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In offener Feindschaft mit dem Bestehenden
seinen Verteidigern und seinen falschen Kritikern
I
« Jeder kann dem Umherirren in der Sklaverei dessen, was er nicht kennt, ein Ende setzen – und, das Angebot leerer Worte zurückweisend, in offener Feindschaft dem Leben entgegentreten. »
C. Michelstaedter
Das Leben ist nichts anderes, als eine beständige Suche nach etwas, woran man sich festhalten kann. Man steht morgens auf, um sich ein paar Stunden später wieder ins Bett zu legen, wie traurige Pendler zwischen Lustlosigkeit und Müdigkeit. Die Zeit vergeht und treibt uns mit Sporen an, die immer weniger lästig scheinen. Auch die Last der sozialen Pflichten scheint uns nicht mehr den Rücken zu brechen, so dass wir sie überall mit uns tragen. Wir gehorchen, ohne uns noch die Mühe zu machen, ‘Ja‘ zu sagen. Der Tod wird durch das Leben gesühnt, schrieb der Dichter aus einem anderen Schützengraben.
Wir können ohne Leidenschaft und ohne Träume leben – dies ist die grosse Freiheit, die uns diese Gesellschaft bietet. Wir können ungehemmt sprechen, vor allem über all die Dinge, von denen wir nichts verstehen. Wir können alle Meinungen der Welt vertreten, selbst die gewagtesten, und hinter dem Gewirr von Stimmen verschwinden. Wir können unseren Lieblingskandidaten wählen und im Gegenzug das Recht einfordern, uns beschweren zu dürfen. Wir können jederzeit den Kanal wechseln, falls er uns dogmatisch zu werden scheint. Wir können uns zu festgelegten Zeiten amüsieren und mit immer höherer Geschwindigkeit traurig identische Landschaften durchqueren. Wir können uns wie junge Hitzköpfe aufführen, bevor wir eimerweise eiskalten, gesunden Menschenverstand verabreicht bekommen. Wir können nach belieben heiraten; so heilig ist die Ehe. Wir können uns sinnvoll betätigen und, falls wir wirklich kein Schreibtalent haben, Journalisten werden. Wir können auf tausend Arten Politik machen und sogar von exotischen Guerillas sprechen. In der Karriere sowie im Gefühlsleben können wir uns, falls wir es nicht schaffen, selbst zu befehligen, noch immer durch Gehorsamkeit profilieren. Auch durch Gehorsamkeit können wir zum Märtyrer werden, denn allem Anschein zum trotz, benötigt diese Gesellschaft noch immer Helden.
Unsere Dummheit wird bestimmt nicht grösser als jene der Anderen erscheinen. Falls wir nicht fähig sind, uns zu entscheiden, kein Problem, dann lassen wir eben die Anderen wählen. Anschliessend werden wir Position beziehen, wie man im Jargon der Politik und des Spektakels sagt. An Rechtfertigungen mangelt es nie, besonders nicht in einer Welt, die sie alle schluckt.
Auf diesem grossen Jahrmarkt der Rollen haben wir alle einen loyalen Verbündeten: das Geld. Demokratisch par excellence, schaut es niemandem ins Gesicht. In seiner Begleitschaft kann uns keine Ware und keine Dienstleistung dieser Welt verwehrt werden. Wer auch immer sein Besitzer ist, er fordert mit der Kraft einer ganzen Gesellschaft. Natürlich, dieser Verbündete gibt nie genug von sich selbst und vor allem gibt er sich auch nicht allen. Doch seine besondere Hierarchie vereinigt in ihren Werten das, was sich in den Lebensbedingungen entgegensteht. Wenn man es besitzt, hat man allen Grund dazu, wenn es mangelt, hat man nicht weniger Milderungsgründe.
Mit etwas Übung könnten wir ganze Tage ohne die geringste Idee verbringen. Die tägliche Routine übernimmt das Denken für uns. Von der Arbeit bis zur “Freizeit” dreht sich alles um den Erhalt des Überlebens. Es gibt immer irgendetwas, woran wir uns festhalten können. Im Grunde liegt die erstaunlichste Eigenschaft der heutigen Gesellschaft darin, die “kleinen Alltagskomforte” und die zum greifen nahe Katastrophe nebeneinander existieren zu lassen. Parallel zur technologischen Verwaltung des Bestehenden, schreitet auch die Ökonomie mit der verantwortungslosesten Unkontrollierbarkeit voran; man wechselt von Unterhaltung zu Massenmassakern mit der disziplinierten Leichtfertigkeit von vorberechneten Gesten. Der Kauf und Verkauf des Todes erstreckt sich über den gesamten Raum und die gesamte Zeit. Risiko und gewagter Aufwand existieren nicht mehr; es bleibt nur noch die Sicherheit oder das Desaster, die Routine oder die Katastrophe. Überlebende oder Untergehende. Lebende, niemals.
Mit etwas Übung könnten wir mit geschlossenen Augen von Zuhause zur Schule, vom Büro zum Supermarkt oder von der Bank zur Diskothek gehen. Langsam begreifen wir die ganze Weisheit jener Worte eines alten Griechens: « Auch die Schlafenden halten die Ordnung der Welt aufrecht. »
Es ist Zeit mit diesem Wir zu brechen, mit dieser Wiederspiegelung der einzigen Gemeinschaft, die gegenwärtig existiert, jener der Autorität und der Waren.
Ein Teil dieser Gesellschaft hat alles Interesse daran, dass die Herrschaft dieser Ordnung fortbesteht, der andere daran, dass alles so bald wie möglich kollabiert. Sich für eine Seite zu entscheiden, ist der erste Schritt. Doch überall herrschen die Resignierten – die wirkliche Basis zur Übereinkunft beider Seiten –, die Verbesserer des Bestehenden und dessen falsche Kritiker. Überall, auch in unserem Leben – dem echten Ort des sozialen Krieges –, unseren Träumen und unserer Entschlossenheit, sowie in unseren kleinen, alltäglichen Unterwerfungen.
All dem muss in offener Feindschaft entgegengetreten werden, um endlich das Leben selbst herauszufordern.
II
« Die Dinge, die notwendigerweise gelernt sein müssen, um sie zu tun, erlernen wir, indem wir sie tun. »
Aristoteles
Das Geheimnis liegt darin, wirklich zu beginnen.
Die gegenwärtige soziale Organisation schiebt nicht nur jegliches Ausleben der Freiheit hinaus, sondern verhindert und verdirbt es auch. Um zu erfahren, was Freiheit ist, gibt es keinen anderen Weg, als mit ihr zu experimentieren. Und um mit ihr zu experimentieren, braucht man den nötigen Raum und die nötige Zeit.
Die wichtigste Grundlage einer freien Handlung ist der Dialog. Nun, ein wirklich gemeinsamer Diskurs muss in sich zwei Voraussetzungen vereinen: Ein reelles Interesse der Individuen an den Fragen, die in der Diskussion aufgeworfen werden (das Problem des Inhalts) und eine freie Suche nach möglichen Antworten (das Problem der Methode). Diese beiden Bedingungen müssen gleichzeitig erfüllt sein, da der Inhalt die Methode bestimmt und umgekehrt. Von Freiheit kann nur in Freiheit geredet werden. Was nützen die Fragen, wenn wir nicht frei darauf antworten können? Was nützt es zu Antworten, wenn die Fragen falsch sind? Der Dialog existiert nur, wenn die Individuen ohne Mediation miteinander sprechen können, das heisst, wenn ihre Beziehung auf Gegenseitigkeit beruht. Wenn der Diskurs einseitig geführt wird, ist eine Kommunikation unmöglich. Wenn jemand die Macht besitzt, die Fragen zu bestimmen, wird deren Inhalt genau seinen Zwecken entsprechen (und die Antworten werden in ihrer Methode die Zeichen der Unterwerfung tragen). Einem Untertan können ausschliesslich Fragen gestellt werden, deren Antworten seine Rolle als Untertan bestätigen, und aus eben dieser Rolle entnimmt der Herrscher die zukünftigen Fragen. Die Versklavung besteht also darin, weiterhin zu antworten, denn die Fragen der Herrschenden enthalten in sich selbst bereits die Antwort.
In diesem Sinne sind Marktforschungen identisch mit Wahlen. Die Souveränität des Wählers entspricht der Souveränität des Konsumenten und umgekehrt. Wenn die Passivität des Fernsehens eine Rechtfertigung braucht, spricht man von Audienz; wenn der Staat eine Legitimierung für seine eigene Macht braucht, spricht man vom souveränen Volk. In beiden Fällen sind die Individuen bloss Geiseln eines Mechanismus, der ihnen das Recht zu Reden zugesteht, nachdem er ihnen die Möglichkeit, es zu tun entzogen hat. Wo bleibt der Dialog, wenn man bloss zwischen dem einen oder anderen Kandidaten wählen kann? Wo bleibt die Kommunikation, wenn man bloss zwischen unterschiedlich identischen Waren und Fernsehprogrammen wählen kann? Der Inhalt der Fragen wird bedeutungslos, denn die Methode ist falsch.
« Nichts gleicht einem Repräsentanten der Bourgeoisie mehr, als ein Repräsentant des Proletariats », schrieb Sorel 1907. Das, was sie einander gleich machte, war die schlichte Tatsache, ein Repräsentant zu sein. Heute dasselbe über rechte oder linke Wahlkandidaten zu sagen, ist nicht mehr und nicht weniger als eine Banalität. Die Politiker brauchen nicht originell zu sein (darum kümmern sich die Werbefachleute), es reicht, wenn sie diese Banalitäten zu verwalten wissen. Die schreckliche Ironie ist, dass die Massenmedien als Kommunikations-Mittel definiert werden und der Abstimmungszirkus als Wahl (was im ursprünglichen Sinn des Wortes für eine freie und bewusste Entscheidung steht).
Der Punkt ist, dass die Macht keine andere Handhabung zulässt. Selbst wenn man es wollte (womit wir uns bereits inmitten der “Utopie” befänden, um mit den Worten der Realisten zu sprechen), könnte nichts Bedeutendes von den Wählern verlangt werden, denn die einzige, freie Handlung – die einzige, wirkliche Wahl – die sie vollbringen könnten, wäre mit dem Wählen aufzuhören. Jemand, der sich an Wahlen beteiligt, kann sich gar nichts anderes als belanglose Fragen stellen, denn authentische Fragen lassen Passivität und Delegation nicht zu. Lasst uns das genauer erklären.
Nehmen wir an, der Kapitalismus soll durch ein Referendum abgeschafft werden (ungeachtet der Tatsache, dass eine solche Forderung innerhalb der heutigen, sozialen Verhältnisse unmöglich ist). Bestimmt würden die meisten Wähler für den Kapitalismus stimmen, und zwar aus dem schlichten Grund, dass man sich, während man gerade gemütlich das Haus, das Büro oder den Supermarkt verlässt, gar keine Welt ohne Waren und ohne Geld vorstellen kann. Doch selbst wenn dagegen gestimmt würde, würde sich nichts ändern, denn eine solche Forderung muss die Wähler ausschliessen, um authentisch zu sein. Eine ganze Gesellschaft kann nicht per Anordnung umgewälzt werden.
Dieselbe Überlegung kann auch auf weniger radikale Fragen angewandt werden. Nehmen wir das Beispiel eines Wohnviertel: Was wäre (wir befinden uns wieder inmitten der “Utopie” ), wenn sich die Bewohner über die Organisation ihrer Lebensräume (Häuser, Strassen, Plätze, usw.) aussprechen könnten? Lasst uns gleich klarstellen: Die Wahl der Bewohner wäre von Anfang an und unvermeidlich eine begrenzte; die Viertel sind das Ergebnis einer Verlagerung und Konzentrierung der Bevölkerung zugunsten der ökonomischen Anforderungen und der sozialen Kontrolle. Versuchen wir uns trotzdem eine andere Organisation dieser Ghettos vorzustellen. Ohne Furcht widerlegt zu werden, könnte man behaupten, dass die Mehrheit der Bevölkerung diesbezüglich dieselben Ideen wie die Polizei haben würde. Und falls dem nicht so wäre (wenn eine Praxis des Dialogs, wenn auch eine begrenzte, das Verlangen nach einer neuen Umgebung entstehen liesse), dann würde man die Ghettos explodieren sehen. Wie versöhnt man in der heutigen sozialen Ordnung das Interesse des Autoherstellers mit dem Willen der Bevölkerung zu atmen; das freie Umherziehen der Individuen und die Angst der Besitzer von Luxusgeschäften; die Kinderspielplätze und den Beton von Parkplätzen, Banken und Einkaufszentren? Und all die leeren und verlassenen Häuser in den Händen von Spekulanten? Und die Wohnblöcke, die den Kasernen so schrecklich ähneln, die den Schulen so schrecklich ähneln, die den Krankenhäusern so schrecklich ähneln, die den psychiatrischen Kliniken so schrecklich ähneln? Das Verschieben einer kleinen Mauer in diesem Schreckenslabyrinth, bedeutet das ganze Projekt in Frage zu stellen. Je weiter wir uns von einer polizeilichen Betrachtung der Umwelt entfernen, desto näher rückt eine Konfrontation mit der Polizei.
« Wie kann man im Schatten einer Kapelle frei denken? », schrieb während des Pariser Mai eine anonyme Hand auf die heilige Stätte der Sorbonne. Diese einwandfreie Frage ist von umfassender Bedeutung. Jede wirtschaftlich und religiös gedachte Umgebung kann nichts anderes als wirtschaftliche und religiöse Wünsche auferlegen. Eine geschlossene Kirche wird weiterhin das Haus Gottes bleiben. In einem verlassenen Einkaufszentrum werden die Waren weiter quasseln. Der Hof einer unbenutzten Kaserne enthält noch immer den Marschschritt der Soldaten. In diesem Sinne hatten diejenigen Recht, die sagten, dass die Zerstörung der Bastille ein sozialpsychologischer Akt war. Keine Bastille kann auf eine andere Art genutzt werden, denn die Mauern würden weiterhin die Geschichte von gefangenen Körpern und Sehnsüchten erzählen.
Die Zeit der Leistungen, der Verpflichtungen und der Langeweile vermählt sich mit den Räumen der Konsumption in einer ununterbrochenen Trauerhochzeit. Die Arbeit reproduziert das soziale Umfeld, welches die Resignation bei der Arbeit reproduziert. Man liebt die Abende vor dem Fernseher, weil man den ganzen Tag im Geschäft und in der U-Bahn verbracht hat. Das Schweigen in der Fabrik lässt das Geschrei im Stadion wie versprochenes Glück erscheinen. Die Schuldgefühle in der Schule sind ein Bekenntnis für die idiotische Verantwortungslosigkeit des Samstagabends in der Disco. Die Werbung des Club Med lässt nur die Augen von Mc Donald’s Besuchern träumen. Et cetera.
Man muss mit der Freiheit zu experimentieren wissen, um frei zu sein. Man muss sich befreien, um mit der Freiheit experimentieren zu können. Innerhalb der gegenwärtigen sozialen Ordnung verhindern Zeit und Raum das Experimentieren mit der Freiheit, weil sie die Freiheit zu experimentieren unterdrücken.
III
« Die Tiger der Wut sind weiser als die Pferde der Belehrung. »
W. Blake
Nur durch den Umsturz der Imperative von Zeit und sozialem Raum können neue Beziehungen und neue Umgebungen gedacht werden. Ein alter Philosoph sagte einmal, dass man nur ausgehend von dem, was man kennt, begehren kann. Die Begierden können sich nur ändern, wenn sich das Leben ändert, das sie entstehen lässt. Um es deutlich auszudrücken, der Aufstand gegen die Zeiten und Orte der Macht ist eine materielle und gleichzeitig eine psychologische Notwendigkeit.
Bakunin sagte, Revolutionen werden aus drei Vierteln Fantasie und einem Viertel Realität gemacht. Das Wichtige ist, zu verstehen, woher diese Fantasie entspringt, die die generalisierte Revolte losbrechen lässt. Die Entfesselung aller bösen Leidenschaften, wie ein russischer Revolutionär sagte, ist die unwiderstehliche Kraft der Transformation. Auch wenn all dies die Resignierten oder die kalten Analytiker der historischen Bewegungen des Kapitals zum lächeln bringen mag, könnten wir behaupten – wenn uns ein solcher Jargon nicht anwidern würde –, dass eine solche Vorstellung der Revolution äusserst modern ist. Die Leidenschaften sind böse*, da sie gefangen sind, erstickt von der Normalität, diesem kältesten aller eisigen Monster. Doch sie sind auch böse, weil sich der Wille zu Leben, anstatt unter der Last der Pflichten und Masken unterzugehen, in das genaue Gegenteil verwandelt. Unter dem Zwang der alltäglichen Leistungen verleugnet sich das Leben und erscheint in der Rolle des Dieners wieder; verzweifelt nach Raum suchend, wird es zu traumartiger Anwesenheit, physischer Angespanntheit, nervösen Ticks und idiotischer Gruppengewalt. Wird der unerträgliche Charakter der aktuellen Lebensbedingungen angesichts der massiven Verbreitung von Psychopharmakas (dieser neuen Intervention des Sozialstaates) nicht offensichtlich? Die Herrschaft verwaltet überall die Gefangenschaft und rechtfertigt dies durch das, was wiederum ihr eigenes Produkt ist: die Boshaftigkeit. Der Aufstand stellt sich beidem entgegen.
Wenn man sich selbst und den Anderen nicht etwas vormachen will, kann kein Individuum, das für die Zerstörung der gegenwärtigen sozialen Struktur kämpft verbergen, dass die Subversion ein wildes und barbarisches Kräftespiel ist. Der Eine nannte sie Kosaken, ein anderer die Kanaille, in Wirklichkeit sind es all die Individuen, denen der soziale Frieden nicht die Wut genommen hat.
Doch wie erschafft man aus Wut eine neue Gemeinschaft? Lasst uns ein für alle mal mit den Illusionen der Dialektik Schluss machen. Die Ausgebeuteten sind nicht Träger irgendeines positiven Projektes, im Sinne einer klassenlosen Gesellschaft (all dies sieht dem produktiven Muster allzu ähnlich). Ihre einzige Gemeinschaft ist das Kapital, dem sie sich nur entziehen können, indem sie alles zerstören, was sie zu Ausgebeuteten macht: den Lohn, die Waren, die Rollen und die Hierarchien. Der Kapitalismus präparierte nicht die Grundlage seiner eigenen Überwindung durch den Kommunismus – die berühmte Bourgeoisie, die “die Waffen ihres eigenen Untergangs schmiedet” – sondern jene, einer Welt des Schreckens.
Die Ausgebeuteten haben nichts selbstzuverwalten, ausser die eigene Negation als Ausgebeutete. Nur so werden ihre Bosse, ihre Führer und ihre Verfechter zusammen mit ihnen verschwinden. In dieser “immensen Arbeit dringender Zerstörung” müssen wir so schnell wie möglich Freude finden.
Bei den Griechen bezeichnete das Wort “Barbar” nicht nur den Fremden, sondern auch den “Stotterer”, wie man diejenigen mit Verachtung bezeichnete, die die Sprache der Polis nicht korrekt beherrschten. Sprache und Territorium sind zwei untrennbare Realitäten. Das Gesetz legt die Grenzen fest, denen die Ordnung der Benennung Achtung verschafft. Jede Machtstruktur hat seine Barbaren und jeder demokratische Diskurs hat seine Stotterer. Die Warengesellschaft will deren hartnäckige Präsenz – durch Ausschluss und Verschweigen – verbannen, als ob Nichts wäre. In eben diesem Nichts begründet sich die Rebellion. Keine Ideologie des Dialogs und der Partizipation wird jemals einem jeden die Ausgrenzung und die internen Kolonien verhüllen können. Wenn die alltägliche Gewalt des Staates und der Wirtschaft die böse Seite zum explodieren bringt, braucht man sich nicht wundern, wenn manche die Füsse auf den Tisch legen und sich weigern zu diskutieren. Nur durch Leidenschaften kann eine Welt des Todes verjagt werden. Die Barbaren lauern um die Ecke.
IV
« Wir müssen alle Modelle verlassen und
unsere Möglichkeiten studieren »
E. A. Poe
Notwendigkeit des Aufstands. Notwendigkeit, natürlich nicht im Sinne von etwas unabwendbarem (ein Ereignis, das früher oder später eintreten muss), sondern im Sinne der konkreten Voraussetzung einer Möglichkeit. Notwendigkeit des Möglichen. Das Geld ist notwendig in dieser Gesellschaft. Ein Leben ohne Geld ist möglich. Um mit diesem Möglichen zu experimentieren, ist es notwendig, diese Gesellschaft zu zerstören. Heute können wir nur mit dem experimentieren, was in sozialer Hinsicht notwendig ist.
Seltsamerweise sprechen die Leute, die den Aufstand als tragischen Fehler (oder je nach Geschmack, als unrealisierbaren, romantischen Traum) betrachten oft von sozialer Aktion und von dem Experimentieren mit Räumen der Freiheit. Dennoch reicht es aus, etwas an der Oberfläche solcher Argumente zu kratzen, um ihnen den ganzen Saft rauszulassen. Um frei zu handeln, ist es, wie bereits gesagt, notwendig, ohne Mediation miteinander sprechen zu können. Und nun sage uns jemand: Wie, wann und wo kann man heutzutage Dialoge führen?
Um frei zu diskutieren, muss man den sozialen Zwängen Zeit und Raum entreissen. In einem Wort, der Dialog ist nicht vom Kampf zu trennen. Er kann nicht separiert werden, sowohl materiell (um miteinander zu sprechen, muss man sich der auferlegten Zeit entziehen und die möglichen Räume ergreifen) als auch psychologisch (die Individuen sprechen gerne über das, was sie tun, denn nur so verändern die Worte die Realität.)
Was man vergisst, ist, dass wir alle in einem Ghetto leben, selbst wenn wir keine Miete bezahlen oder der Kalender viele Sonntage zählt. Wenn es uns nicht gelingt, dieses Ghetto zu zerstören, reduziert sich die Freiheit des Experimentierens auf eine ziemlich magere Sache.
Zahlreiche Libertäre denken, dass die soziale Veränderung stufenweise, ohne unerwarteten Bruch geschehen kann und muss. So sprechen sie von “nicht-staatlichen Sphären der Öffentlichkeit”, worin neue Ideen und Praktiken ausgearbeitet werden sollen. Lassen wir die wahrhaft komischen Aspekte der Frage beiseite (Wo ist der Staat abwesend? Wie soll man ihn ausklammern?). Man kann feststellen, dass die ideale Referenz dieser Diskurse die selbstverwaltende und föderalistische Methode ist, mit der Subversive zu gewissen historischen Momenten experimentierten (die Kommune von Paris, das revolutionäre Spanien, die Kommune von Budapest, usw.). Eine Banalität, die ausser Acht gelassen wird, ist, dass sich die Rebellen die Möglichkeit miteinander zu sprechen und die Realität zu verändern mit Waffen genommen haben. Man vergisst schlicht ein kleines Detail: den Aufstand. Man kann eine Methode (Quartiersversammlungen, direkte Entscheidungen, horizontale Verbindungen, usw.) nicht vom Kontext, der sie ermöglicht loslösen, und noch viel weniger, für die eine und gegen die andere Position ergreifen (mit Begründungen wie: « Es führt zu nichts, den Staat anzugreifen, wir müssen uns selbstorganisieren und die Utopie konkretisieren »). Noch bevor man in Betracht zieht, was beispielsweise die Arbeiterräte bedeuteten – und was sie heute bedeuten könnten –, ist es notwendig, sich die Bedingungen ins Bewusstsein zu rufen, unter denen sie geboren wurden (1905 in Russland, 1918-21 in Deutschland und Italien, usw.). Es handelte sich um aufständische Momente. Möge uns jemand erklären, wie es den Ausgebeuteten heute möglich sein soll, in ihrem eigenen Namen über Fragen von einer gewissen Wichtigkeit zu entscheiden, ohne gewaltsam die soziale Normalität zu durchbrechen; danach könnten wir von Selbstverwaltung und Föderalismus sprechen. Noch bevor man darüber diskutiert, was es hiesse, “nach der Revolution” die gegenwärtigen Produktionsstrukturen selbstzuverwalten, muss eine Basisbanalität hervorgehoben werden: die Bosse und die Polizei wären damit nicht einverstanden. Man kann nicht über eine Möglichkeit diskutieren, während die Bedingungen, die sie ermöglichen, ausser Acht gelassen werden. Jegliche Befreiungshypothese ist an einen Bruch mit der aktuellen Gesellschaft gebunden.
Nehmen wir uns einem letzten Beispiel an. Auch in libertären Kreisen wird von direkter Demokratie gesprochen. Man kann sofort erwidern, dass die anarchistische Utopie der Methode des Mehrheitsentscheides entgegengestellt ist. Sehr richtig. Doch Tatsache ist, dass niemend konkret von direkter Demokratie spricht. Lassen wir diejenigen beiseite, die als direkte Demokratie ihr exaktes Gegenteil durchgehen lassen, das heisst, die Erstellung von Bürgerlisten und die Beteiligung an Gemeindewahlen, und nehmen wir diejenigen, die sich wirkliche Bürgerversammlungen vorstellen, in denen man ohne Mediation miteinander sprechen kann. Worüber sollten sich die wohlgenannten Bürger aussprechen? Wie könnten sie anders antworten, ohne gleichzeitig auch die Fragen zu ändern? Wie soll die Trennung zwischen einer angeblichen, politischen Freiheit und den aktuellen ökonomischen, sozialen und technologischen Verhältnissen aufrechterhalten werden? Kurzum, wie man es auch dreht, das Problem der Zerstörung bleibt bestehen. Es sei denn, man ist der Meinung, dass nur eine technologisch zentralisierte Gesellschaft gleichzeitig föderalistisch sein kann; oder, dass die generalisierte Selbstverwaltung in diesen wahrhaften Gefängnissen, die die heutigen Städte darstellen existieren kann. Zu sagen, dass sich all dies stufenweise ändern wird, läuft bloss darauf hinaus, die Angelegenheit zu verschleiern. Ohne verbreitete Revolte kann überhaupt keine Veränderung begonnen werden. Der Aufstand ist die Gesamtheit der sozialen Beziehungen, die sich, wenn die Maske der Spezialisierungen des Kapitals einmal gefallen ist, dem Abenteuer der Freiheit öffnet. Es stimmt, der Aufstand alleine bringt keine Antworten mit sich, er beginnt bloss, Fragen zu stellen. Die Frage ist also nicht, schrittweise oder abenteuerlich zu Handeln. Die Frage ist, zu handeln oder davon zu träumen, es zu tun.
Die Kritik der direkten Demokratie (um bei diesem Beispiel zu bleiben) muss diese letztere in ihrer konkreten Dimension in Betracht ziehen. Nur so kann sie weiter gehen, indem man darüber nachdenkt, was die sozialen Grundlagen der individuellen Autonomie sind. Nur so kann sich dieses Darüberhinausgehen unmittelbar in eine Methodes des Kampfes verwandeln. Die Subversiven befinden sich heute wieder in der Situation, die Hypothesen anderer kritisieren zu müssen, indem sie diese auf eine korrektere Weise definieren, als es ihre eigenen Verteidiger tun.
Um die eigenen Messer nachzuschleifen.
V
« Es ist eine axiomatische Wahrheit, eine Lapalie, dass die Revolution nur gemacht werden kann, wenn es ausreichend Kräfte gibt, um sie zu machen. Doch es ist eine historische Wahrheit, dass sich die Kräfte, die den Wandel und die sozialen Revolutionen bestimmen, nicht durch Volkszählungen messen lassen. »
E. Malatesta
Die Idee eines sozialen Wandels ist heute ausser Mode. Die “Massen”, so sagt man, sind völlig eingeschläfert und in die sozialen Normen integriert. Aus einer solchen Feststellung kann man mindestens zwei Schlussfolgerungen ziehen: Die Revolte ist nicht möglich; die Revolte ist nur mit wenigen möglich. Die erste Schlussfolgerung kann ihrerseits entweder in einen offen institutionellen Diskurs (Notwendigkeit zu Wählen, legale Eroberungen) oder in den sozialen Reformismus (syndikalistische Selbstorganisation, Kämpfe für kollektive Rechte, usw.) auseinanderfallen. Gleichermassen kann die zweite Schlussfolgerung entweder einen klassisch avantgardistischen Diskurs begründen, oder einen anti-autoritären Diskurs der permanenten Agitation.
Als Einleitung kann angemerkt werden, dass die scheinbar entgegengesetzten Hypothesen im Verlaufe der Geschichte eine gemeinsame Ausgangslage hatten.
Wenn man beispielsweise den Gegensatz zwischen Sozialdemokratie und Bolschewismus betrachtet, wird ersichtlich, dass sie beide von der Voraussetzung ausgehen, dass die Massen kein revolutionäres Bewusstsein besitzen und folglich geführt werden müssen. Sozialdemokraten und Bolschewisten unterscheiden sich nur in der Methode – reformistische Partei oder revolutionäre Partei, parlamentarische Strategie oder gewaltsame Machtergreifung –, womit sie dasselbe Programm durchsetzen: Von Ausserhalb den Ausgebeuteten ein Bewusstsein zu verleihen.
Nehmen wir die Hypothese einer “minoritären”, subversiven Praxis, die das leninistische Modell ablehnt. In einer libertären Perspektive verlässt man entweder jeglichen aufständischen Diskurs (zugunsten einer offen abgesonderten Revolte), oder man muss sich früher oder später dem Problem der sozialen Wirkungskraft der eigenen Ideen und Praktiken stellen. Wenn wir die Frage nicht im Rahmen linguistischer Wendungen einschliessen wollen (indem man beispielsweise sagt, dass die Thesen, die wir unterstützen, bereits in den Köpfen der Ausgebeuteten sind, oder, dass die eigene Rebellion bereits zu einer verbreiteten Bedingung gehört), drängt sich eine Tatsache auf: Wir sind isoliert – Um nicht zu sagen: Wir sind wenige.
Sich mit wenigen zu bewegen stellt nicht nur keine Grenze dar, es bedeutet auch, die soziale Veränderung auf eine andere Weise zu denken. Die Libertären sind die Einzigen, die sich eine Dimension des kollektiven Lebens vorstellen, das nicht der Existenz von Machtzentren untergeordnet ist. Die wirkliche, föderalistische Hypothese ist eben die Idee, die Abmachungen unter den freien Vereinigungen von Individuen ermöglicht. Die Affinitätsbeziehungen sind eine Art und Weise, die Vereinigung nicht mehr auf Basis von Ideologien und quantitativem Anhang zu verstehen, sondern im Gegenteil, ausgehen von der gegenseitigen Kenntnis, dem Vertrauen und dem Teilen von Leidenschaften in einem Projekt. Die Affinität innerhalb der Projekte und die Autonomie der individuellen Handlung bleiben jedoch tote Buchstaben, wenn es nicht gelingt, sie auszuweiten, ohne dass sie für angeblich übergeordnete Notwendigkeiten aufgeopfert werden. Die horizontale Verbindung ist das, was jegliche libertäre Praxis konkret werden lässt: eine informelle, tatsächliche Verbindung, die im Stande ist, mit jeglicher Repräsentation zu brechen. Eine zentralisierte Gesellschaft kommt ohne polizeiliche Kontrolle und ohne einen tödlichen technologischen Apparat nicht aus. Deshalb haben jene, die sich keine Gemeinschaft ohne staatliche Autorität vorstellen können, keine Mittel, um die Ökonomie, die den Planeten am zerstören ist, zu kritisieren; und jene, die sich keine Gemeinschaft von Einzigen denken können, haben keine Waffen gegen die politische Mediation. Die Idee des freien Experimentierens und der Vereinigung unter Gleichgesinnten [affini] als Grundlage für neue Beziehungen, macht hingegen eine komplette soziale Umwälzung möglich. Nur durch das Verlassen jeglicher Idee eines Zentrums (die Eroberung des Winterpalastes, oder, um mit der Epoche schrittzuhalten, des Staatsfernsehens), können wir ein Leben ohne Zwang und ohne Geld aufbauen. Somit ist die Methode des diffusen Angriffs eine Kampfform, die bereits eine andere Welt in sich trägt. Handeln, während alle das Warten predigen, während man nicht auf viel Unterstützung zählen kann, während man im Voraus nicht weiss, ob man Resultate erzielen wird – handeln bedeutet so, bereits das zu bekräftigen, wofür man kämpft: Eine Gesellschaft ohne Mass. Und hier enthält das Handeln in kleinen Gruppen von Gleichgesinnten seine wichtigste Qualität – jene, nicht ein schlichter, taktischer Ausweg zu sein, sondern gleichzeitig das eigene Ziel zu realisieren. Die Lüge der Übergangsperiode zu liquidieren (die Diktatur vor dem Kommunismus, die Macht vor der Freiheit, der Lohn vor der Plünderung, die Gewissheit von Resultaten vor der Handlung, die Finanzierungsanfragen vor der Enteignung, die “ethischen Banken” vor der Anarchie, usw.), bedeutet, aus der Revolte selbst ein anderes Mittel zu machen, die Beziehungen wahrzunehmen. Unmittelbar die technologische Hydra anzugreifen, bedeutet, sich ein Leben ohne Bullen in weissen Hemden zu denken (was heisst: ohne die ökonomische und wissenschaftliche Organisation, die sie notwendig macht); unmittelbar die Instrumente der medialen Domestizierung anzugreifen, bedeutet, von Bildern befreite Beziehungen aufzubauen (was heisst: von der alltäglichen Passivität befreit, die sie fabriziert). Jene, die schreien, dass es nicht mehr – oder noch nicht – Zeit ist, um zu rebellieren, enthüllen uns im Voraus, welcherart die Gesellschaft ist, für die sie kämpfen.
Das Verteidigen der Notwendigkeit eines sozialen Aufstands – einer unbezwingbaren Umwälzung, die mit der historischen Zeit bricht, um das Mögliche an die Oberfläche treten zu lassen – bedeutet hingegen eine einfache Sache zu sagen: wir wollen keine Führer. Heute ist der einzige konkrete Föderalismus die generalisierte Rebellion.
Um jegliche Form von Zentralisierung zurückzuweisen, ist es notwendig, die quantitative Idee des Kampfes zurückzulassen, das heisst, die Idee, die Ausgebeuteten aufzurufen, sich für einen frontalen Konflikt mit der Macht zu versammeln. Es ist notwendig, ein anderes Konzept von Stärke zu denken – um die Volkszählungszettel zu verbrennen und die Realität zu verändern.
« Regel Nummer Eins: Nicht in Massen bewegen. Aktionen zu dritt oder höchstens zu viert ausführen. Die Zahl der kleinen Gruppen muss so gross wie möglich sein und jede von ihnen muss lernen, schnell anzugreifen und zu verschwinden. Die Polizei kann eine Masse von tausend Personen mit einer einzigen Gruppe von hundert Kosaken niederschlagen. Es ist einfacher hundert Menschen zu besiegen als einen einzelnen, vor allem wenn er überaschend zuschlägt und mysteriös verschwindet. Die Polizei und die Armee sind machtlos, wenn Moskau von diesen kleinen, unangreifbaren Splittergruppen übersäht ist. […] Besetzt keine Festungen. Die Truppen werden sie stets erobern, oder schlicht mit ihrer Artillerie zerstören können. Unsere Stärken sollen Innenplätze sein, und alle Orte, von wo man leicht zuschlagen und einfach abhauen kann. Würden sie diese Orte einnehmen wollen, dann werden sie dort niemanden finden und hätten zahlreiche Männer verloren. Für sie ist es unmöglich, sie alle einzunehmen, denn, um dies zu tun, müssten sie jedes Haus mit Kosaken füllen. »
Anweisungen an die Aufständischen, Moskau
11.Dezember 1905
VI
« Die Poesie besteht darin, die Dinge ungesetzlich
zu vermählen und zu scheiden »
F. Bacon
Ein anderes Konzept von Stärke denken. Vielleicht liegt gerade darin die neue Poesie. Was ist im Grunde die soziale Revolte, wenn nicht ein generalisiertes Spiel von ungesetzlichen Vermählungen und Scheidungen zwischen den Dingen?
Die revolutionäre Stärke ist keine Stärke, die jener der Macht gleicht und ihr gegenübersteht. Wenn dies so wäre, wären wir schon im Voraus geschlagen, da jede Veränderung eine ewige Rückkehr des Zwangs bedeuten würde. Alles würde sich auf eine militärische Konfrontation reduzieren, auf einen makaberen Tanz von Bannern. Doch die wirklichen Bewegungen entziehen sich stets dem quantitativen Blick.
Staat und Kapital verfügen über die ausgefeiltesten Kontroll- und Repressionssysteme. Wie sich diesem Moloch engegensetzen? Das Geheimnis liegt in der Kunst des Zerlegens und wieder Zusammenfügens. Die Bewegung der Intelligenz ist ein fortwährendes Spiel von Brüchen und Korrespondenzen. Dasselbe gilt für die subversive Praxis. Die Technologie zu kritisieren, zum Beispiel, bedeutet, ihr allgemeines Ausmass zu begreifen, sie nicht als schlichte Gesamtheit von Maschinen zu betrachten, sondern als soziale Beziehung, als System; dies bedeutet, zu verstehen, dass ein technologisches Instrument die Gesellschaft widerspiegelt, die es produziert hat, und, dass seine Einführung die Beziehungen zwischen den Individuen verändert. Technologie zu kritisieren, heisst, die Unterordnung aller menschlichen Tätigkeiten unter die Zeit des Profits zu verweigern. Andernfalls würden wir uns selbst etwas vormachen, was ihre Auswirkung, ihre angebliche Neutralität und die Umkehrbarkeit ihrer Tragweite betrifft. Doch gleich darauf sollte man die Technologie in ihre tausend Verästelungen zerlegen; in ihre konkreten Realisierungen, die uns mit jedem Tag etwas mehr verstümmeln. Man muss verstehen, dass die Verbreitung der von ihr ermöglichten Produktions- und Kontrollstrukturen, die Sabotage einfacher machen. Ansonsten wäre es unmöglich, die Technologie anzugreifen. Dasselbe gilt für die Schule, die Kasernen und die Büros. Es handelt sich um Realitäten, die von den allgemeinen hierarchischen Verhältnissen und Warenbeziehungen nicht zu trennen sind, sich jedoch in präzisen Orten und Menschen konkretisieren.
Wie können wir – so wenig, wie wir sind – für Studenten, Arbeiter und Arbeitslose sichtbar werden? Wenn wir von Konsens und Bildern sprechen (eben, sich sichtbar machen), liegt die Antwort auf der Hand: Die Gewerkschaften und gewitzten Politiker sind stärker als wir. Woran es wiederum mangelt, ist die Fähigkeit, zusammenzufügen und voneinander zu scheiden. Der Reformismus nimmt sich der Details an und dies auf quantitative Weise: Er mobilisiert grosse Zahlen, um bestimmte Teilbereiche der Macht zu verändern. Eine globale Kritik der Gesellschaft hingegen kann eine qualitative Betrachtung der Aktion hervortreten lassen. Eben weil es keine revolutionären Zentren oder Subjekte gibt, denen man seine eigenen Projekte unterordnen könnte, verweist jeder Aspekt der sozialen Wirklichkeit auf die Gesamtheit, von der sie Teil ausmacht. Ob es sich um Umweltverschmutzung, das Gefängnis oder den Urbanismus handelt, ein wirklich subversiver Diskurs endet damit, alles in Frage zu stellen. Heute mehr denn je kann sich ein quantitatives Projekt (In permanenten Organisationen mit einem spezifischen Programm Studenten, Arbeiter oder Arbeitslose zu versammeln) bloss um ein Detail drehen, während es die Aktion ihrer wichtigsten Stärke beraubt – der Stärke, Fragen zu stellen, die nicht in kategorische Unterteilungen einzugrenzen sind (Studenten, Arbeiter, Migrant, Homosexueller, usw.). Dies gilt umso mehr, da der Reformismus immer unfähiger ist, auch nur irgendetwas zu reformieren (Man denke an die Arbeitslosigkeit, fälschlicherweise als – lösbarer – Fehler der ökonomischen Rationalität präsentiert). Irgendjemand sagte einmal, dass sogar das Bedürfnis nach unvergiftetem Essen bereits ein revolutionäres Projekt geworden ist, da es für dessen Befriedigung notwendig ist, alle sozialen Beziehungen zu verändern. Jegliche, an einen präzisen Verhandlungspartner gerichtete Forderung trägt ihr eigenes Scheitern bereits in sich, und sei es bloss, weil keine einzige Autorität – auch wenn sie es wollte – ein Problem von allgemeiner Bedeutung zu lösen vermag. An wen soll man sich wenden, um gegen die Luftverschmutzung anzukämpfen?
Die Arbeiter, die während eines Generalstreiks ein Transparent mit der Aufschrift Wir fordern nichts trugen, hatten verstanden, dass das Scheitern in der Forderung selbst liegt (“Gegen den Feind ist die Forderung unendlich” heisst es in einem der Zwölftafelgesetze). Es bleibt der Revolte überlassen, sich allem zu entledigen. Wie Stirner sagte: « Egal wieviel ihr ihnen abgebt, sie würden stets nach mehr fragen, denn was sie wollen, ist nichts geringeres als das Ende von jeglichem Zugeständnis ».
Und nun? Nun können wir daran denken, mit wenigen zu handeln ohne isoliert zu handeln, im Bewusstsein, dass ein paar gute Kontakte in explosiven Situationen zu mehr dienen, als grosse Zahlen. Die traurig fordernden, sozialen Kämpfe entwickeln sehr oft Methoden, die interessanter sind als ihre Ziele (eine Gruppe Arbeitsloser, zum Beispiel, die Arbeit fordert und schlussendlich ein Stellenvermittlungsbüro niederbrennt). Gewiss, wir können uns Abseits halten und sagen, dass Arbeit nicht gefordert sondern zerstört werden muss. Oder wir könnten versuchen, eine Verbindung zwischen der Kritik an der Ökonomie und dem leidenschaftlich abgebrannten Büro, oder der Kritik an Gewerkschaften und einem Diskurs über Sabotage zu machen. Jegliches spezifische Kampfziel enthält in sich, zum explodieren bereit, die Gewalt aller sozialen Beziehungen. Wie wir wissen, ist die Banalität ihres unmittelbaren Anlasses, die Visitenkarte der Revolten im Verlaufe der Geschichte.
Was könnte eine Gruppe von entschlossenen Gefährten in solchen Situationen tun? Nicht viel, wenn sie (beispielsweise) noch nicht darüber nachdachten, wie sie ein Flugblatt verteilen, oder an welchen Orte der Stadt sie eine Blockade ausbreiten könnten; und etwas mehr, wenn eine freudige und aufrührerische Intelligenz sie die grossen Zahlen und die grossen organisatorischen Strukturen vergessen lässt.
Ohne die Absicht, die Mythologie des Generalstreiks als den Aufstand entfesselnde Bedingung wiederzubeleben, ist es ziemlich klar, dass die Unterbrechung der sozialen Aktivität ein entscheidender Punkt bleibt. Was auch immer der Grund des aufständischen Konfliktes ist, die subversive Aktion muss auf eben diese Lähmung der Normalität abziehlen. Solange die Studenten weiterhin studieren, die Arbeiter – jene, die übrigbleiben – und die Angestellten weiterhin arbeiten und die Arbeitslosen weiterhin mit dem Suchen nach einer Arbeitsstelle beschäftigt sind, ist keine Veränderung möglich. Die revolutionäre Praxis bliebe den Leuten stets aufgesetzt. Eine von den sozialen Kämpfen getrennte Organisation nützt weder dazu, die Revolte zu entfesseln, noch ihre Wirkungskraft zu verbreitern und zu verteidigen. Wenn es stimmt, dass sich die Ausgebeuteten um diejenigen sammeln, die im Verlaufe des Kampfes die grössten, ökonomischen Vorteile garantieren können – wenn es also stimmt, dass jeder fordernde Kampf notwendigerweise einen reformistischen Charakter hat –, dann sind es die Libertären, die durch ihre Methoden (individuelle Autonomie, direkte Aktion, permanente Konfliktualität) danach drängen können, den Rahmen der Forderung zu übersteigen und alle sozialen Identitäten (Professor, Angestelter, Arbeiter, usw.) zu negieren. Eine spezifische, permanente Organisation von Libertären, die Forderungen stellt, würde abseits der Kämpfe bleiben (nur einige Ausgebeutete könnten sich entscheiden, an ihr teilzunehmen), oder die eigenen, libertären Charakterzüge verlieren (im Rahmen der syndikalistischen Kämpfe, sind die Syndikalisten die professionellsten). Eine von Revolutionären und Ausgebeuteten gebildete, organisatorische Struktur kann nur konfliktuell bleiben, wenn sie auf die Zeitlichkeit eines Kampfes, auf ein spezifisches Ziel und auf die Perspektive des Angriffs abgestimmt ist; schliesslich nur, wenn sie eine handelnde Kritik an Syndikaten und der Kollaboration mit den Bossen ist.
Im Moment kann man nicht sagen, dass die Kapazität der Subversiven, soziale Kämpfe (anti-militaristisch, gegen Umweltverschmutzung, usw.) zu lancieren bemerkenswert ist. Es bleibt noch immer die andere Hypothese (für all jene, wohlverstanden, die sich nicht ständig widerholen, dass “die Menschen mitschuldig und resigniert sind”, und gute Nacht den Träumern), jene einer autonomen Intervention in die Kämpfe – oder in die mehr oder weniger breiten Revolten –, die spontan entstehen. Falls man klare Diskurse über die Gesellschaft, für die die Ausgebeuteten kämpfen sucht (wie es ein raffinierter Theoretiker angesichts einer kürzlichen Streikwelle beabsichtigte), dann kann man in Ruhe Zuhause bleiben. Und falls man sich darauf beschränkt, “kritisch zuzustimmen” – was im Grunde nicht viel anders ist –, dann stellt man seine roten und schwarzen Flaggen schlicht neben jene der Parteien und Syndikate. Noch einmal, die Kritik des Details nimmt sich dem quantitativen Modell an. Wenn man denkt, man müsse während die Arbeitslosen vom Recht auf Arbeit sprechen, dies ebenso tun (mit der unerlässlichen Unterscheidung zwischen Lohnarbeit und “sozial nützlicher Aktivität”), dann wird der mit Demonstranten gefüllte Platz der einzige Handlungsort sein. Wie der alte Aristoteles wusste, gibt es keine mögliche Repräsentation ohne Einheit von Zeit und Ort.
Doch wer hat gesagt, dass wir – indem wir es praktizieren – zu den Arbeitslosen nicht von Sabotage, von der Abschaffung des Rechts oder der Weigerung den Anwalt zu bezahlen sprechen können? Wer hat gesagt, dass die Ökonomie im Verlauf eines Streiks auf der Strasse nicht woanders kritisiert werden darf? Das zu sagen, worauf der Feind nicht gefasst ist und da zu sein, wo er uns nicht erwartet.
Dies ist die neue Poesie.