Lebensminimum

Potlatch IV, 13. Juli 1954:

„Es kann nie oft genug gesagt werden: die Forderungen der Gewerkschaftsbewegung sind heute zum Scheitern verurteilt; weniger wegen der Spaltung und der Abhängigkeit dieser anerkannten Organismen, als wegen der Dürftigkeit ihrer Programme.
Den Arbeitern kann nicht oft genug gesagt werden, dass ihre unersetzbaren Existenzen auf dem Spiel stehen, Existenzen, in denen alles geschehen könnte; dass es ihre schönsten Jahre sind, die da verstreichen, ohne echte Freude, ohne dass sie auch nur einmal zu den Waffen gegriffen hätten.
Nicht um die Forderung, das „Existenzminimum“ zu garantieren oder zu erhöhen, geht es, sondern darum, dass aufgehört werden muss, die Massen auf dem Lebensminimum zu halten. […]
Das Regime […] weitet seine Gefängnisse immer weiter aus, in denen es weiter nichts zu gewinnen gibt, aber ausser Ketten auch nichts zu verlieren.
Das Leben ist jenseits davon zu gewinnen.
Nicht die Frage der Lohnerhöhung ist zu stellen, sondern die der Lebensbedingungen der Bevölkerung im Westen.
Wir müssen uns weigern, im Innern des Systems zu kämpfen, um Teilzugeständnisse zu erlangen, die unverzüglich vom Kapitalismus in Frage gestellt oder anderswo zurückgenommen werden. Es gilt, radikal die Frage des Überlebens oder der Zerstörung dieses Systems zu stellen.
Nicht über mögliche Einverständnisse ist zu diskutieren, sondern über unakzeptierbare Realitäten. […] Der soziale Kampf darf nicht bürokratisch, sondern muss leidenschaftlich sein. Um die desaströsen Ergebnisse der professionellen Gewerkschaftsbewegung zu beurteilen, braucht man lediglich die spontanen Streiks vom August 1953 zu analysieren; die Entschlossenheit der Basis, die Sabotage durch die streikbrecherischen Gewerkschaftsorganisationen; die Kapitulation der C.G.T.*, die den Generalstreik weder herbeizuführen noch zu benutzen verstand, als er sich siegreich ausbreitete. Stattdessen müssen wir uns einiger Tatsachen bewusst werden, die die Diskussion mit Leidenschaft beseelen könnten: der Tatsache beispielsweise, dass wir überall auf der Welt Freunde haben und dass wir uns in ihrem Kampf wiedererkennen. Aber auch die Tatsache, dass das Leben verstreicht und dass wir keine Kompensation erwarten, mit Ausnahme derer, die wir selber erfinden und aufbauen müssen.

Es ist alles nur eine Sache des Mutes.“

*CGT: Confédération Général du Travail. Gewerkschaftsbund, der damals der Kommunistischen Partei Frankreichs nahestand.
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