Vierzig
Vor 40 Jahren, am 17. Mai 1972, wurde der Polizeikommissar Luigi Calabresi vor seinem Haus in Milano getötet. Er, der Hauptverantwortliche für den Tod von Giuseppe Pinelli, des Anarchisten, der einige Tage nach dem Piazza Fontana-Massaker aus dem Fenster des Polizeikommissariats von Milano gestossen wurde, wird seine Tage auf dem Trottoire der via Cherubini, Morgens um 9:15 beenden. Es ist weder ein Infarkt, noch ein Unfall, es sind zwei Kugeln, die ihn zwangen, sich von seiner Karriere, von seiner Pension und seinem Lebensabend zu verabschieden. Der Kommissar Fenster überlebte sein Opfer also weniger als drei Jahre.
Der Mord am Kommissar Calabresi sorgte im ganzen Land für Aufregung, doch nur seine Kollegen, seine Arbeitgeber und diejenigen, die von seinem Schutz profitierten, haben ihn beweint. Alle anderen, das heisst die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung, nicht. Niemand hat ihn beweint. „Sie haben den Mörder von Pinelli getötet? Gut gemacht!“ war das Gefühl, das zu dieser Zeit am verbreitetsten war. Jedenfalls das unmittelbarste, das innere Gefühl, das jedes politische Kalkül beiseite lässt. Aber die Politik ist, wie man weiss, ein Manko, das schwer zu beseitigen ist. Sie verbirgt sich, verwurzelt sich und entwickelt sich überall. So sind gleich nach dem Tod von Calabresi Führer und werdende Führer der Bewegung aufgetaucht, die begannen, herumzumeckern, die Nase zu rümpfen, die Begeisterung zu zügeln. Offenbar war die Vorstellung untolerierbar, dass einfache Individuen von zuhause losziehen, den Feind aufsuchen und ihn beseitigen können, ohne auf den kollektiven Grossen Tag zu warten. Solche Akte könnten riskieren, dass Parteien, Versammlungen, Führer und Komitees überflüssig werden. „Freut euch nicht, das ist ein Schlag der Geheimdienste!“, „Stosst nicht darauf an, das ist ein Vorwand, um die Repression zu ermutigen!“, „Lacht nicht, das ist nicht das Produkt eines Massenkampfes!“. Im Namen der Politik, der Strategie, der Taktik – alles Dinge, an denen die unterschiedlichen militanten Rackers festhalten – wurde der Jubel angesichts der Beseitigung von einem der unerbittlichsten Feinde der Bewegung verboten oder lächerlich gemacht.
Es war eine exemplarische Aktion, die für sich selbst sprach, die keine Rechtfertigung oder Erklärung nötig hatte. Und tatsächlich, dem Mord an Calabresi, der laut vielen Anstoss für den bewaffneten Ansturm der 70er Jahre gegeben hat, wird kein Markenzeichen gegeben, er wurde von keinem Logo unterzeichnet. Ein Bekennerschreiben zirkulierte laut Aussage von einigen in den subversiven Milieus, wurde aber von allen in den Papierkorb geworfen: es war unvorstellbar, es auch nur in Erwägung zu ziehen. Wie auch immer, sei es auch Dank der Zensur der Bewegung und trotz der kontroversen richterlichen Verurteilungen einiger Exponenten von Lotta Kontinua, bleibt die Tatsache, dass der Mord an Calabresi stets als ohne Urheberschaft, als Kind von Unbekannten, als anonym betrachtet wurde. Etwas, das aus dem dunklen Jungel kommt. Nur das, was niemandes Eigentum ist, kann allen gehören.
Vierzig Jahre später, am 7. Mai 2012, wurde Roberto Adinolfi vor seinem Haus in Genua ins Bein geschossen. Der delegierte Verwalter von Ansaldo Nukleare, einem multinationalen Konzern, der grosszügig Tumore und Radioaktivität verbreitet, brach zu Boden auf dem Pflaster der via Montello, Morgens um 8:30. Es ist weder ein Infarkt, noch ein Unfall, sondern eine Kugel die ihn zwang, vielleicht den Rest seiner Tage zu hinken. Er wird wahrscheinlich einiges länger überleben, als die Opfer seiner Arbeit.
Die Verletzung von Adinolfi ging in allen Medien des Lendes herum, aber nur seine Kollegen, seine Arbeitgeber und einige seiner Angestellten haben ihn beweint. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung scheint es nicht einmal gemerkt zu haben, da sie ganz andere Sorgen hat. Die Bewegung aber, im Gegensatz, diese hat es bemerkt. Eine Bewegung, in der sich die Politik immer mehr einnistet, verwurzelt und ausbreitet. Es mangelte nicht an Kameraden, die begannen, herumzumeckern, die Nase zu rümpfen oder jegliches Lächeln zurückzuhalten. Die Argumente sind noch immer dieselben, ähnlich wie jene vor vierzig Jahren: „Lacht nicht, das ist nicht das Produkt eines Massenkampfes!“, „Stosst nicht darauf an, das ist ein Vorwand, um die Repression zu ermutigen!“, „Freut euch nicht, das ist ein Schlag der Geheimdienste!“. Immer der selbe Refrain, unveränderlich in seiner Tristheit: ein wahrer Aufruf zur Aberkennung. Im Namen der Politik, der Strategie, der Taktik – alles Dinge, an denen die unterschiedlichen militanten Rackets festhalten -, fordert man einen Tadel für die Tatsache, einen der dreckigsten Manager des Staates verletzt zu haben. Offensichtlich bleibt die Vorstellung, dass einfache Individuen ihr zuhause verlassen, den Feind aufsuchen und ihn beseitigen können, ohne auf den kollektiven Grossen Tag zu warten, untolerierbar. Dies könnte riskieren, Parteien, Versammlungen, Führer und Komitees überflüssig zu machen. Auch diese Aktion spricht für sich selbst, sie braucht keine Rechtfertigung oder Erklährung. Aber dieser Angriff gegen Adinolfi kannte ihr Markenzeichen, wurde mit einem Logo unterzeichnet. Ein Bekennerschreiben ist an die Medien gelangt und wurde unmittelbar wahrgenommen. Diesmal kein dunkler Jungel, sondern die grell leuchtenden Neonlichter, um das eigene Gesicht zu beleuchten. Da es das exklusive Eigentum von einigen ist, wird diese Aktion nicht allen gehören können.
Aus vierzig Jahren Distanz, haben sich die Zeiten geändert? Jedem seine Entscheidungen, jedem seine Schlussfolgerungen…