anarchistische Bibliothek FERMENTO: Veranstaltungen April-Mai

FERMENTO
anarchistische Bibliothek
Rosengartenstrasse 10, 
8037 Zürich

Öffnungszeiten:
Mittwoch: 17:00 – 21:00
Samstag: 14:00 – 19:00

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Veranstaltungen
April-Mai 2012

–  Abendessen
(Gegen freie Spende zur Unterstützung der Bibliothek)
Mi, 4. April, Ab 20:00

– Der politische Kampf
Diskussion über den Text des italienischen Anarchisten Giuseppe Ciancabilla
Mi, 18. April, Ab 20:00

– Abendessen
(Gegen freie Spende zur Unterstützung der Bibliothek)
Mi, 2. Mai, Ab 20:00

– Das rebellische Griechenland
Offene Diskussion über die soziale Auflehnung in Griechenland und ihre Bedeutung für uns hier.
Sa, 12 Mai, Ab 19:00

– Sprung ins Unbekannte
Gedanken für eine anarchistische Offensive im Herzen der Befriedung.
Diskussion über den Text
Mi, 16. Mai, Ab 20:00

–  Geschichte der anarchistischen
Ideen in der Schweiz
Vortrag und Diskussion
Sa, 26. Mai, Ab 19:00

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www.fermento.noblogs.org

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Folgend Auszüge aus den zur Diskussion stehenden Texten und Einleitungen zu den anderen Veranstaltungen.
Ausserdem eine Rezension der Schrift „Von der freiwilligen Knechtschaft“ von Etienne de la Boétie.
Dieser Veranstaltungsflyer kursiert in gedruckter Form, wer jeweils von diesen Flyern erhalten will, schreibt an die obige Mail-adresse. Das PDF befindet sich hier.

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Der politische Kampf
Giuseppe Ciancabilla

Dieser Text, der vor kurzem ins Deutsche übersetzt wurde, erschien 1899 in der italienischsprachigen anarchistischen Zeitschrift L‘Aurora. Auch wenn die Gedanken von Ciancabilla über hundert Jahre alt sind, sprechen sie mit einer Klarheit in den Ideen und einer Präzision in der Sprache viele Fragestellungen an, die heute nicht im geringsten an Wichtigkeit verloren haben.
Er untersucht das Wesen der Regierung, indem er dem Autoritätsprinzip auf den Grund geht, auf dem das menschliche Zusammenleben scheinbar seit jeher beruht, um anschliessend auf geeignete Methoden zu kommen, es zu bekämpfen, indem er sich mit der Frage der Organisation auseinandersetzt.
Denn, spiegelt nicht diese Frage, also die Art und Weise, wie wir uns heute in unseren Kämpfen organisieren wollen, auch die Art und Weise jener Welt wieder, die wir uns wünschen?

Folgend einige Auszüge aus dem Text:

«Viele sozialistische Schulen, darunter speziell die legalitäre Schule, definieren die Regierung als die ausschliessliche Vertretung der ökonomischen Interessen […]. In Anbetracht dieser Auffassung des Regierungswesens erweist es sich als offensichtlich, dass der einzige radikal revolutionäre Akt, der zum Aufkommen ihrer idealen Gesellschaft führen wird, für diese sozialistischen Schulen darin besteht, das individuelle Eigentum abzuschaffen und die Produktions- und Tauschmittel zu vergemeinschaften. […] Wir, als Anarchisten, und vor allem als Libertäre, haben eine andere Auffassung der Regierung. […] Für uns ist die Regierung nicht die Konsequenz aus dem Prinzip des individuellen Eigentums und aus der ökonomischen Ausbeutung des Menschens durch den Menschen, sondern der direkte Auswuchs des Autoritätsprinzips, welches […] schon vor ihm existierte. »
« Es ist klar, dass der einzig mögliche politische Kampf gegen die konstituierte Regierung der sowohl individuelle wie kollektive revolutionäre Kampf ist. […] Doch der revolutionäre Kampf gegen das bereits konstituierte Autoritätssystem genügt nicht. Wir müssen ebenfalls dafür sorgen, dass morgen, nachdem das System von Eigentum und Autorität zerstört ist, das uns heute unterdrückt, nicht wieder eine andere Form von Autorität aufkommt, wie verhüllt diese auch erscheinen mag: eine beliebige Form von Zentralisierung, von Verwaltung, von autoritärer Delegation, die später Gefahr laufen kann, sich in ein neues, aber immer identisches Machtinstrument zu verwandeln.
[…] Leider aber wird auch unter eben den Anarchisten der politische Kampf gegen die Regierung und die Autorität, und für die Verwirklichung der Anarchie, von einigen mit Grundsätzen geführt, die wir für das gute Gelingen unserer Sache für absolut schädlich halten.
[…] Diese Grundsätze sind vor allem jene sogenannten Organisationsgrundsätze, die gebraucht werden, um die anarchistischen Kräfte in komplizierten und besonders zentralisierenden Organismen einzureihen, die wir für mehr als schädlich für die freie Entwicklung des Individuums halten, und die zum zwangsläufigen Ergebnis die Erstickung der individuellen Initiativen und der eigenen Freiheit haben.
[…] Wir wollen stattdessen das Individuum bis zum höchsten Grad entwickeln und wir wollen ihm das rebellische und stolze Bewusstsein der eigenen Kraft geben, der eigenen Energie, der eigenen Fähigkeit, zu wollen, zu handeln und zu erschaffen.
[…] Die Parteiorganisation, mit ihren Programmen, die zur Disziplin werden, mit ihren Föderationen, die zu bürokratischen Sackgassen werden, mit ihren zentralen Kommissionen, die, auch ohne es zu wollen, zur Führung und Autorität werden, mit ihren einheitstaktischen Einschränkungen, die die Gruppen und Individuen lähmen, sind nach unserer Überzeugung nicht nur unnütz, sondern schädlich für die Entwicklung jenes Empfindens der eigenen Individualität, auf deren Entwicklung die Anarchisten all ihre Kräfte der freiheitlichen Bildung zusammenführen sollten, wenn sie nicht nur die Revolutionäre und Zerstörer des Heute, sondern auch die Wiederaufbauer und Erschaffer des Morgens sein wollen.»

Dieser Text ist als 24-seitige Broschüre in der Bibliothek Fermento erhältlich. Er kann auch im Internet [www.fermento.noblogs.org] gelesen oder per Mail angefragt werden.

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Das rebellische 
Griechenland

Es ist klar, dass die Rettung der zerfallenden griechischen Wirtschaft auf dem Rücken der bereits armen
    Schichten der Bevölkerung passieren soll, immer klarer wird aber auch, dass diese das unter keinen Umständen akzeptieren werden. Seit Jahren schon schaukelt sich Griechenland von einer sozialen Wutexplosion zur nächsten. Am 12. Februar 2012, dem Tag der Abstimmung über erneute Sparmassnahmen, brachen wieder massive Unruhen aus, die in allen grösseren Städten des Landes wüteten. Es scheint immer deutlicher, dass es aus dieser Situation nur zwei Auswege geben kann: Entweder eine eiserne autoritäre Regierung, die die Revolten niederzuschlagen, die Armen (durch Rassismus, Nationalismus, etc.) gegeneinander auszuspielen und ihre Konflikte zu verwalten weiss; oder aber eine Generalisierung der Konflikte in einem sozialen Aufstand gegen die Regierung, der sich hoffentlich nicht mit einer blossen „politischen Revolution“ zufrieden geben wird, sondern darauf abzielt, alle sozialen Verhältnisse fundamental umzuwälzen, um sich, ohne jede Regierung, das Glück und die Freiheit selbst zu besorgen.
Wir laden alle, die Erfahrungen, Wissen und Ideen über die soziale Erhebung in Griechenland haben oder erfahren möchten, dazu ein, uns gemeinsam darüber auszutauschen. Vor allem aber, laden wir alle, die sich von den dortigen Erhebungen ermutigt fühlen, auch im eigenen Kontext zu kämpfen, dazu ein, gemeinsam darüber zu diskutieren, was die Situation in Griechenland für uns hier bedeutet, wie wir unsere Solidarität ausdrücken wollen, um auch hier das zu beleben, was uns und viele andere dort unten inspiriert: nämlich die Auflehnung gegen die Herrschaft über unser Leben, gegen unsere Einschränkung, Bedrängung und Unterdrückung durch Gesetze und Autoritäten, die eine Ordnung durchsetzen, die wir nicht wollen. Eine Ordnung, von der nur profitiert, wer sein Wohl in der Anhäufung von Geld und Macht auf Kosten von anderen sucht. Wenn wir aber eine Welt wollen, in der wir unser Wohl in der grenzenlosen Freiheit aller suchen, ermöglichen uns dann vielleicht nicht gerade solche sozialen Auflehnungen, wie wir sie in Griechenland erleben, wieder auf mehr Vorstellungsvermögen zu stossen, wenn wir von dieser Idee einer ganz anderen Welt sprechen?

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Sprung ins Unbekannte
Gedanken für eine anarchistische Offensive 
im Herzen der Befriedung

Dieser Text, der im März 2011 in Zürich erschien, und mittlerweile auch ins Französische übersetzt wurde, versucht, sich etwas eingehender mit dem Kontext zu befassen, in dem wir hier in der Schweiz leben, um darin mögliche anarchistische Perspektiven zu entwerfen. Er setzt sich dabei mit der Geschichte sozialer Kämpfe in der Schweiz und der heutigen Situation in den „libertären“ Umfeldern auseinander. Nachdem dieser Text nun bereits seit mehr als einem Jahr zirkuliert, und hoffentlich einige Diskussionen auslöste, wollen wir versuchen, diese zusammenzutragen.

Folgend einige Auszüge aus „Sprung ins Unbekannte“:

«Nun, wir fragen uns: Wie könnte eine revolutionäre anarchistische Praxis aussehen, unter den spezifischen sozialen Bedingungen in der Schweiz? Wir denken, dass es zunächst notwendig ist, die Illusion zu beseitigen, die allzu oft als Rechtfertigung für die eigene Resignation dient, dass hier alles tausend Mal schwieriger sei als sonstwo, dass alles völlig befriedet sei und sich sowieso niemand für unsere Ideen interessiert. Um dann die lokalen Besonderheiten ins Auge zu fassen, die eine Herangehensweise erfordern, die weder unbedingt schwieriger noch einfacher, sondern schlicht anders ist, als sonst irgendwo.
[…] Wir leben in einem Land, in dem sich die kapitalistische Herrschaft so ungestört wie selten irgendwo verfestigen konnte. Wenn wir die Geschichte revolutionärer Kämpfe betrachten, können wir das Gefühl nicht leugnen, auf einer Insel der Befriedung zu leben. Scheinbar seit jeher von der demokratischen Illusion umwoben, hat die schweizer Bevölkerung, zumindest seit Beginn der Industrialisierung, kaum tief einschneidende Klassenkonflikte erlebt, die ganze Bevölkerungsschichten dazu gebracht hätten, sich mit sozialrevolutionären Ideen auseinanderzusetzen. Keine grösseren Aufstände, die versuchten, gleichzeitig mit dem gesamten politischen System, alle Gewohnheiten und Traditionen zu untergraben.
[…] Das Erbe dieser Geschichte, dieser Spärlichkeit an sozialen Konflikten ist jene Verkümmerung der Vorstellungskraft, die wir heute oft erleben, wenn wir das Wort Revolution bloss in den Mund nehmen; es ist ein Mangel an subversiven Ideen, die durch solche Konflikte wachsen und sie wiederum provozieren könnten, sowie ein Mangel an Kampferfahrungen, auf die man zurückgreifen und die man weiterentwickeln könnte.
[…] Zurzeit rührt sich also wenig, kein Brodeln, in dem unsere Ideen der Gärstoff für enthousiastische Vorstosse gegen diese Welt sein könnten. Weniger als die Frage der Intervention, stellt sich uns heute jene der Provokation von sozialen Kämpfen.
Wo liegen die Unzufriedenheiten? Wo liegen die Verantwortlichkeiten dafür? Inwiefern sind diese bereits verständlich, oder können sie verständlich gemacht werden? Eignet sich das Thema als Ausgangspunkt, um einen anarchistischen Diskurs zu lancieren? Bietet es eine Vielfalt an ersichtlichen und reproduzierbaren Angriffsmöglichkeiten?
[…] Egal um welche spezifische Thematik sich ein solcher Kampf drehen mag, die Qualität liegt im unintegrierbaren Charakter der Mittel, die wir wählen, und der Kritik, die wir entwickeln; darin, dass wir ausgehend von jedem Punkt das aufzeigen wollen, was nur auf die Infragestellung der Gesamtheit hinauslaufen kann.
[…] Eine revolutionäre anarchistische Bewegung, verstanden als Dynamik und nicht als Einheitlichkeit, könnte sich dadurch konstituieren, dass eine jede autonom von Individuen oder Gruppen von Individuen ergriffene Initiative (seien dies direkte Aktionen, Flugblätter, Plakate, verschriebene Mauern, Zeitschriften, Blockaden, Sabotageakte, vertiefende Texte, Diskussionen, Demos, etc.), durch jede weitere an Bedeutung gewinnt – in einem Wechselspiel von Ergänzungen, Weiterentwicklungen, Konflikten und Kritik. Die Isoliertheit der Initiativen, die so viele beklagen, liegt also an jeder einzelnen Person zu durchbrechen. Ihre mangelnde Tragweite liegt an jedem und jeder zu erweitern. Eine Bewegung die auf einer solchen Dynamik beruht, ist nicht nur flexibler und lebendiger, sie entgeht auch den autoritären Fallen, die sich hinter dem Organisationismus und Programmatismus verbergen, die schon so viel subversive Spontaneität erstickten.»

Dieser Text ist als 32-seitige Broschüre in der Bibliothek Fermento erhältlich. Er kann auch im Internet unter [www.fermento.noblogs.org] gelesen oder per Mail angefragt werden.

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Geschichte der anarchistischen Ideen in der Schweiz

A narchistische Ideen haben in der Schweiz, entgegen der Vorstellungen von vielen, eine alte, lebendige 
    und vielfältige Geschichte. Und wir sprechen hier nicht nur von den hiesigen Treffen der  1. Internationale und der Juraföderation. Wir sprechen vor allem von sozialen Aufruhren und Kämpfen, die immer wieder aufgrund der miserablen Lebens- und Arbeitsbedingungen ausbrachen, und an denen sich auch Anarchisten beteiligten. So brachen Anfangs 19. Jahrhundert in Genf und in anderen Städten teils massive Unruhen aus, die blutig vom Militär niedergeschlagen wurden, und fanden mehrere Versuche zu regionalen Generalstreiks statt. Verschiedene anarchistische Zeitschriften wurden ins Leben gerufen, viele davon von den zahlreichen exilierten Revolutionären, die beispielsweise vor der Repression nach der Pariser Kommune oder nach dem Aufstand von 1898 in Mailand flüchten mussten. Wir wollen auch vom Anarchisten Luigi Lucheni erzählen, der die Kaiserin Elisabeth von Österreich in Genf mit einer Feile erstach, sowie von den Wellen von Anarchistenausweisungen durch den Schweizer Staat. Schliesslich wollen wir die Art und Weise untersuchen, wie der Schweizer Staat die sozialen Konflikte verwaltete: durch das Erkaufen des Arbeiterfriedens und die demokratische Illusion…
Nun, was können wir mit dieser Geschichte anfangen, die uns zeigt, das die freiheitlichen Ideen und Verlangen, die wir haben, bereits eine Vergangenheit haben, die uns wertvolle Erfahrungen und Spuren überliefert. Kann sie uns vielleicht helfen, in einer Frage voranzukommen, an der wir heute so oft anstehen, obwohl sie zu anderen Zeiten bereits so lebendig diskutiert wurde? Eine Frage, die sich heute, angesichts der steigenden sozialen Konflikte, auch den Anarchisten wieder deutlich aufdrängt: Wo wollen wir hin?

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Auszüge und Rezensionen 
von Büchern

Von der freiwilligen Knechtschaft
Etienne de la Boétie

« Dieser Essay verkündigt, was in anderen Sprachen später Godwin und Stirner und Proudhon und Bakunin und Tolstoi sagen werden: In euch sitzt es, es ist nicht draussen; ihr selbst seid es; die Menschen sollten nicht durch Herrschaft gebunden sein, sondern als Brüder verbunden. Ohne Herrschaft; 
An-Archie. »
Gustav Landauer, in „Die Revolution“, 1907

Etienne de la Boétie, 1530 in Südwestfrankreich, mitten in der Zeit der Bauernaufstände geboren, verfasste angeblich mit 18 Jahren diese Schrift, die zunächst nur in handgeschriebenen Abschriften Verbreitung fand, und erst später, vor allem in Zeiten revolutionärer Umwälzungen, wiederentdeckt und neugedruckt wurde. Sie kann als eine der frühesten und wegbereitenden Untersuchungen über die Gründe betrachtet werden, die den Menschen dazu veranlassen, auf die eigene Freiheit zu verzichten, um sich Entscheidungen zu unterwerfen, die von jemand anderem getroffen werden. Etwas weniger bekannt ist der ursprüngliche Titel dieses Werkes: Contr‘un [Gegen den Einen]. Sein Erscheinungsdatum veranlasst viele, den historischen Umfang dieser Analyse und ihrer Bedeutung herabzusetzen und ihre Sprengkraft zu entschärfen. So wird der Contr‘un von vielen Kulturprofessoren und politischen Aktivisten schlicht als liebenswerte Kritik der Monarchie und als kräftiger Aufruf zur Demokratie betrachtet. Demnach wäre der richtige Platz für La Boétie in den staubigen Regalen irgendwelcher historischen Bibliotheken oder in den vielleicht etwas gereinigteren Regalen irgendwelcher Kaderschulen für Kulturgeschichte. Als ob die von ihm aufgeworfene Fragestellung – Wieso der Macht gehorchen? – nicht die ganze Geschichte bis zum heutigen Tage durchdringt.
Denn es ist unschwer zu verkennen, wie sehr sich die Herrschaft noch heute, vielleicht nicht technisch, aber gewiss wesentlich noch immer auf dieselben geistigen Grundlagen im Menschen stützt, wie sie La Boétie formulierte. Der libertäre Antropologe Pierre Clastres zum Beispiel, der ihm ein Essay gewidmet hat, sah im Konzept des Staates eben jenen Einen, der sich anmasst, das Leben des Volkes zu befehlen, zu leiten und zu regulieren. Ein Staat, der wesensgemäss – was auch immer sein politisches System, sein ökonomisches Modell und das technologische Level sein mögen – immer Synonym für Ausbeutung und Unterwerfung ist.
Doch, um La Boétie zu zitieren, « woher nimmt er so viele Augen, um euch auszuspähen, wenn ihr sie ihm nicht liefert? Woher hat er so viele Hände, um euch zu schlagen, wenn er sie nicht von euch nimmt? Woher hat er die Füsse, mit denen er eure Städte niedertritt, wenn es nicht eure eigenen sind? Wie hat er irgendeine Macht über euch, wenn nicht durch euch? […] Was könnte er euch tun, wenn ihr nicht die Hehler des Diebes wäret, der euch plündert, Spiessgesellen des Mörders, der euch tötet und Verräter gegen euch selbst? »
« Es ist nicht zu glauben, wie das Volk, sowie es unterworfen ist, sofort in ein solches und so tiefes Vergessen der Freiheit fällt, dass es ihm nicht möglich ist, sich zu erheben, um sie wieder zu bekommen. Es dient so frisch und so freudig, dass man, wenn man es sieht, meinen könnte, es hätte nicht seine Freiheit, sondern sein Joch verloren. Anfangs steht man freilich unter Zwang und ist von Gewalt besiegt; aber die, welche später kommen, die welche die Freiheit nie gesehen haben und sie nicht kennen, dienen ohne Bedauern und tun gern, was ihre Vorgänger unter Zwang getan haben. Es ist, dass die Menschen unter dem Joche geboren werden; sie wachsen in der Knechtschaft auf, sie sehen nichts anderes vor sich, begnügen sich, so weiter zu leben, wie sie zur Welt gekommen sind und lassen es sich nicht in den Sinn kommen, sie könnten ein anderes Recht oder ein anderes Gut haben, als das sie vorgefunden haben; so halten sie den Zustand ihrer Geburt für den der Natur.
[…] Gewiss hat die Gewohnheit, die in allen Dingen grosse Macht über uns hat, nirgend solche Gewalt wie darin, dass sie uns lehrt, Knechte zu sein und […] uns beibringt, das Gift der Sklaverei zu schlucken und nicht mehr bitter zu finden. »
Schliesslich warnt er noch davor, was wir oft genug in der Geschichte erlebt haben: « man hüte sich vor den Verschwörungen der Ehrsüchtigen, die den Tyrannen verjagen oder töten, die Tyrannei aber bewahren und fortpflanzen; sie missbrauchen den heiligen Namen der Freiheit. »
So schliesst auch Max Nettlau rund 400 Jahre später seine Passage über La Boétie in seiner Nachforschung über die Geschichte anarchistischer Ideen („Der Vorfrühling der Anarchie“): « die Worte La Boéties verklangen und wurden nicht gehört; so blieb die Knechtschaft und verstärkte sich. Nur manchmal, aber nie ohne eine Initiative einzelner und ohne eine auf die Vorstellungskraft aller wirkende Situation, ist die Masse für einen Moment des Gehorsams müde. Sie stützt den tönernen Koloss nicht mehr, und er bricht zusammen. Aber schon lauern in der Regel andere Tyrannen und setzen sich  an seine Stelle; die Freiheit wurde bisher kaum für Minuten je gewonnen. »

Die Schrift von Etienne de la Boétie ist in der Bibliothek Fermento ausleihbar. Leider in einer schrecklichen Ausgabe des „Trotzdem“ Verlags, mit einer Einleitung von Ulrich Klemm, der in ihr nichts anderes sieht, als ein „Klassiker des zivilen Ungehorsams und des gewaltfreien Anarchismus“. Mit ihrer bürgerrechtlichen und demokratischen Auslegung, ist diese Einleitung der beste Beweis dafür, wie das subversive Potential dieser Schrift zunichte gemacht werden kann.
Wir werden deshalb versuchen, sie demnächst als eigenständige Broschüre neu zu drucken.
Auch die Bücher „Die Revolution“ von Gustav Landauer und „Vorfrühling der Anarchie“ von Max Nettlau, aus denen oben zitiert wird, befinden sich in der Bibliothek Fermento. Beide Bücher können aufgrund ihres Alters und ihrer Seltenheit jedoch nur vor Ort konsultiert werden.

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Die Bücher dieser Bibliothek sollen also weder Waren zur blossen Unterhaltung, noch Materialien zum blossen Studium, weder alte Geschichten zur Flucht in die Nostalgie, noch Ideologien auf der Suche nach Anhängern sein. Sie sollen ein Ferment, ein Gärstoff aus Ideen sein, der das soziale Gemisch zum brodeln bringt und den Tatendrang belebt. Sie sollen ein Werkzeug sein; zur Subversion der herrschenden Verhältnisse und zur Konstruktion 
von freien Beziehungen.

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FERMENTO
anarchistische Bibliothek

–    Bibliothek (Ausleihe und Konsultation)

–    Archiv (alte und aktuelle Publikationen aus verschiedenen Ländern, Dokumentationen zu Kämpfen und Personen, etc.)

–    Distribution (Flugblätter, Plakate, 
Broschüren, aktuelle Publikationen, etc.)

In Deutsch, Italienisch, Französisch, 
Englisch und anderen Sprachen

–    Kopierer und Arbeitsfläche

–    Kaffee, Tee und anderes

Für Kontakt, Fragen, oder um über Veranstaltungen informiert zu bleiben:

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Lage:
Tram 13 bis
„Wipkingerplatz“
Bus 46 bis 
„Rosengartenstr.“
oder Zug bis
„Bahnhof Wipkingen“

Rosengartenstrasse 10, 
8037 Zürich

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Ein Flugblatt zur Bibliothek gibt es hier:
http://ch.indymedia.org/de/2012/02/85522.shtml

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