Die Situation hier in der Schweiz…

Ein kleiner Beitrag zur Kritik und Diskussion…

 

Dieser Text ist in Flyer-form im umlauf. Das PDF gibts hier.

 

 

Die Situation hier in der Schweiz, wohl im
Herzen der demokratischen Befriedung, ist
wahrlich betrübend. Die grossen sozialen Kämpfe
scheinen immer ferner oder schon gar nicht mehr
von dieser Welt. Tagtäglich schieben sich gleich-
gültig wirkende Massen durch die Strassen der Stadt,
deren Interesse an der Welt, sofern etwas solches
neben Arbeit und Warenkonsum noch Platz findet, beschränkt
sich meist auf die spektakuläre Inszenierung der
Politik. Die staatlichen Funktionäre wollen uns
noch immer glauben machen, dass jegliche Verän-
derung nur über sie stattfinden kann, obwohl eben
die Politik (das Delegieren der Interessen, die
Separation, die Vertagung, die Bürokratie) doch
derjenige Bereich ist, der sich jeglicher reellen
Veränderung entgegenstellt.

Bedenkenlos scheinen die schweizer Bürger alles
hinzunehmen, was man ihnen im unschuldigen,
weissen Kleid der Sicherheit präsentiert.
Schengen, das neue Asyl- und Polizeigesetz, der
biometrische Pass,… Und während jene, die noch
etwas rebellieren den Atem des Staates immer
dichter und kälter in ihrem Nacken verspüren, wendet
man sich diesem mit einem aufgesetzten Lächeln
zu, um ihn doch um etwas Milde zu bitten.
Man möchte gerne irgendwelche Rechte einfordern,
verhandeln und eine gemeinsame Lösung finden.
Gerade wenn es um das Thema der Migration
geht, scheint man stets naiv wegzustecken, was
man dann immer wieder aufs neue feststellt:
Dass man bloss ein Spielstein in diesem falschen
Spiel in einer falschen Welt ist, dass sie einem
vielleicht gelegentlich entgegenkommen, gar das
eine oder andere zugestehen, doch stets nur
insofern, wie es mit ihren Interesssen vereinbar ist.

Angesichts dessen wollen wir eine ganz andere
Möglichkeit betonen, und zwar jene der direkten
Selbstorganisation ausserhalb von Politik und
Mediation, jene des gemeinsamen Kampfes gegen
ein gemeinsames Übel.
Wahrlich fällt es uns schwer, uns mit Kämpfen,
die sich auf den Staat berufen, zu solidarisieren,
doch wenn Migranten ihre Gefängnisse verwüsten,
ausbrechen, Häuser besetzen und sich gegenseitig
helfen, dann erkennen wir darin dasselbe unbän-
dige Verlangen nach Freiheit, das doch der Keim jener
anderen Welt ist, nach der wir uns so sehnen. Einer
Welt, die alle Grenzen und Kategorien hinter sich
lässt und in der jeder Mensch frei und als Einzigar-
tiges bestehen kann.

Denn das "Problem" der Migration wird weiterhin
bestehen, solange der Staat und seine Grenzen
bestehen. Jegliche "Errungenschaft" innerhalb der
Politik kann nur partiell sein und wird das Elend
fortdauern lassen. Die Situation der Migranten ist
ein integraler Aspekt dieser ökonomischen,
politischen und sozialen Verhältnisse und die
unausweichliche Folge davon. Und wenn sich jetzt
die momentane Situation einiger verbessern lässt,
dann werden trotzdem weiterhin tausende in den
Asylheimen und Ausschaffungsknästen dahin
siechen – ehe nicht alle Knäste beseitigt sind,
sowie die Welt, die sie benötigt.

* * *

Auf der Suche nach Möglichkeiten, ihren
Konflikt mit dieser Welt auszutragen, spähen viele,
die noch Wut und den Drang nach Freiheit in sich
tragen, nach Osten oder Westen; dorthin, wo diese
Möglichkeiten sich zu formieren beginnen.
Doch so wichtig es ist, die internationale Situation
nicht aus den Augen zu verlieren, umso wichtiger
ist es, uns mit der tödlichen Realität vor unserer
Haustüre auseinanderzusetzen und Wege auszu-
arbeiten, dieser entgegenzutreten.
Eine Realität, in der die Omnipräsenz der Ware das
Leben verdrängt, in der der Kontroll- und Sicher
heitswahn dieses in nichts anderes verwandelt als
den aufgeschobenen Tod.
Eine Realität, in deren Internierungsanstalten
unzählige Menschen abgestumpft vor sich hin
vegetieren, wobei immer wieder welche, unter
mehr oder weniger mysteriösen Umständen, tot in
ihren Zellen aufgefunden werden.
Eine Realität, in der der junge Moritz starb, als
er am 30. Mai 2009 in Biel auf der Flucht vor der
Polizei von einem Zug erfasst wurde, genauso wie
der Asylsuchende Andy Bestman, der genau ein
Jahr zuvor, ebenfalls vor der Polizei flüchtend, in
Basel im Rhein ertrank.
Beide flüchteten sie vor denselben Repräsentanten
einer Welt, die auf Kontrolle und Herrschaft basiert.
Beide bezahlten sie mit dem Tod, während die
Verursacher verschont blieben.
Leider vermögen solche Ereignisse in diesem
Klima der Verantwortungslosigkeit, nebst ein paar
Zeilen in den Medien und formellen, legalistischen
Analysen, nur noch wenige Gemüter zu regen.
Ohne viel weiteren Aufruhr reihen sie sich in die
ohnehin schon viel zu lange Liste der vom Staat
Getöteten ein.
Es kann nicht darum gehen, die juristische
Bestrafung der verantwortlichen Polizisten zu
fordern, sondern einzig darum, für die wirkliche
Beseitigung der verantwortlichen Ordnung zu
kämpfen.

Doch während einige sich in ihr subkulturelles
Dasein zurückziehen, lassen sich andere auf das
falsche Spiel der Politik ein.

Das eine wie das andere sind Ursache und Folge von
dieser gähnenden Leere dort, wo eine revolutionäre
Perspektive sein könnte.
Wenn wir, die wir nicht für ein Bruchstück des
Ganzen kämpfen wollen, sondern für das unmit-
telbare Verfügen über jeden Moment unseres
Lebens, wenn wir diese Leere mit Inhalt füllen
wollen, dann ist es endlich an der Zeit, deutlich zu
werden;
und in jeder Situation den Feind zu identifizieren.

Dann lasst uns unsere Begierden mit dem Bewusstsein
über einen reell bestehenden Kampf in Verbindung setzen.
Mit einem Kampf, in dem wir gemeinsam als
Individuen Position beziehen, einem Kampf, indem
wir gemeinsam als Individuen die eigene Verantwortung
über unser Handlen tragen; um eine aufständische Dynamik
zu entwickeln, die von der Situation ausgeht und nicht
von Modellen.
Dann lasst uns all jene, die sich noch wehren
gegen diese miserablen Zustände, leidenschaftlich
unterstützen, doch aufgrund ihrer rebellierenden
Handlung als solche und stets mit dem Willen,
klar auszudrücken, aus welchen Gründen und
gegen was wir kämpfen.
Dann lasst uns die aufständischen Migranten unter-
stützen, indem wir für die vollständige Zerstörung
dieser die Menschen auf nacktes Leben reduzier-
enden Verwaltungsmaschinerie kämpfen; auf unsere
Art, mit unseren Mitteln, mit unseren Ideen.

Wir alle haben die Möglichkeit zu handeln.
Die Verhältnisse, in denen wir leben, sind nicht
unantastbar und die Ereignisse und Prozesse in
ihnen brechen nicht wie Naturkatastrophen über
uns herein. Wenn es auch manchmal verwirrend
wirkt, so gibt es doch Verantwortliche und auch
Orte in den Strassen, an denen sich diese Verant-
wortlichkeiten manifestieren…

«Wir müssen alle Modelle verlassen und unsere
Möglichkeiten studieren»

E. A. Poe
 

 

Quelle

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