Methoden und Möglichkeiten
Mit der “aktivistischen Tendenz“ und der “Bewegung der Autonomen“, die während der vergangenen Jahrzehnte in den libertären Milieues den Diskurs dominierten, löste sich die subversive Fantasie immer mehr von klar anti-autoritären und aufstandsorientierten Methoden, um sich im Ausdruck zu verwässern und in immer gleichen Mustern zu verfangen. Nur noch wenigen scheint es darum zu gehen, als Anarchisten, auf klaren Grundlagen mit den eigenen Ideen und Mitteln, in soziale Kämpfe zu intervenieren oder diese zu provozieren.
Wenn wir uns nicht bloss mit der Maske einer Widerständigkeit selbst etwas vormachen wollen, sondern hier und jetzt die Umwälzung der Beziehungen vorantreiben wollen, dann muss unsere Agitation endlich die blosse Anwesenheitspolitik bei grösseren Demonstrationen und die Abhängigkeit vom Zeitplan der Mächtigen (Treffen, Abstimmungen, etc.) zurücklassen, um einen Kampf voranzutragen, der die Herrschaft in ihrer Gesamtheit in Frage stellt. Wenn wir die Subversion des alltäglichen Lebens wollen, dann muss diese so alltäglich sein wie das Leben selbst. Was nützt es, wenn die Revolte an spezifischen Ereignissen festgemacht wird, ohne dass sie mit der eigenen täglichen Realität verbunden werden kann?
Wenn wir nicht, wie eine besonders einfältige Revolutionärin am 1. Mai vor einem Jahr gegenüber den Medien äusserte, von der „Revolution vor dem Bundeshaus“ träumen, wenn wir die Macht nicht als Zentralität betrachten, als Winterpalast, den es zu stürmen gilt, sondern denken, dass Macht ein soziales Verhältniss ist, das überall in Frage gestellt werden kann, und überall verstreut in Strukturen und Personen Form annimmt, dann öffnet sich ein ganzes Spektrum von einfachen und breitgefächerten Angriffsmöglichkeiten.
Auf der Suche nach Wegen, das Bestehende und somit unsere tatsächliche Lebensbedingung wirklich zu untergraben, werden uns auch die leerlaufenden Diskussionszirkel nicht weiter bringen, die sich in ideologischen Auseinandersetzungen oder in bis in alle Ewigkeiten vertieften Analysen der “polymorphen Beziehungen der Macht“ verlieren. Ihnen entwischt die soziale Realität schon alleine dadurch, dass sie die Tatsache zu negieren scheinen, dass das Bewusstsein an die gelebte Erfahrung gebunden ist. Wir glauben nicht an im Hinterzimmer geschmiedete Pläne der zukünftigen Umwälzung, nicht an eine Vertiefung der Kritik, ohne ein Experimentieren damit in der Praxis, und auch nicht an die perfekte Methode, um “wirklich zu schaden“, ohne von irgendwelchen Mechanismen dieser Gesellschaft in irgendeiner Form verwertet zu werden. Wir haben oft genug gesehen, wie dies letztenendes bloss darauf hinausläuft, in Untätigkeit zu resignieren (oder Kunst zu machen – welch Widersinn!). Jenseits irgendeiner illusorischen “Reinheit“ in der Aktion, liegt die Herausforderung darin, unseren Verlangen, die gewiss in keinster Weise integrierbar sind, einen möglichst deutlichen Ausdruck zu geben, der, durch beständige Selbsthinterfragung, möglichst wenig von der herrschenden Entfremdung reproduziert, die diesen Ausdruck wieder integrierbar macht.
Wir halten es in unserem Kontext für besonders wichtig, das Werk der Rekuperation, das heisst, der Wiedereingliederung von Konflikten in die Mechanismen der Gesellschaft (von den Strömungen der “Linken“ bis zum künstlerischen und subkulturellen Milieue als ihre Avantgarde), überall dort gnadenlos zu denunzieren, wo es sich zeigt – und wenn es ganz dicht bei uns ist. Und es geht uns dabei nicht um die persönlichen Kompromisse, die wir alle eingehen, da wir Teil der Welt sind, die wir bekämpfen, sondern um jene Verdrehungen, die diese Kompromisse als eine Art verkaufen wollen, diese Welt zu bekämpfen. Die Geschichte hat uns die tausend Wirrungen immer und immer wieder gezeigt, die zahlreiche einstmalige Revolutionäre zur Einbindung ihrer Kritik und somit zur Verstärkung des Bestehenden verleiteten. Wenn wir diesen Zyklus wirklich durchbrechen wollen, dann müssen wir endlich die Lehren aus diesem dunklen Kapitel unserer Geschichte ziehen.
Gerade hier, wo es aufgrund der niedrigen sozialen Spannungen vielleicht mehr als sonstwo an den Subversiven selbst liegt, Kämpfe zu lancieren, die nach einer gewissen sozialen Verbreitung suchen, könnte eine deutliche Erkennung und Benennung der rekuperierenden Kräfte eine qualitative Stärke sein.
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Anarchisten haben schon immer mit unterschiedlichen Methoden gekämpft, in Abhängigkeit der historischen und sozialen Situation, in der sie sich befanden, sowie der Debatten und Konflikte, die unter ihnen geführt wurden. Wir stehen heute in der Schweiz vor einer gänzlich verschiedenen Ausgangslage als noch vor 100 oder vor 40 Jahren, und ebenso, als im heutigen Frankreich oder Griechenland. Jede revolutionäre Anwandlung kommt nicht umhin, sich dessen bewusst zu werden.
Die Zeit der grossen Arbeiterkämpfe scheint vorbei, eine deutliche Klasse von Ausgebeuteten, die die Last der Macht und des Reichtums einiger weniger trägt, und es weiss, ist verschwunden. Doch die Transformation des Proletariats in eine grosse Masse von Lohnabhängigen ohne irgendwelche Verbundenheit oder Klassensolidarität hat die sozialen Kämpfe nicht beseitigt, wohl aber den Klassenkampf. Wenn wir nach Methoden suchen, um seine Rückkehr zu begünstigen (falls wir diese Begrifflichkeit überhaupt noch verwenden wollen), dann meinen wir damit schlicht solche, die den Antagonismus verdeutlichen und intensivieren, der zwischen jenen verläuft, die sich in dieser Welt unterdrückt und ausgebeutet fühlen und diesem Zustand ein für alle Mal ein Ende setzen wollen, und jenen, die diese Unterdrückung und Ausbeutung aufrechterhalten wollen.
Methoden, die in anderen Ländern durchaus angebracht sind, wie die anarchistische Intervention in Massenkämpfe, deren Teilziele uns zwar nicht genügen (vergangenes Jahr beispielsewise gegen eine Renten-Reform in Frankreich oder gegen eine Mülldeponie in Italien), die aber zu Mitteln greifen, die wir befürworten (Selbstorganisation, Sabotage, direkte Aktion,…), scheinen hierzulande weniger naheliegend, schlicht, da sich zurzeit äusserst selten solche Kämpfe artikulieren. Eines der letzten umfangreichen Beispiele dafür war wohl die Bewegung gegen die AKW‘s in den 70er/80er Jahren. Über Jahre hinweg versuchten Gefährten in ihrem Innern eine revolutionäre Kritik zu entwickeln, die sich, über die nukleare Frage hinaus, mit einer Kritik an der ganzen Gesellschaft und ihren tausend Schädlichkeiten und Unterdrückungsformen verband. Gleichzeitig sah sich die Bewegung von einem breiten Spektrum an praktischen Vorschlägen begleitet, die es ermöglichten, jenseits der politischen Delegation, die Veränderung selbst in die Hand zu nehmen. (Eine Evaluation dieser Bewegung und ihrer radikalen Tendenzen könnte sicher lehrreich sein, vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass der Staat gegenwärtig den Bau von zwei neuen AKW‘s plant…)
Zurzeit rührt sich in dieser Hinsicht also wenig, kein Brodeln, in dem unsere Ideen der Gärstoff für enthousiastische Vorstosse gegen diese Welt sein könnten. Weniger als die Frage der Intervention, stellt sich uns heute jene der Provokation von sozialen Kämpfen.
Wo liegen die Unzufriedenheiten? Wo liegen die Verantwortlichkeiten dafür? Inwiefern sind diese bereits verständlich, oder können sie verständlich gemacht werden? Eignet sich das Thema als Ausgangspunkt, um einen anarchistischen Diskurs zu lancieren? Bietet es eine Vielfalt an ersichtlichen und reproduzierbaren Angriffsmöglichkeiten?
Diese Überlegungen lassen uns gewissen Thematiken näher kommen, was aber nicht bedeutet, dass uns andere weniger am Herzen liegen. Schliesslich besteht die Kunst der Subversion darin, die verschiedenen Punkte untereinander zu verbinden. Wo besteht der Zusammenhang zwischen dem Gefängnis und dem Urbanismus? Den AKW‘s und dem Militarismus? Der Migration und der Entfremdung? Der Verwüstung der Umwelt und der Vereinzelung der Menschen? Dem Kapitalismus und unserem alltäglichen Leben?
Die konfliktuelle Leere, die uns momentan umgibt, hat auch ihre Vorteile. Ohne uns mit grossen gewerkschaftlichen und reformistischen Bewegungen herumschlagen zu müssen, die den sozialen Konflikten stets ihre Forderungen aufzupfropfen versuchen, können wir genau jenen Diskurs aufwerfen, den wir wollen, und ihm vielleicht einfacher Raum verschaffen. Gewiss, wer in einer Einsatz/Gewinn Logik denkt, wird dabei kaum weit gehen. Ein solcher Kampf muss der gelebte Ausdruck unserer Verlangen sein, dann ist der Einsatz der Gewinn. Egal um welche spezifische Thematik er sich drehen mag, die Qualität liegt in dem unintegrierbaren Charakter der Mittel, die wir wählen, und der Kritik, die wir entwickeln; darin, dass wir ausgehend von jedem Punkt das aufzeigen wollen, was nur auf die Infragestellung der Gesamtheit hinauslaufen kann.
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Als Revolutionäre sind wir daran interessiert, einen Bruch mit der Normalität und nicht einen illusorischen Rückzug aus ihr zu verbreiten. Mit diesem Bruch, dem von manchen offenbar als ominös empfundenen Begriff der Revolte, meinen wir schlicht jene individuellen oder kollektiven, kurz oder lang anhaltenden Momente in all ihren Formen, in denen mit der Akzeptanz einer Autorität gebrochen wird, sei dies nun jene des Lehrers, der Eltern, des Chefs, des Bullen, des Gefängniswärters, des Sozialarbeiters, oder jene von Gesetz und Moral. Die affektive oder bewusste Revolte ist, kurz gesagt, eine befreiende Konfrontation mit Personen oder befreiende Zerstörung von Strukturen, in denen sich die Autorität manifestiert. Sie ist das offene Zutagetreten des Konfliktes, der sonst so oft in sich selbst zurückgehalten wird.
Gewiss, jemand der gegen irgendeine Form von Unterdrückung revoltiert, stellt nicht zwangsweise die Unterdrückung als solche und in ihrer Gesamtheit in Frage, im Gegenteil, eine solche Behauptung wäre bloss der Grundstein zur Errichtung des alten Konstrukts irgendeines revolutionären Subjektes (der revoltierende Arbeiter, Gefangene, Migrant, Jugendliche,…). Dennoch kann die Verteidigung von oder, falls möglich, die Komplizenschaft in diesem Akt, in dem wir auch unser Verlangen nach Freiheit wiedererkennen, ein Moment sein, um die Auseinandersetzung zu vertiefen – nicht nur mit den Revoltierenden selbst sondern auch mit allen anderen. Gerade hierzulande, wo sich solche Momente so selten ereignen.
Wenn wir also sagen, dass wir daran interessiert sind, einen Bruch mit der Normalität zu verbreiten, dann natürlich in der Aussicht auf eine Akkumulation dieser Befreiungsschläge in einer grösseren Revolte, in einem Aufstand. Dabei spielt es keine Rolle, wie nah oder fern wir eine solche Möglichkeit sehen, sondern einzig, dass diese Aussicht unsere heutigen Vorgehensweisen beeinflusst. Ohne gegen die individuelle Revolte oder Angriffe von kleinen Gruppen zu argumentieren, deren Möglichkeit und Wichtigkeit wir stets betonen wollen, suchen wir, da ein Aufstand zweifellos ein soziales Ereignis ist, nach kollektiven Momenten der Revolte. Solche Momente zu kreieren, die in ihrer Tragweite über das beschränkte Milieu der Subversiven hinausgehen, ist, in anbetracht der vorherrschenden Befriedung, vielleicht ein längerfristiges, aber gewiss kein aussichtsloses Projekt.
Falls wir nicht ewig warten wollen, bis irgendeine “Krise“ des Kapitalismus vielleicht auch irgendwann die Schweiz erschüttert, dann lasst uns die Hypothese aufstellen, dass hier der Nährboden für potentielle Revolten in nächster Zeit weniger das materielle Elend sein wird, sondern vielmehr die radikale Zurückweisung der von dieser Gesellschaft angepriesenen Werte und Glücksvorstellungen sein muss; also die andere Seite derselben traurigen Elends-Medaille, die sich der Kapitalismus erworb. Damit wollen wir in keinster Weise sagen, dass wir damit aufhören sollten, den Krieg gegen die Armen und Unerwünschten aufzuzeigen, der sich hinter dem Trugbild des sozialen Friedens verbirgt, und in diesem sozialen Krieg unsere Komplizen zu suchen, um das Feuer zu erwidern. Als Individuen, die sich von dieser Welt unterdrückt fühlen, suchen wir stets danach, an der Seite von anderen Unterdrückten zu kämpfen, doch als Individuen, die von einem ganz anderen Leben träumen, suchen wir vor allem auch danach, an der Seite von anderen Träumern zu kämpfen. Im Bewusstsein, dass die Revolten, die weiterhin stets aus dem Elend hervortreten werden, erst dann revolutionär werden, wenn sie von dieser Gesellschaft nichts mehr erhoffen.
Daher verlangt es uns nach einer wiederergriffenen Offensive subversiver und anarchistischer Ideen, von ihren einfachsten Grundlagen bis zu ihren tiefgründigsten Auseinandersetzungen, an allen möglichen Orten, mit allen möglichen Mitteln (Flugblätter, Plakate, Brochüren, Bücher, intern oder auf der Strasse verteilte Zeitschriften, Sprayereien, Diskussionen, Provokationen, Skandale und allem, was die Fantasie ergreift).
Aller Schwierigkeiten und Hindernisse zum Trotz, wollen wir schliesslich auch bekräftigen, dass eine radikale Bewegung, die sich hier in der Schweiz gegen eine so ausgereifte Form der Herrschaft auflehnen würde, von einer solchen Qualität wäre, dass sie von ihr wohl äusserst schwer noch zu täuschen oder zu befrieden wäre. Denn wer sich nicht nur dem Elend, sondern auch dem “Reichtum“ dieser Welt entgegenstellt, den wird sie nicht erkaufen können.
Das Spiel der Subversion
Der Graben, der heute zwischen den Subversiven und anderen sich unterdrückt Fühlenden besteht, einerseits durch Subkultur und identitäre Abgrenzung selbst geschaffen, andererseits durch die mediale Lynchung systematisch vertieft, ist vielleicht schwierig, aber für jede revolutionäre Anwandlung notwendig abzubauen. Das Auftreten als getrennte Organisation oder als getrenntes Milieue wird diesen Graben nur vertiefen. Wir verstehen unsere Aktion als Teil der sozialen Spannung, aus der sie hervortritt, und nicht als etwas, das ihr äusserlich ist.
Kennzeichen und Identitäten erschweren es ausserdem bloss, die verschiedenen Ideen- und Handlungsvorschläge als das wahrzunehmen, was sie tatsächlich sind, und eine lebhafte Diskussion in Gang zu bringen, deren Ziel es nicht ist, sich selbst zu behaupten, sondern, die geeignetsten Wege zu finden, um das Bestehende wirklich zu untergraben. Nur allzu oft wird die inhaltliche Leere, was diesbezügliche Überlegungen betrifft, durch das ewige Wiederholen von Markenzeichen zu verbergen versucht, wie wir das von gewissen Marxisten-Leninisten und ihren Jugendtruppen sehr gut kennen.
Eine revolutionäre anarchistische Bewegung, verstanden als Dynamik und nicht als Einheitlichkeit, könnte sich dadurch konstituieren, dass eine jede autonom von Individuen oder Gruppen von Individuen ergriffene Initiative (seien dies Direkte Aktionen, Flugblätter, Plakate, verschriebene Mauern, Zeitschriften, Blockaden, Sabotageakte, vertiefende Texte, Diskussionen, Demos, etc.), durch jede weitere an Bedeutung gewinnt – in einem Wechselspiel von Ergänzungen, Weiterentwicklungen, Konflikten und Kritik. Die Isoliertheit der Initiativen, die so viele beklagen, liegt also an jeder einzelnen Person zu durchbrechen. Ihre mangelnde Tragweite liegt an jedem und jeder zu erweitern. Eine Bewegung die auf einer solchen Dynamik beruht, ist nicht nur flexibler und lebendiger, sie entgeht auch den autoritären Fallen, die sich hinter dem Organisationismus und Programmatismus verbergen, die schon so viel subversive Spontaneität erstickten. Ihre Grundlage wären die verschiedenen individuell oder kollektiv initiierten Projekte, die nach Komplizen in der Revolte, sowie nach einer Verbreiterung und Vertiefung der Diskussion suchen. Eine koordinative Organisierung um spezifische kurz- oder längerfristige Projekte ist dadurch nicht ausgeschlossen, solange die Projekte der Grund zur Organisierung sind, und daraus nicht eine “Organisation“ entsteht, die sich ihnen überstülpt. Für am wichtigsten halten wir es jedoch, eine möglichst grosse gegenseitige Autonomie unter den agierenden Grüppchen oder Personen zu bewahren und eine gewisse Sensibilität für die Möglichkeiten zu entwickeln, die sich denjenigen überall zeigen, die sich mit dem ganzen Leben auf das grosse Spiel einlassen, das die Subversion ist.
Wenn dass Terrain einer möglichen sozialen Konfliktualität (um die Frage der Migration, um den Urbanismus, um den Bau neuer Atomkraftwerke,…) von Gefährten angegangen wird, wieso, wenn man sich darin wiedererkennt oder daran Kritik übt, dieses Terrain nicht seinerseits auf seine Art und Weise ebenfalls aufgreifen? Sollte die aus allfälligen Differenzen entstehende Diskussion nicht eher auf der Suche nach den geeignetsten Methoden beruhen, unsere Ideen auszuleben, mitzuteilen und zu verbreiten, anstatt auf dem Sich Verlieren in tausend strategischen Erwägungen? Wenn beispielsweise bei einer Demonstration, an der unterschiedlichste Leute teilnahmen, zahlreiche Vitrinen eingeschlagen wurden, wieso dann nicht, egal ob man daran beteiligt war oder es schlicht befürwortet, daraufhin in den verwüsteten Gegenden oder in den damals anwesenden Umfeldern Flugblätter verteilen, die von den Gründen sprechen, zum Angriff überzugehen und das zu zerstören, was uns zerstört? Wenn die Medien die Angriffe stets verzerren oder verschweigen, warum sie nicht mit allen möglichen uns zur Verfügung stehenden Mitteln verteidigen und präsent machen? Wieso dies nicht sowieso bei jeder passenden Gelegenheit tun? Je mehr Personen die Angriffe als etwas wahrnehmen, das von Verlangen und Ideen spricht, mit denen sie sich bereits irgendwie, irgendwo konfrontiert sahen, die sie verstehen oder sogar gutheissen, desto mehr entgehen die Angriffe der Isolation und sprechen für sich selbst.
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Suchen wir durch unsere Agitation vor allem nach medialer Aufmerksamkeit, die sowieso stets darauf abzielt, die Angriffe und ihre potentiellen Urheber sozial zu isolieren, oder suchen wir vor allem nach einer gewissen “Kommunikation durch Akte“ unter jenen, die sich davon ermutigen und inspirieren lassen könnten? Suchen wir vor allem nach spektakulären Aktionen mit “wirklich effizientem Schaden“, der sich allzu oft in der Warenlogik, statt im Ausmass der wirklichen Blockierung oder Durchbrechung des Alltags ermisst, oder suchen wir vor allem nach der sozialen Verbreitung der Revolte, was gewisse Überlegungen zu Sichtbarkeit, Reproduzierbarkeit und Verständlichkeit impliziert? Das eine bedeutet, auf der militärischen und quantitativen Logik aufzubauen, die wir doch bekämpfen und in deren Rahmen wir immer den Kürzeren ziehen werden, das andere, auf einer gewissen Sensibilität für soziale Spannungen und Unzufriedenheiten aufzubauen, das heisst, auf jener Stärke, die wir wirklich haben: den sozialen Charakter unserer Ideen.
Wollen wir vor allem “mehr werden“, “Zustimmung“ erheischen, auch wenn dies die Verwässerung unserer Ideen und die Negation der autonomen Emanzipation der Individuen bedeutet, oder wollen wir vor allem das, was uns am Herzen liegt, die Ideen, die uns faszinieren und für die wir kämpfen, auf möglichst verständliche Weise mitteilen, so dass jeder damit anfangen kann, was er will? Das eine bedeutet, Sympathisanten und Anhänger um sich zu scharen, das andere, mögliche Gefährten zu suchen, die aus eigener freier Entscheidung dieselbe Richtung einschlagen wie wir. Das eine bedeutet, in einer von den eigenen unmittelbaren Verlangen getrennten Tätigkeit eine quantitative Bewegung aufzubauen, die sich recht schnell zufrieden geben wird, das andere, gestützt auf die Verwirklichung unserer Verlangen im Jetzt, eine Bewegung zu entwickeln, die sich mit nichts zufriedengeben wird, da sie alles will.
Wenn wir dennoch in unserem Handeln nicht auf einen kleinen Kreis vertrauter Anarchisten beschränkt bleiben wollen, schlagen wir vor, offensive Projekte zu lancieren, deren Grundlage nicht notwendigerweise die völlige Übereinstimmung in allen Aspekten unserer Ideen (die letztendlich zwischen keinen einzelnen Individuen existiert), sondern die Art und Weise ist, zu einem spezifischen Ziel zu gelangen. Darin liegt beispielsweise der Unterschied, ob wir die “Abschaffung“ oder die “Zerstörung“ einer spezifischen Struktur der Unterdrückung wollen, eines Ausschaffungsgefängnisses beispielsweise. Das eine bedeutet, sich in der Wahl der Worte und Taten auf das Terrain von Politik und Medien zu begeben und sich dem demokratischen Gewissen anzupassen, das man für sich gewinnen will, das andere ermöglicht uns, einen anarchistischen Diskurs voranzutragen, der sowieso stets auf die Zerstörung des Staates und aller Strukturen der Unterdrückung abzielt. Das eine bedeutet, zu fordern, an den Staat zu delegieren und kann unter Umständen und unter einem gewissen Druck auch im Rahmen des Bestehenden umgesetzt werden, das andere bedeutet, keine Verhandlungspartner zu akzeptieren und können wir nur erreichen, wenn wir mit Praktiken der offensiven Selbstorganisation experimentieren (während wir beispielsweise durch Worte und Taten aufzeigen, dass die Instanzen, die die Ausschaffungsgefängnisse, die Atomkraftwerke, die Forschungslabore, die urbanistischen Projekte, oder was auch immer am Laufen halten, in den Strassen auffindbar und angreifbar sind). Das Ziel eines solchen Kampfes wäre nicht der Akt der Zerstörung an sich (der wohl meist mit einer kleinen Gruppe leichter zu bewerkstelligen wäre), sondern der kollektive Aufstand gegen die spezifische Struktur, und vor allem, die Erfahrungen, Diskussionen und Entwicklungen, die auf dem Weg dahin gemacht werden.
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Man könnte in diesen Tagen fast den Verdacht hegen, dass sich etwas neuer Elan zu verbreiten beginnt. Darum lasst uns für unsere Vorhaben keine Grenzen akzeptieren, ausser die Grenzen unserer Vorstellungskraft, und auch die Möglichkeiten in Betracht ziehen, die die Situation unter uns selbst bietet: ein Kontext, der noch nicht von tausend verhärteten Streitigkeiten durchdrungen ist, wo unzählige Felder noch offen liegen, um erforscht zu werden, wo noch nie geführte Diskussionen zu entwicklen sind, in denen man sich gegenseitig zu verstehen und zu kritisieren versucht, um die Waffen gegen diese Ordnung zu schärfen, und sich nicht damit begnügt, kleine Burgen zu errichten.
Es bleibt noch viel zu sagen,
es bleibt noch viel zu tun.
„Zu träumen wecke sich wer kann“