Der nachfolgende Text wurde auf http://infokiosques.net/mauvaises_intentions" publiziert und aus dem französischen übersetzt.
Arbeit, Gefängnis, Arbeit
Für einen Kampf gegen alle Formen der Einschliessung
In dieser Zeit, in der Selbstmorde bei der
Arbeit die Zeitungen betiteln und die Todesfälle in Haft ein
regelmässiges und morbides Ausmass annehmen, haben die Reaktionen auf
diese Ereignisse alle gemeinsam, dass sie uns auf falsche Fährten
locken. Man stopft uns die Ohren mit "persönlichen Dramas" zu, mit
"Managmentfehlern", "präventiver Überwachung", einer "notwendigen
individuellen Lösung", "Schulung zur Stressbewältigung", etc. Vom
Herzen des Problems spricht man jedoch nie: Die Lohnausbeutung und die
Einschliessung, Grundpfeiler des kapitalistischen Systems.
Nun, wir können die Einschliessung nicht angreifen ohne die Gesellschaft
anzugreifen, die sie produziert. Das Gefängnis ist keine abgetrennte
Welt, es betrifft nicht bloss Gefangene und ihre Angehöhrigen. Es
gewährleistet eine Funktion der Kontrolle und der Verwaltung des
unvermeidlichen Elends, um den sozialen Frieden zu bewahren. Das
Gefängnis ist wie ein Damoklesschwert, dass über dem Kopf eines/r jeden
Ausgebeuteten schwebt, damit diese/r weiterhin das Spiel der Lohnarbeit
und des Lebens, das damit einhergeht spielt. Ausserdem weiss jeder nur
allzu gut, dass der Inhaftierung die Rolle einer zusätzlichen
Brandmarkung zukommt: Man ist nicht bloss ein Ausgebeuteter, sondern
wird auch ein Ex-Häftling. Das Gefängnis prägt die Menschen weit über
ihre Einschliessungsperiode hinaus (der Strafregisterauszug ist das
beste Beispiel dafür) und hat zur Aufgabe, die Ausgebeuteten
untereinander zu trennen: zwischen jenen, die den rechten Weg
einschlagen, und jenen, die man als "Abweichende" etikettiert. Alle
Armen sind jedoch potentielle Gefangene, denn die Justiz, die sie
verurteilt, ist eine Klassenjustiz. Das Recht ist nicht neutral, es ist
nicht die natürliche Manifestation des allgemeinen Interesses, sondern
der Ausdruck eines Kräfteverhältnisses zu einem gegebenen Moment in der
Geschichte. Das Recht macht nichts anderes, als das Eigentum und die
Sicherheit der herrschenden Klasse zu sichern. Ausserdem sind es oft
nicht die Akte, die bestraft werden, sondern eher die Tatsache, der
"gefährlichen Klasse" anzugehöhren (Sans-papiers, Mitglied einer
"Bande", Minderjährige in einem Quartier mit Ausgangssperre…)
Gegen das Gefängnis zu kämpfen, bedeutet gegen den Staat und seine Justiz zu
kämpfen. Der humanitäre Diskurs, dessen einziger Horizont die
Verbesserung der Haftbedingungen und mehr Respekt für die Rechte der
Gefangenen ist, trägt daher de facto zur Perfektionierung der
Einsperrung und zur Erhaltung der Knastinstitution bei. So sind
beispielsweise die Duschen in den Zellen der neuen Gefängnisse für die
Strafvollzugsverwaltung eine Methode, um die Bewegungen zu reduzieren,
um die Häftlinge noch mehr voneinander zu trennen und zu isolieren. Die
Architektur dieser neuen Anstalten (kleine Einheiten, Videoüberwachung,
Limitierung der Verlegungen) erlaubt, die Kontrolle und Überwachung der
Gefangenen zu optimieren, mit dem Ziel, den Revolten zuvorzukommen und
sie im Zaum zu halten.
Auf die selbe Weise ist das,
was uns als Alternative zum Gefängnis präsentiert wird (elektronische
Fussfesseln und andere Formen juridischer Kontrolle) in Wirklichkeit
nichts anderes als ein weiteres Mittel des Staates, um seine Kontrolle
über gewisse Bevölkerungsschichten auszuweiten. Diese Mittel gehen mit
einer sozialen Betreuung einher, die meistens einer Auferlegung von
Zwangsarbeit gleicht, vergleichbar mit der Logik bei der
Arbeitslosenkontrolle, wo auf den geringsten Fehltritt eine Bestrafung
folgen könnte. Diese sogenannten Alternativen beteiligen sich nach
demselben Muster wie bei so vielen anderen Aspekten unserer
Gesellschaft – mit jenem der Lohnarbeit an erster Stelle – an der
Selbstdisziplin, die jeder hinnehmen muss, um an seinem Platz zu
bleiben. Diese Massnahmen, die als eine Art "Entlastung" des
Gefängnisses präsentiert werden, erlauben im Gegenteil, immer mehr
einzusperren: Die Anzahl Gefangener bleibt steigend.
Insofern das Gefängnis das Abbild der Gesellschaft darstellt, ist die
gegenwärtige Schwäche der Kämpfe in und um die Gefängnisse die
Wiederspiegelung der Abschwächung der Klassenspannung, die die
Gesamtheit unserer Gesellschaft durchdringt. Trotzdem finden heute in
Europa Kämpfe gegen die Einschliessung statt (z.B. gegen die
Internierungszentren in Italen und in Frankreich, oder gegen die
Gefängnisse in Belgien), die es ermöglicht haben, Verbindungen zwischen
Drinnen und Draussen zu machen und die versucht haben, diese Revolten
in eine weitreichendere Kampfperspektive gegen das kapitalistische
System zu stellen.
Denn die Freiheit ist nicht ein individueller Zustand, sondern ein zu konstruierendes soziales Verhältnis.