Faltblatt

Ansicht«Wenn wir aber entschlossen sind, die mit dem Atom spielenden Zauberlehrlinge aufzuhalten, wenn wir beabsichtigen, dem Heer der Atomverfechter ein Hindernis zu sein, dann müssen wir uns Bewusst sein, was das bedeutet: die Zurückweiseung der Industrie- und Warengesellschaft, ihrer Organisation, ihrer Werte und ihrer Lebensweise.»

Folgendes Faltblatt wurde an der Anti-AKW-Demonstration letzten Sonntag im Aargau verteilt. Es enthält drei Texte:
«Atomkraft? Nein Danke!» genügt nicht!
– Die grosse Welle
– Drang nach Aufstand!

(Der erstere beiden Texte wurden hier bereits publiziert, wobei der erste hierfür etwas verändert und an die Situation hier in der Schweiz angepasst wurde)

Das Faltblatt kann hier als PDF heruntergeladen werden: A3, vorne und hinten + A4, vorne und hinten (A4 in gefaltetes A3 legen)

«Atomkraft? Nein Danke!» genügt nicht!

Von Cheliabinsk (1957) über Three Mile Island (1979), Chernobyl (1986), Tokaimura (1999) bis Fukushima (2011) haben die Ereignisse für sich selbst gesprochen. Die Nuklearindustrie ist das extremste Beispiel der katastrophalen Auswirkungen einer wissenschaftlichen Entwicklung, die heute, mit völliger Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben, den Erfordernissen von Politik und Wirtschaft unterstellt ist. Die die Geschichte der AKW‘s begleitenden Katastrophen zeugen von ihrer absoluten Schädlichkeit und widerlegen jegliches Beteuern ihrer “Sicherheit“. Es gibt keine und es kann keine sichere und saubere Atomenergie geben, frei von Risiken, Defekten oder Fehlern und ohne giftige Abfälle. Jene, die das Wunderwerk der Reaktoren dritter oder vierter Generation rühmen, jene, die die Kernfusion anpreisen, die “sicherer“ sein soll, als die Kernspaltung, lügen in vollem Wissen darüber; sie wissen, dass ihren schönen Worten nur solange Glauben geschenkt werden kann, bis der nächste Unfall passiert. Wie ist es also möglich, dass man hier in der Schweiz so sehr an den AKW‘s festhält und sogar über den Bau von 2 neuen Kraftwerken spekuliert?

Lasst uns zu Beginn sagen, dass der Atomlobby etwas gelang, was noch keinem Tyrann jemals gelungen ist: das Aufzwingen der eigenen (radioaktiven) Herrschaft für mindestens 24‘000 Jahre (Halbwertszeit des Plutonium239). Die Menschheit wird in Zukunft – angenommen, dass sie eine hat – wohl oder übel mit diesem giftigen Geschenk zurechtkommen müssen.

Zum ersten Mal in seiner Geschichte beschränkt sich der Mensch nicht bloss darauf, die Materie zu benutzen und sie zu formen, sondern dringt ins Innere der Materie ein. Die zivile und militärische Nukleartechnologie offenbart und konzentriert ein noch nie dagewesenes Phänomen im Prozess der Zerstörung des Lebens. Nie zuvor ist die Existenz des Planeten so sehr aufs Spiel gesetzt worden, wie durch diese Flucht nach Vorne der wissenschaftlichen Entwicklung. Die Atomkraft und ihre Auswirkungen sind unkontrollierbar, unwiderruflich und irreparabel. Sie markiert den Punkt ohne Umkehr, jenen, nach dessen Überschreitung eine Wiedergutmachung unmöglich ist.

Doch die Atomlobby hat, nach dem kurzen Dämpfer von Fukushima, das Feuer mit ihren medialen Geschützen bereits wieder eröffnet. Politiker, Wissenschaftler und Industrielle machen sich eifrig daran, mit ihren profitgesteuerten Argumenten die Geister zu vergiften. Obwohl die kontinuierlichen Unfälle nicht ein, sondern hundert Mal die Unmöglichkeit gezeigt haben, die Atomkraft im Griff zu haben, wird weiterhin die Erpressung mit der energetischen und wirtschaftlichen Notwendigkeit der AKW‘s ausgeübt. Jene, die sich dagegen wehren, werden als Utopisten und Verantwortungslose hingestellt. Doch hätte es irgendeinen Sinn, diejenigen, die uns vorwerfen, in die Steinzeit zurückkehren zu wollen, daran zu erinnern, dass, während das Paläolithikum der Beginn der Menschheit war, die Atomkraft Gefahr läuft, ihr Ende zu markieren? Nein, dass wäre völlig sinnlos. Die Nukleartechnologie ist die Frucht jener Staatsräson, die heute im Umweltschutz ein Hinderniss für die Industrie sieht, während sie die Sorgen über die Gesundheit des Planeten für unsinnig erklährt. Es ist diese selbe Räson, die beispielsweise empfiehlt, jene französischen Kernkraftwerke weiter zu betreiben, die gerade in letzter Zeit reihenweise Unfälle verzeichneten.

Der Wahnsinn ist offensichtlich. Der König ist nackt wie ein Wurm, aber er schämt sich dessen nicht. In seiner aufgeblasenen Arroganz ist er sich sicher, dass niemand mehr Augen hat, um ihn zu sehen, dass niemand mehr eine Stimme hat, um ihn an den Pranger zu stellen.

Die Atomkraft ist keine Energiefrage, sondern eine politische Frage. Aus einem strikt energietechnischen Blickwinkel sind ihre Kosten so hoch, ihre Risiken so enorm, dass das Interesse an ihrer Produktion vergehen würde. Aus einem politischen Blickwinkel jedoch ist die Atomkraft das gewaltigste Herrschaftsinstrument das jemals existierte. Was nämlich ist die praktische und unmittelbare Folge davon, eine allgemeine Vernichtung der Menschheit ermöglicht zu haben? Es ist die Lähmung unseres Vorstellungsvermögens, das Festklammern mit Händen und Füssen an einer verabscheuenswerten Realität, deren Geiseln wir bereits geworden sind.

Machen wir ein paar Beispiele. Mit dem Argument der Kompliziertheit der nuklearen Frage, soll einer möglichen Kritik das Wort genommen werden, die für unfähig erklährt wird, die Faktoren des Problems mit Sachkenntnis einzuschätzen. So überlässt man die letzte Entscheidung den Experten, welche von den unterschiedlichen Interessenten bezahlt werden.

Die Atomkraft, mit ihren Produktionsstätten und Abfall-lagerplätzen einmal aufgezwungen, bleibt der Staat die einzige Instanz, die Fähigkeit und Mittel besitzt, um ihre Risiken und Schäden – wenn nicht zu verhindern – so zumindest zu senken und einzugrenzen. Ihm kommt die Rolle zu, über die Sicherheit dieser Orte zu wachen, ohne das irgendwer auch nur im Geringsten die getroffenen Entscheidungen in Frage stellen könnte.

So kann der nukleare Staat, nachdem er die Menschheit an den Rand des Abgrunds gedrängt hat, von sich behaupten, der einzige sichere Zufluchtsort zu sein, der einzige, der fähig ist, den Gefahren entgegenzutreten, von denen er selbst die Ursache ist. Was könnte man im Fall einer nuklearen Katastrophe tun? Wer hätte die Mittel, um zu intervenieren? Jede spontane Reaktion von Solidarität und kritischer Überlegung würde schon im Voraus auf eine Bürgerbeteiligung an einem Prozess reduziert werden, dessen einziger absoluter Meister der Staat bleibt. Die Errichtung von Atomkraftwerken dient also wesentlich auch dazu, die staatliche Kontrolle über die Gesellschaft zu verstärken und die Unterwerfung der Individuen voranzutreiben.

Dies hat seine Konsequenzen: Gegen die Atomkraftwerke sind jeder Form von Realpolitik die Hände gebunden. Wenn die Frage ist, Tag und Nacht den Betrieb der Industrien zu sichern und Milliarden von Elektrogeräten am Laufen zu halten, dann kann die adäquateste Lösung nur die Atomenergie sein. Wieso seine Zeit mit sauberen, erneuerbaren Energien verlieren, die einer Welt, deren Entwicklungsmodell nach einer stetigen Expansion drängt, höchstens einen Atemzug frische Luft verschaffen könnten? Es ist im Grunde offenkundig, dass der Bedarf an Energie von der Struktur der Gesellschaft, das heisst, von ihrer Organisationsform, ihrer Lebensweise abhängt. Eine Zivilisation wie die unsere – fähig, den Planeten mit ihren Kriegen in Blut zu tränken, sich mit unnützen Gegenständen zu umgeben, bis die Abfälle sie überhäufen, mit denen sie nicht mehr weiss wohin, sich mit genetisch veränderten Lebensmitteln zu ernähren, etc. –, hat in der Atomenergie jene Energie gefunden, die ihr entspricht.

Der Kampf gegen die Atomkraft wäre eine banalisierte Sache, wenn er die Form einer Opposition gegen eine falsche technische Entscheidung annehmen würde. Wenn unser Ziel einzig wäre, einen Weg zu finden, die Welt, in der wir (über)leben, mit Energie zu versorgen, dann könnten wir uns auch an dem Rummel um die technischen Details beteiligen, in der Absicht, aufzuzeigen, dass der Gebrauch von Atomenergie keine zwangsläufige Entscheidung ist. Wenn wir aber entschlossen sind, die mit dem Atom spielenden Zauberlehrlinge aufzuhalten, wenn wir beabsichtigen, dem Heer der Atomverfechter ein Hindernis zu sein, dann müssen wir uns Bewusst sein, was das bedeutet: die Zurückweiseung der Industrie- und Warengesellschaft, ihrer Organisation, ihrer Werte und ihrer Lebensweise.

Nach der kürzlichen Katastrophe von Fukushima und angesichts der Projektierung von zwei neuen Atomkraftwerken (von deren provisorischer Einfrierung wir uns besser keine grossen Hoffnungen machen) ist nicht nur zu erhoffen, sondern auch vorauszusehen, dass die anti-AKW Kämpfe wieder anschwellen werden. Auf dass sich diese Kämpfe durch ein von ideologischen Fesseln, aber auch von opportunistischer Vagheit befreites, reiches und artikuliertes Denken auszuzeichnen wissen, für welches die technischen Daten (die stets leicht durch andere Gutachten zu neutralisieren sind) zweitrangig bleiben und bloss als bescheidene Verzierung des Hauptgerichts dienen. Auf dass sie ihre Kritik auf die Gesamtheit dieser Gesellschaft, ihrer Schädlichkeiten und Unterdrückungsformen auszuweiten wissen. Auf dass sie sich durch direkte, nicht-bürokratische und nicht-politische Vorgehensweisen hervorzuheben wissen, und vielmehr daran interessiert sind, die Massen in bewusste Individuen zu verwandeln, als die Individuen in zu organisierende Masse. Auf dass sie danach suchen, die Ziele ihrer Kritik und ihres Widerstands zu dezentralisieren und nicht an einem Punkt (dem AKW) festzumachen, auf dass sie das Netz der Verantwortlichkeiten aufzuzeigen wissen, die auch in den Strassen unserer Städte zu finden und angreifbar sind. Wenn die Atomkraft und ihre Auswirkungen bereits überall sind, können auch ihre Gegner überall entstehen. Überlassen wir die demokratischen Gefechte, die Suche nach einer Einigung mit dem Staat und die Verherrlichung von erneuerbaren Energien anderen. Es interessiert uns nicht im geringsten, dieses industrialisierte Herrschaftssystem mit sauberer Energie zu versorgen. Wir wollen es beseitigen, und zwar endgültig, bevor es uns noch unter seinen Abfällen, seinen Befehlen, seinen Abgasen, seinen Gesetzen, seinen Giftstoffen und seiner Moral begräbt. Wie ein alter anarchistischer Wissenschaftler einst sagte: „Es ist eine Maschine, das stimmt, aber zusammengesetzt aus menschlichen Rädern; sie bewegt sich wie von einer blinden Kraft angetrieben. Um sie anzuhalten, braucht es nichts weniger, als die kollektive und unzähmbare Kraft einer Revolution“.

 

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Die grosse Welle –> siehe hier

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DRANG NACH AUFSTAND

„ Irgendetwas muss sich ändern“, hört man sagen. Die Aufstände in der arabischen Welt und die nukleare Katastro-phe von Japan haben einerseits die Möglichkeit, andererseits die Notwendigkeit sich gegen die Interessen der Machthaber aufzulehnen, bei einigen wieder ins Bewusstsein gerufen. Aber machen wir uns keine Illusionen: bedeutet dieses „Irgendetwas“ nicht bloss, anstatt endlich jegliche Unterdrückung zu beseitigen, sie unter demokratischer Fassade neu einzurichten? Bedeutet es nicht bloss, anstatt endlich den nuklearen Wahn zu beenden, ihn mit Gerede über Sicherheit und Energiebedarf zu überhäufen, bis er wieder vergessen ist?

„Irgendetwas“ muss sich ändern. Das haben auch jene begriffen, die von der Unterdrückung profitieren. Bald war den westlichen Staaten klar, das sich die nordafrikanischen Diktatoren nicht mehr halten können, mit denen man bis vor kurzem noch Hände schüttelnd in die Kameras grinste. So schien es ihnen für die Stabilität des Ölhandels und der Migrationsverwaltung vorteilhafter, die demokratischen Oppositionsführer zu unterstützen – wenn nötig mit militärischer Gewalt. Diese neuen Führer, die den Aufständischen Forderungen in den Mund legten, betrogen jene, die Polizeiposten, Gerichte, Gefängnisse und Parteibüros zerstörten, um die Freiheit, für die sie so voller Wut, Freude und Mut alles riskierten. Freiheit nämlich, wenn es nach uns geht, beginnt mit der Beseitigung aller Einrichtungen des Zwangs und hat weder mit Diktatur, noch mit Demokratie, noch mit irgendeiner Form von Staat irgendetwas zu tun, sondern vielmehr mit der Abwesenheit jeglicher Autorität: mit der unmittelbaren Selbstbestimmung über jeden Moment unseres Lebens. Und davon sind wir, im Maghreb sowie hier in der Schweiz, meilenweit entfernt.

„Irgendetwas“ muss sich ändern, erzählen uns auch die Öko’s und grünen Kapitalisten. Sie wollen uns erneuerbare Energien und Bioprodukte als „Alternative“ zu Atomkraft und Umweltzerstörung verkaufen, während das Fortbestehen dieser durch und durch industrialisierten Gesellschaft unangetastet bleiben soll. Sie wollen uns glauben machen, diese Welt, mit ihrer immensen Warenproduktion, ihrer Geschwindigkeit, ihrem Leistungsdruck und ihrer Profitgier, diese Welt, die sich seit jeher auf die Unterdrückung und Ausbeutung des Lebens stützt, wäre eine heile Welt, wenn sie doch nur von Windrädern und Solar­panels angetrieben würde. Nein, die Frage der AKWes ist keine Energiefrage. Es interessiert uns nicht, wie diese Welt alternativ versorgt werden könnte. Wir wollen sie doch gar nicht. Uns interessiert, wie jegliche Unterwerfung der Menschen beseitigt werden kann, und dabei stehen uns die AKW’s im Wege – gerade weil sie für die Interessen der Mächtigen und den kapitalistischen Expansionsdrang so „unentbehrlich“ sind. Sie sind es, die diese erdrückende Megamaschine am Laufen halten sollen. Wenn auch zum Preis einer radioaktiven Verseuchung. Sie machen uns zu Geiseln irgendwelcher Experten, die mit Dingen hantieren, die niemand versteht, aber alle betreffen (inwiefern, haben wir von Tscheljabinsk, Three Mile Island, Tschernobyl, Tokaimura bis Fukushima deutlich genug gesehen). Wir denken nicht, das es notwendig ist, auf eine hiesige Atomkatastrophe zu warten, um zu revoltieren und mit Recht zu behaupten:
„Die herrschenden Lebensbedingungen ersticken uns!“

 

„Irgendetwas“ muss sich ändern, in der Tat. Aber wenn dies wirklich passieren soll, dann durch nichts und niemand, als durch unsere eigenen Hände, durch uns, die wir es satt haben, uns zu unterwerfen und die Entscheidungen anderen zu überlassen, und dann ist dieses „irgendetwas“ nicht irgendetwas, sondern alles!

Der „arabische Frühling“ und die „japanische Dämmerung“ bringen für uns nichts anderes als die Möglichkeit und die Notwendigkeit einer alten Sache wieder auf den Tisch: jene der sozialen Revolution.

Wir wollen nicht nur das Ende der Diktaturen
Wir wollen das Ende aller Staaten, denn die Logik von Autorität, sei sie faschistisch, sozialistisch oder demokratisch, hält uns schon seit jeher von der Erfahrung wirklicher Freiheit ab.

Wir wollen nicht nur die Abschaltung der AKWs
Wir wollen die Abschaltung dieses Systems, denn es sind unsere Lebensweisen, unsere­ Werte, unsere Gewohnheiten und unsere Gleichgültigkeit, die solche Monströsitäten hervorbringen.

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