlen zur restlosen Einnahme ihrer Perspektive zu bewegen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass TierbefreierInnen die Ausbeutung der Tiere mit dem Holocaust vergleichen, während sie zugleich implizieren, dass was Tiere durchmachen müssen tatsächlich weit schlimmer ist als alles, was Menschen erleben können. Diese Analogie spielt mit unserem Mitgefühl, während sie das Leid der Tiere quantifiziert und uns mit dem schieren Gewicht der Zahlen überzeugen will. Schmerz und Tod werden abstrahiert und bemessen, repräsentiert in einer Weise, die der ideologischen Werbung dient. Wenn uns die Millionen Tiere, die jedes Jahr sterben nicht kümmern, dann sind wir grausam und gefühllos. Wenn wir uns nicht kümmern, dann sind wir verantwortlich.

Animal Liberation liefert uns keinerlei kritische Einschätzung sozialer Herrschaft. Sie verspricht Befreiung, während sie tatsächlich fast alles auf die quantifizierende Logik einengt, die überall in der Gesellschaft zu finden ist. Die abstrahierende Sprache und manipulativen Bilder der Animal Liberation Bewegung liefern den Nachweis für ihre weitreichendere Logik, und definitiv für eine ihrer größten Schwächen. Das Elend in Schlachthaus und Versuchslabor zu messen ist ein Aufruf, der auf eine bestimmte Anzahl kapitalistischen Horrors aufbaut. Der Horror, der Tieren angetan wird, wird dadurch über alle anderen erhoben, dass immer wieder auf Leichenzählungen und Maßeinheiten des Leids verwiesen wird. Elend und Ausbeutung können jedoch nicht gemessen werden; sie wird nicht dadurch schlimmer, dass sie häufiger oder von mehr Lebewesen erfahren wird. Wir haben genau deshalb einen Bezug dazu, weil wir es jeden Tag erleben und sehen, dass es überall auf der Welt erlebt wird.

Wenige von uns würden gleichgültig auf das Gemetzel des Schlachthauses reagieren. Unsere Gesellschaft behandelt Tiere genauso, wie sie Menschen oder Bäume oder Gene behandelt. Alle werden als Einheiten ökonomischen Werts behandelt, so effizient wie möglich verarbeitet und dann in vermarktbare Waren verwandelt. Aber unsere Abscheu kommt nicht aus irgendeiner Fantasie über das Ende des Leids. Wir wollen die revolutionäre Zerstörung dieser Gesellschaft der Ausbeutung. Wir hassen die Erniedrigung und das Elend von allem, was in Objekte zum Verkauf verwandelt wird, bewertet entlang des kapitalistischen Diktats der modernen Welt. Wir wollen über unser Leben und unsere Beziehungen selbst entscheiden, außerhalb des Marktes. Es ist diese Perspektive, aus der wir Ausbeutung und Versklavung als eine Bedingung sozialer Herrschaft analysieren – eine Bedingung die umgewandelt werden kann. Aus dieser Perspektive kritisieren wir auch Animal Liberation und ihre dubiosen Versprechungen.

Dies, Das und das Gleiche: Die Widersprüche des grausamkeits-freien Konsums

Willkommen, EinkäuferInnen! Wir danken Ihnen, dass sie ein mitfühlender Konsument sind! Indem Sie nur grausamkeits-freie Produkte kaufen, können Sie helfen Kanninchen, Mäuse, Meerschweinchen, Ratten und andere Tiere zu retten. – von PETAs Caring Consumer Webseite

Animal Liberation versucht die gegenwärtigen sozialen Verhältnisse zum Teil dadurch zu reformieren, dass sie “grausamkeits-freien” und “mitfühlenden” Konsum bewirbt. Indem sie sich für diese Art ökonomischen Kosums einsetzen, beanspruchen sie, das Leiden der Tiere zu reduzieren. Die Logik lautet, kein Tier werde verletzt oder getötet, wenn keine Produkte von Tieren benutzt oder konsumiert werden. Die Idee der KonsumentInnen-Reform basiert auf dem Glauben, dass das System fehlerhaft und unnötig grausam ist und lediglich einer Reparatur bedarf. Diese Bewegung steht offenkundig nicht in Opposition zum Kapitalismus an sich, ganz gleich was einige von ihnen behaupten. Wie dem auch sei, die Realität ist, dass das Elend eine unvermeidbare Konsequenz von kapitalistischer Konsumtion Willkommen, EinkäuferInnen! Wir danken Ihnen, dass sie ein mitfühlender Konsument sind! Indem Sie nur grausamkeits-freie Produkte kaufen, können Sie helfen Kanninchen, Mäuse, Meerschweinchen, Ratten und andere Tiere zu retten.und Produktion ist. Alles was wir kaufen ist Objekt und Ware – quantifiziert, reduziert, einzig nach seiner Rolle in der Ökonomie bewertet. Elend ist einfach ein weiteres Nebenprodukt, wie Umweltverschmutzung, das keinen ökonomischen Wert hat und deshalb frei verbreitet wird.

Der Kult des Veganismus ist insofern effektiv, als er die falschen Argumente der KonsumentInnen-Reform in aller Kürze zusammenfasst. Die Widersprüche der veganen Ethik werden schmerzhaft offensichtlich, wenn wir die Herkunft aller Produkte und Waren in unserer Gesellschaft betrachten. Das Pfund Tofu oder die Flasche grausamkeits-freies Shampoo verbergen die Künstlichkeit des Anspruchs hinter dem Etikett. Die Behauptung, dass vegane Produkte nicht direkt zum Töten von Tieren beigetragen haben ist eine der vielen vermarkteten Illusionen, beworben von Konzernen, die von diesem Nischenmarkt profitieren. Die kapitalistische Produktion, angetrieben vom massenhaften Konsum, bedarf enormer Mengen von Ressourcen. Diese Ressourcen werden mit billigsten und zerstörerischsten Methoden aus der Erde herausgeholt, was massiv zur Zerstörung von Lebensräumen von Tieren und zum Tod von Tieren beiträgt. Die brutale Realität der Produktion liegt unter dem Glitter des Marktplatzes begraben.

Ihr braucht nur darüber nachzudenken, wie die Produktion funktioniert. Die Herstellung von Plastik basiert auf Öl, somit bringt die Verpackung veganer Produkte die üblichen Umweltverschmutzungen und “Unfälle” der Ölindustrie mit sich. Im Jahr werden etwa im Durchschnitt etwa 455 Millionen Liter Industrieöl ins Meer gekippt [3]. Davon stammen nur etwa 5% aus großen Tankerhavarien wie dem Exxon Valdez Desaster [4]. Der Rest stammt aus Lecks und Routineverklappungen des normalen Betriebs der Ölförderung und des Öltransports. Dieses Öl schädigt die Nistplätze von Vögeln, erstickt Strandhabitate in Schlamm, vergiftet und tötet direkt Fische, Vögel und andere Meerestiere. Der Bau von Pipelines zerstört Lebensräume von Tieren. Ölraffinerien verschmutzen die Wasserwege, vergiften Tiere und zerstören ihre Brutstätten. Nicht mit eingerechnet die Kriege um diese Ressource Öl, die hunderttausende das Leben gekostet haben und das nach wie vor tun – in Afghanistan, im Irak und in Afrika – die auch die ökologische Integrität dieser Regionen zerstören.

Tatsache ist, dass Bio-Sojabohnen für die Tofuproduktion, Tempeh und Fleischersatzprodukte das gleiche industrielle Distributions-System nutzen wie jedes andere Produkt im Laden, das enorme Mengen an Öl und anderen Ressourcen für Verpackung, Lagerung, Transport und Verteilung von food und non-food Waren über die ganze Welt verbraucht [5]. Dies übersetzt sich in zerstörte Berghänge und Flüsse durch den Bergbau fossiler Brennstoffe, den Kahlschlag von Wäldern zur Herstellung von Verpackungsmaterial, chemische Verschmutzung bei der Herstellung von Farbe, Kleber und Schmiermitteln, und so weiter, und so fort. All diese industriellen Prozesse vergiften Tiere und zerstören ihre Lebensräume. Die kapitalistische Ökonomie wird nichts tun, diese massive Zerstörung zu vermeiden, denn solche Vorkehrungen würden die Kosten der Produktion in die Höhe treiben und die Profite verringern. Was nichts anderes heißt, als dass der kapitalistische Konsum von der uneingeschränkten Ausweitung des Konsums von Ressourcen und der Zerstörung der Umwelt abhängig ist, was sein Wachstum betrifft. Der Kapitalismus muss sich ausweiten oder sterben. Durch seine Ausweitung muss die Welt sterben.

Der Veganismus präsentiert eine falsche Alternative zum kapitalistischen Elend. Weder für uns noch für die Tiere hat er und wird er je die Dinge ändern. Der Kapitalimus definiert die Bedingungen unseres Leidens und diktiert, wie wir leben werden, und wie wir ultimativ nicht werden leben können. Die Produktionsprozesse, die in vegane Produkte eingehen sind die gleichen wie für jedes andere Produkt auf dem Markt. Die Massenproduktion ist Teil einer globalen Arbeitsteilung, die weltweit Millionen Menschen ausbeutet. Ressourcen verwandeln sich nicht von selbst in Waren. Menschen produzieren sie. Sie werden ausgebeutet, um die Ökonomie in Schwung zu bringen, sie in Gang zu halten und funktionieren zu lassen. So nimmt es nicht wunder, dass KapitalistInnen Tiere wie Menschen als entbehrliche Objekte behandelt. Animal Liberation würde zwar für die Zerstörung oder Abschaffung von industrieller Tierhaltung und Metzgereien sprechen, dafür aber tierfreie Arbeitshäuser an ihre Stelle setzen. Dies ignoriert das Leid, das die Lohnarbeit mit ihrer Zerstörung der Körper und Abstumpfung der Köpfe verursacht. Wir Menschen werden vielleicht nicht für die Produktion von Nahrungsmitteln aufgezogen und getötet, für die Produktion als solche werden wir allemal genauso aufgezogen und getötet. Das morgendliche Pendeln zur Arbeit, Schulden und Miete, die Erschöpfung, die Langeweile und das Ausbleiben von Befriedigung – all das wird weiterexistieren in einer Welt, in der ausschließlich vegane Produkte verkauft werden. Es gibt keinen grausamkeits-freien Kapitalimus, nur Kapital für KapitalistInnen. Die Ökonomie sagt, wie es läuft, sie nimmt, was sie braucht und zerstört den Rest.

Um dem kapitalistischen Elend etwas entgegenzusetzen, müssen wir uns gegen das Ganze wenden, die Illusion mundgerechter Halb-Maßnahmen und KonsumentInnen-Reform-Kampagnen zurückweisen. Dringender noch bedarf die koheränte Analyse sozialer Herrschaft einer unbeirrbaren Kritik der moralischen und ideologischen Kräfte, die genau diese Analyse zu verhindern suchen.

Verdammt, wenn Du es tust – Moral als Falle des Geistes

Seine Heiligkeit ist erfreut dazu berufen zu sein…barbarische und grausame Tendenzen aus den Herzen der Menschen zu löschen – Papst Pius X

Moral ist der Herdeninstinkt des Individuums – Friedrich Nietzsche

Moral ist ein System von Regeln, ein auf “objektiv” Richtigem und Falschem aufgebautes Set rigider Codes, die ihrerseits auf Konzepten von Gut und Böse beruhen. Diese Codes können angeblich an allen Orten und zu allen Zeiten angewendet werden. Was unter einem moralischen Code als “richtig” oder “falsch” erachtet wird, bezeichnet nicht einfach das korrekte oder nicht korrekte Verhalten einer Person an einem bestimmten Ort, zu einer bestimmten Zeit, in einer bestimmten Kultur, sondern vielmehr das korrekte oder nicht korrete Verhalten aller Personen an allen Orten zu allen Zeiten. MoralistInnen beanspruchen, dass ihre Verengung universeller Standart sei, nach denen ihr Handeln und das anderer zu beurteilen ist. Diese Moral selbst ist autoritär, da wir uns ungeachtet unseres eigenen Willens konform zu ihr verhalten müssen.

Moral kommt von einer Autorität über uns. Diese Autorität kann Gott sein, der Staat, die Familie, oder verschiedene für wahr gehaltene Ideen und Einheiten, die der angenommenen Objektivität einer bestimmten Moral Geltung verschaffen. Moralische Codes definieren eine zu treffende Auswahl und richten sie aus. Sie dürfen nicht verletzt werden, da sie absolut und unbewegbar sind. Auf diese Art werden Entscheidungen nicht auf Grundlage dessen getroffen, was ein Mensch für seine Situation und Wünsche als angemessen empfindet, vielmehr werden diese Entscheidungen durch ein moralisches System vorbestimmt. Zwar brechen viele MoralistInnen gelegentlich aus ihrer Schublade aus, doch ist dies begleitet von Gefühlen der Scham und der Schuld, da sie Regeln gebrochen haben, von denen sie glauben, dass sie gerecht und gut sind. Damit ist Moral für all jene Antithese, die versuchen auf eine Art und Weise in der Welt zu denken und zueinander zu handeln, in der sich ihr Begehren wiederfindet.

Entsprechend sind moralische Argumente nicht auf kritisches theoretisches Denken gegründet. Moralische Argumente oder Ansprüche können nur durch dagegenstehende moralische Ansprüche widerlegt werden. Fleisch essen mag für eine VegetarierIn falsch sein, für eine FleischesserIn ist es das nicht. Die Behauptung von richtig und falsch kann immer weiter gehen, bis der Mund müde und die Zunge trocken ist. Wie dem auch sei, die Moral ist entsprechend der Kultur der sie entspringt [6]. Auffassungen von richtig und falsch werden von der Gesellschaft gesetzt, insbesondere von denjenigen, die die Gesellschaft kontrollieren. Wer sagt, das die in Stammesgesellschaften lebenden Jäger und Sammlerinnen MörderInnen sind, weil sie Fleisch essen ist mehr als alles andere in den eigenen arroganten moralischen Urteilen befangen. Es ist genau dieser Mangel an kritischem Denken, der vor dem Erkennen gemeinsamer Interessen der Menschen Barrieren errichtet.

Manche TierbefreierInnen erzählen jenen, die Fleisch essen, voll gerechter Entrüstung wie böse ihre Nahrung ist. Diese indifferenten oder apathischen FleischesserInnen müssen darauf hingewiesen werden, dass sie zum Mord an unschuldigen Wesen beitragen. Wenn sie nicht zuhören, machen sie sich schuldig. Wenn sie zuhören aber nicht handeln, machen sie sich noch schuldiger. Die schwarzen und weißen Schatten der Moral fallen wie der Hammer des Richters. Kampagnen zur “Bildung” der Menschen über Grausamkeit an Tieren oder Veganismus werden wie Missionsprojekte durchgeführt. Fromme Verurteilungen des Versagens anderer Leute, sich dem “Beenden des Leids” zu verschreiben ähneln allzu sehr dem Priester auf seiner Kanzel, der diejenigen tadelt, die sich noch von ihren Sünden zu befreien haben. Diese Schuld führt einfach nur dazu, dass sich die Leute scheiße fühlen für ihre ohnehin machtlose Position in der Gesellschaft, eingeschränkt auf die Auswahl, die der Kapitalismus uns aufnötigt. Sie befördert keine kritische Bewertung der sozialen Bedingungen, die zur Ausbeutung der Tiere beiträgt, sondern ermuntert zu blindem Gehorsam im vorbestimmten Richtig und Falsch.

Verschiedene soziale Institutionen – Religion, Schule, Arbeit, Familie – vermitteln moralischen Gehorsam, um unser Denken und Handeln intern zu regulieren und verschiedene Institutionen sozialer Herrschaft durchzusetzen. Die Moral ist der Bulle in unseren Köpfen, eine Fessel individueller und kollektiver Verwirklichung, und ein Hindernis für alle, die den Wunsch haben ihr Leben frei zu bestimmen. Wenn wir beginnen, für uns selbst zu entscheiden, was wir wollen und wie wir leben wollen, und es anderen erlauben dies auch zu tun, werden wir Riesenschritte dahingehend machen, uns von den unsichtbaren Gefängnissen zu befreien.

Ideologie, verlässliche Fessel

Da die Ideologie immer die Form ist, welche die Entfremdung in der Sphäre des Denkens annimmt, verstehen wir umso weniger unsere reale Situation, je mehr die Entfremdung zunimmt… Und je weniger wir unsere eigene autonome Existenz beanspruchen, umso greifbarer wird unsere Existenz mit dem Kapitalismus, mit den gefrorenen Bildern unserer Rollen in all den verschiedenen sozialen Hierarchien und Transaktionen des Warentauschs. – Lev Chernyi, “Eine Einführung der Kritischen Theorie”

Die Ideologie arbeitet auf ähnliche Art wie die Moral. Anstatt die Regeln objektiver Wahrheiten über richtig und falsch zu befolgen, werden rigide Programme und Perspektiven angenommen, die in einer Idee oder einem Konzept enthalten oder verbunden sind. Es gibt keinen Raum für irgendeine Beweglichkeit. Die Ideologie umschließt einen Aspekt des Lebens gänzlich und regiert unser Verhältnis dazu. Solcherart findet das ideologische Denken anstelle des kritischen Denkens statt. Die Welt, oder Aspekte der Welt, werden durch den Filter der Ideologie verstanden. So unterhält zum Beispiel die demokratische Ideologie die Idee, sozialen Wandel durch Wahlen, politischer Repräsentation und Gesetzgebung zu erreichen. Sie propagiert den Glauben in formale Politik in gleichem Maße, wie sie autonome direkte Aktionen verhindert. Die Kraft dieser Ideologie, wie aller Ideologie, liegt darin, das Denken in begrenzte Möglichkeiten und Perspektiven zu leiten und daran anzupassen. Die Ideologie steht einer kritischen theoretischen Analyse entgegen, die uns Situationen und Ideen auf der Grundlage ihrer tatsächlichen Brauchbarkeit für unsere Praxis zugänglich zu machen [7].

Animal Liberation fällt nicht aus diesem Rahmen; sie ist von Grund auf ideologisch. Sie ordnet alles der Sache der Tiere unter. Die Ausbeutung der Menschen und die Zerstörung der Umwelt mögen der TierbefreierIn noch immer wichtig sein, aber sie werden als getrennte Themen gesehen. Die Ideologie macht Menschen unfähig, außerhalb von ihr stehende Dinge im Zusammenhang zu sehen oder zu verstehen. Alles wird unter der Maßgabe eingeordnet, wie es sich zur Sache der Tiere verhält. Ein Versuchslabor ist in der Hauptsache ein Ort der Folter an Tieren, die Verletzungen, die pharmazeutische Tests Menschen zufügen, die Millionengewinne, und das unhinterfragte Fortschreiten der Technologie werden vernachlässigt. Ein Fleischhauer schneidet jeden Tag Tiere in Stücke. Wir hassen, was mit den Tieren gemacht wird, wenn sie reihenweise nebeneinander verbluten, übereinander, an Haken. Aber die Ideologie der Animal Liberation erlaubt es nicht, die gleichen Überlegungen über die menschlichen ArbeiterInnen anzustellen, die Gefahren und Verletzungen, denen sie in dieser Tofu-Fabrik oder jener Sojamilch-Anlage ausgesetzt sind. Ihre Degradierung zu ersetzbaren Rädchen im Produktionssystem wird nicht als gleichermaßen bedenkenswert erachtet, denn Tier und Mensch werden als getrennte Kategorien gesehen, von denen die erste über die zweite gesetzt wird.

Der Veganismus demonstriert deutlich die alles umschließende Kraft der Ideologie. Einige VeganerInnen kümmert es wenig, wie gut sie essen, solange sie keine Tierprodukte konsumieren. Scheiße zu essen (z.B. stark behandelte, mit Chemie beladenen veganen Junk-Food) und den eigenen Körper zu zerstören ist akzeptabel, solange es vegan ist. Es ist in Ordnung die eigene Gesundheit zu zerstören, denn das zerstört nicht die Gesundheit eines Tieres – eine Illusion in sich. So wird alles zur einer Sache im Interesse von Tieren, werden andere Faktoren ausgeklammert. Die Absolutheit der Führung eines veganen Lebenstils erlangt Priorität über alle anderen Belange und nährt die Illusion, dass veganer Konsum nicht zum Leiden der Tiere beitragen würde. Sie macht die Leute blind für die Realität dessen, was sie konsumieren, erlaubt es, die Voraussetzungen dessen auf behagliche Art anzuerkennen ohne sie kritisch zu bewerten.

Wir müssen Animal Liberation und Veganismus in einen sozialen Kontext stellen, um sie in Ausmaß und Bedeutung verstehen zu können. Die Ideologie der Animal Liberation und der daraus entspringende vegane Lifestyle sind fragmentierte Oppositionen, die den Weg, auf dem das kapitalistische System Wandel konzeptualisiert völlig übernehmen. Sie geben der Idee Kraft, dass die Auswahl, die ein Mensch als KonsumentIn trifft zentrale Bedeutung hat – dass sie nicht nur die Identität eines Menschen bestimmt, sondern auch der Weg ist Wandel herbeizuführen. Die Versprechungen des “grausamkeits-freien” Veganismus propagieren eine abstrahierte Sichtweise sozialen Wandels, bei dem das “Retten” zahlreicher Tiere durch Konsum im Mittelpunkt steht. Diese falsche Opposition wendet sich gegen einen Aspekt von Unterdrückung, während er nichts dazu beiträgt, dessen systemische Ursachen zu zerstören, in diesem Fall die Herrschaft des Kapitalismus.

Einige VeganerInnen argumentieren, dass ihre Lifestyle-Entscheidungen besser sind als nichts, ganz so wie einige sagen, dass die Demokraten immer noch besser sind als die Republikaner. Daraus spricht das fragmentierte Verständnis des Veganismus von sozialer Ordnung, der einzig auf das “Reduzieren des Leids der Tiere” gerichtete Tunnelblick. Währenddessen werden Tiere weiter zu Fleischmaschinen gemacht, verarbeitet von Leuten, die gezwungen sind als Arbeitsmaschinen zu funktionieren – beide unter monetären Erwägungen hin und her gehandelt, ausgebeutet, zu kapitalistischen Zwecken genutzt. Der Kapitalismus definiert die gesellschaftlichen Rollen von Mensch und Tier, während der Veganismus diese Beziehung vor allem verschleiert, indem er einen illusionären “mitfühlenden” Konsum anpreist.

Eine verwandte Ideologie, verbreitet unter radikalen TierbefreierInnen, grünen AnarchistInnen und UmweltaktivistInnen ist es, die Schuld am Schaden, der Tieren und Umwelt zugefügt wird, allen Menschen zuzuschreiben, speziell der menschlichen Natur. Dies ist nur leicht verkleideter Menschenhass. Animal Lib erhöht das Dasein der Tiere, weil sie als wehrlos, friedlich und unschuldig gesehen werden, während Menschen nicht über diese Qualitäten verfügen. Ein Menschenfeind würde sagen, dass einige oder alle Menschen im Innersten schlecht und grausam sind, sich nicht kümmern, oder sogar, dass einige Menschen es lieben zu töten, zu foltern und zu verletzen [8]. Sie würden sagen, das dies die Natur des Menschen sei. Aber diese Handlungen sind nicht das Produkt unserer Natur; wir werden weder von unseren Instinkten regiert noch von einer abstrakten Idee einer menschlichen Natur. Noch gibt die menschliche Geschichte Anlass zu vermuten, dass Menschen im Innersten grausam und zerstörerisch sind. Dieses Debakel von aufgezwungenem Elend und Herrschaft sind ein Produkt der menschlichen Gesellschaft, nicht einer menschlichen Natur, die unterdrückt oder moralisiert werden müsste.

Die verschiedenen Institutionen, aus denen sich die Gesellschaft zusammensetzt, regieren unser Handeln in ihrem Innern. Wir sind nicht einfach Individuen, die tun was immer sie wollen. Wir haben sehr wenig Wahlmöglichkeiten in der Frage wie wir überleben, die alle regiert sind davon, Produkte der Ausbeutung zu kaufen und selbst ausgebeutet zu werden, um sie herzustellen. Uns wird ununterbrochen gelehrt dieses Leben zu akzeptieren, nicht viel anders als Gefangene daran gewöhnt werden ihre Zellen zu akzeptieren. Menschenhass kann hierarchische und ausbeuterische soziale Beziehungen weder erklären noch erhellen. Er ist nichts als eine faule ideologische Entschuldigung dafür, über die gegebenen Probleme nicht kritisch nachzudenken.

Wenn wir das kapitalistische System und seine Folgen angreifen wollen, müssen wir es als systematisches Ganzes verstehen und als solches dagegen handeln. Sonst nimmt die Opposition die übliche Form an, spielt der Ideologie von Reform und Radikalismus in die Hande, ohne eine kritische Theorie darüber im Gepäck zu haben, wie wir was angreifen müssen. Ideologie macht Schafe aus den Menschen. Dass uns gesagt wird, oder dass wir uns sagen, dass wir frei sind heißt nicht, dass wir es tatsächlich sind. Wir werden aller Theorie, Ideologie und Praxis gegenüber kritisch sein müssen, wenn wir bestimmen wollen, wie brauchbar sie dafür sind diese Gesellschaft der Ausbeutung zu transformieren, oder besser noch, sie zu zerstören.

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