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Abschnitt 03 – ArbeiterInnen und Widerstand

 

Kapitel 08 – Von der traditionellen Linken

Comic:  VON ALLEN SOZIALVERBRECHEN DARF JEDOCH KEINES ALS SCHLIMMER ERACHTET WERDEN ALS DIE IMPERTINENTE ANMASSUNG, ETWAS ÄNDERN ZU WOLLEN IN DIESER GESELLSCHAFT, DIE DER MEINUNG IST, BISLANG NUR ALLZU GEDULDIG UND GUTMÜTIG GEWESEN ZU SEIN UND DIE SICH NUNMEHR JEGLICHEN TADEL VERBITTET!

marx verstand den begriff der abstrakten arbeit zwar durchaus kritisch, grenzte ihn jedoch keineswegs eindeutig gegen ein verständnis ab, das sich positiv auf ihn bezog. in der lesart des arbeiterInnen(bewegungs)marxismus wurde daraus eine verklärung des protestantischen arbeitsethos. dass sich dieser marxismus einbildet, den standpunkt der arbeiterInnenklasse zu vertreten ist für diese allerdings eine zweifelhafte ehre, hatten sich soziale bewegungen zur zeit der konstitutionsgeschichte des kapitalismus doch lange zeit mit allen mitteln dagegen gewehrt, überhaupt erst zur arbeiterInnenklasse zu werden. und wenn wir in abschnitt 01 gesagt haben, dass das spektakel seine eigene geschichte vergessen lässt, so gilt das insbesondere für seine entstehung. tatsächlich war die epoche der industriellen revolution in ganz europa von einem teils verdeckten, teils offenen bürgerkrieg begleitet. die angst vor dem sozialen aufstand war allgegenwärtig.

bekannt sind, nicht zuletzt durch gerhard hauptmanns drama „die weber“ und heinrich heines gedicht „die schlesischen weber“, die zahllosen weberaufstände während der ersten hälfte des 19. jahrhunderts, die allesamt brutal vom militär niedergeschlagen wurden. auch von den maschinenstürmerInnen haben die meisten schon einmal gehört. die so genannten ludditInnen waren hochorganisiert und fanden oftmals breite unterstützung in der bevölkerung. immer wieder flackerten unruhen auf, in deren flammen nicht nur maschinen, sondern oft auch ganze fabriken aufgingen. als konsequenz wurde maschinensturm in england unter todesstrafe gestellt – um den aufstand in nottingham von 1811/12 niederzuringen wurden 12.000 soldaten gerufen. es waren also keineswegs verzweifelte aktionen einiger weniger die sich dem heraufdämmernden kapitalismus widersetzten.

sicher war der protest auch konservativ, da er die feudale, handwerklich orientierte lebenswelt und damit deren soziale beschränktheit zu verteidigen versuchte. heutzutage das rad der geschichte dahingehend zurück drehen zu wollen wäre absurd. tatsache ist aber, dass das aufbegehren der ludditInnen nicht nur einen kampf gegen den verlust des arbeitsplatzes und der lebensgrundlage darstellte. vielmehr ging es um eine andere konzeption der sozioökonomischen organisation des lebens, in der im gegensatz zur späteren arbeiterInnenbewegung das system der abstrakten arbeit selbst zum ziel der angriffe gemacht wurde. all das soll nur stellvertretend zeigen, wieviel blut vergossen werden musste um die menschen an die kapitalistischen zumutungen zu gewöhnen.

erst als das prinzip der abstrakten arbeit den menschen verinnerlicht war, setzte sich innerhalb der sozialen widerstandsbewegungen die forderung durch, dass es nur den mehrwert, der von den kapitalistInnen einbehalten wird, zugunsten der arbeiterInnen umzuverteilen gilt. nicht zuletzt weil viele kritikerInnen nach wie vor nicht zwischen bedingungen und auswirkungen des kapitalismus unterscheiden (FUSSNOTE), blieb die kategorie wert meist ausserhalb jeder kritischen betrachtung und in folge auch die wertschaffende arbeit, die vermeintlich nur durch die kapitalistInnen missbraucht wird. indem der mehrwert jedoch lediglich als unbezahlte arbeit, die vergütet werden müsste, begriffen wird, bleibt diese form der kritik bei der frage nach verteilungsgerechtigkeit stehen. der kapitalismus sollte im grunde genommen nicht durch eine überwindung der kapitalform abgelöst werden – was die aufhebung von arbeit und ware bedeuten würde – sondern lediglich durch deren verstaatlichung. so wurde der standpunkt der arbeiterInnenklasse der standpunkt der arbeit, des abstrakten und repressiven prinzips, das der liberalismus in der durchsetzungsgeschichte des kapitalismus den menschen erst aufzwingen hatte müssen.

 

FUSSNOTE: aktuelles beispiel hierfür sind jene globalisierungskritikerInnen, die aufgrund der tatsache, dass die globalisierung grosse teile der welt immer weiter ins elend stürzt, eine stärkung des nationalstaates fordern. in ihrer lesart ist die grosse macht der multinationalen konzerne schuld an den problemen der welt. sie fordern daher wieder kleinere kontrollierte nationalökonomien, was, wenn mensch nur die symptome und nicht die ursachen der globalisierung bzw. des kapitalismus betrachtet, auch durchaus logisch erscheinen mag.

auch wenn die arbeiterInnenklasse weiterhin das schreckgespenst für die welt der ware darstellte, bewirkte die dominanz jener lesart von marx, dass sich der marxismus damit begnügte eine alternative fortschrittstheorie innerhalb der grenzen des warenproduzierenden systems zu sein. mensch erinnerte sich zwar gelegentlich daran, dass es die aufgabe der arbeiterInnenklasse wäre, auch sich selbst zusammen mit den anderen sozialen klassen aufzuheben. dies wurde jedoch in eine unabsehbare zukunft vertagt. die radikale kritik der kapitalistischen vergesellschaftung wurde schnell durch systemimmanente sozialpolitik ersetzt, die alternativen nur noch innerhalb der kapitalistischen rahmenbedingungen formulieren konnte.

nach der niederlage des proletariats innerhalb der russisch-asiatischen zonen und der kulmination der warenwirtschaft im faschismus wurden die arbeiterInnen ihrer handlungsfähigkeit nicht nur weitgehend beraubt, sondern auch tief in die konsumtion eingegliedert. die teilnahme am warenverkehr hat alle gleich gemacht und somit den traum von 1789 erfüllt (FUSSNOTE). zum ersten mal im modernen europa versuchte keine partei auch nur vorzugeben, sie wolle es wagen etwas von belang zu ändern. es schien, als könne die ware von keinem/r mehr kritisiert werden, denn überall wo das spektakel herrscht, sind die einzigen organisierten kräfte die, die das spektakel wollen. trotz der stetig fortschreitenden proletarisierung war die arbeiterInnenklasse als akteur von der politischen bühne verschwunden.

FUSSNOTE: im nachhinein entpuppt sich die arbeiterInnenbewegung als bürgerliche emanzipationsbewegung. als die zweite und zahlenmässig viel grössere bürgerliche klasse hat die arbeiterInnenklasse dabei viel mehr als die bourgeoisie zur etablierung demokratischer verhältnisse beigetragen. deutlicher als diese hat sie die bürgerlichen werte ernstgenommen und verwirklicht. sie stand für freiheit, soziale gerechtigkeit und demokratie. allerdings war sie auch eine bewegung für den wert und nicht gegen ihn. sie stand für lohnarbeit und das kapital, nicht gegen es. es ging um die verwandlung der arbeiterInnen in bürgerInnen, der kampf um die gleichheit drückte dies auch deutlich aus. unter diesen voraussetzungen war es für das zum ‚subjekt der revolution’ hochstilisierten proletariat natürlich unmöglich, seine angebliche historische mission zu erfüllen.

 

Interlude – Vom Ende des Schreckgespensts

Comic : WAS FÜR EIN SCHÖNER AUGENBLICK, WENN EIN STURM GEGEN DIE ORDNUNG DER WELT LOSBRICHT. DARUM LASST UNS AUS DEM DUNKEL HERVORBRECHEN, DAS BANNER DER GUTEN ALTEN SACHE EIN WEITERES MAL ENTFALTEN UND VORRÜCKEN UNTER DEM KANONENDONNER DER ZEIT.

umso überraschender war es, als 1968 das proletariat noch einmal auf die bildfläche der geschichte zurückkehrte. noch einmal hatte das gespenst der revolution der arbeiterInnenklasse das schlachtfeld betreten. allerdings nur, um noch ein letztes mal zu scheitern, denn es wurde klar, dass trotz der krise der macht das studentische element in den strassenkämpfen sie nur mehr erschrecken, nicht aber vernichten konnte. wenn die massen ihre fabriken und arbeitsstätten besetzten, so blieb ihnen doch die tiefere bedeutung ihrer handlungen und des beginns einer echten selbstbestimmung – sozusagen die möglichkeit einer dauernden ausser wertsetzung – verborgen. was den rekuperations- und selbstverteidigungskräften des spektakels ermöglichte, zur bürgerlichen normalität zurückzukehren. dabei zeigte sich wieder, dass jedEr gewerkschafterIn auch einE polizistIn und die kommunistische partei die beste hüterin des staates ist.

nach dem italienischen herbst 1969 geriet die offensivkraft der letzten revolutionären welle ins stocken. nicht zuletzt weil die vom staat wiedererweckte militärische kriegsführung durch die importierte stadtguerilla eine reihe von flutbrechern schuf (davon wird noch im nächsten kapitel die rede sein). so blieben den studentInnen nach dem scheitern des proletariats nur die befreiungsbewegungen der so genannten dritten welt als ersatz – das warten auf guevaras europafeldzug – während die vorraussetzung einer unabdingbar weltweiten revolution der aufstand in den industriellen zonen und nicht die von bankrotteuren erklärte revolution an der peripherie gewesen wäre. die lokalen sozialistisch-nationalen revolutionen liessen die realität von produktion, konsumtion und tausch unangetastet. sie versuchten lediglich mit ihren staatssozialistischen programmen ihren ‚rückstand’ aufzuholen und somit den anschluss an die moderne welt herzustellen. aus dieser welt werden sie nun von der wertlogik wieder eines nach dem anderen unbarmherzig ausgespuckt.

 

Kapitel 09 – Vom Spektakel des Terrors und dem Terror des Spektakels

Comic : FRÜHER WURDE STETS NUR GEGEN EINE ETABLIERTE ORDNUNG KONSPIRIERT. IN UNSEREN TAGEN IST DIE KONSPIRATION ZU IHREN GUNSTEN EIN NEUER BERUF, DER IN STARKER ENTWICKLUNG BEGRIFFEN IST. UNTER DER SPEKTAKULÄREN HERRSCHAFT WIRD KONSPIRIERT, UM DIESE AUFRECHT ZU ERHALTEN UND UM ZU GARANTIEREN, WAS ALLEIN SIE IHREN GUTEN GANG NENNEN DARF. DIESE KONSPIRATION IST TEIL IHRER FUNKTIONSWEISE SELBST.

spätestens seit dem 11. september gibt es kaum etwas, worüber mehr geredet wird als über terror. und tatsächlich erhält der staat durch den terrorismus seine absolute legitimation. zwar haben wir in den letzten kapiteln versucht zu zeigen, dass von seiten des proletariats dem spektakel keine fundamentale gefahr mehr droht, nichtsdestotrotz ist der widerstand gegen seine unzulänglichen lebensbedingungen nicht mit einem mal verstummt – auch wenn sich art und intensität ändern. des weiteren haben sich in den letzten jahrzehnten eine ganze reihe fortschrittlicher, bzw. vermeintlich fortschrittlicher projekte formiert, die ebenfalls versuchen, in der einen oder anderen form an der etablierten ordnung zu rütteln (FUSSNOTE). weshalb die spektakuläre demokratie selbst ihren unvorstellbaren feind erschafft, eben jenen terrorismus. nur um sich selbst als letzten hort einer stabilität zu feiern, unter deren ägide eine verunsicherte lebensweise selbstgenügsamen gehorsams ihre vorerst umfassendste erfüllung erfährt.

FUSSNOTE: wobei hier nicht verschwiegen werden soll, dass manche eine zeit lang den terrorismus auch als teil linker strategie, als wesentlichen bestandteil des weges zur emanzipation betrachteten. seine ideologische rechtfertigung war zunächst entweder der kampf nationaler befreiungsbewegungen an der peripherie, der zum revolutionären krieg gegen den imperialismus gefälscht wurde, wo tatsächlich nur ein nationales territorium nach dem anderen an die schlagadern der warengesellschaft angeschlossen wurde, oder der ebenso als antiimperialistisch behauptete widerstand gegen die unterdrückung der staatlichen autonomie einzelner provinzen oder ‚volks’gruppen. beide rechtfertigungen nach der vorlage eines vergilbten vorkriegsimperialismus. tatsächlich gibt es auf diesem planeten längst keine befreiten, oder auch zu befreienden regionen mehr.
darüber hinaus gab es noch die stadtguerilla. zur falschen zeit, am falschen ort, brachten sie dorthin feuer, wo benzin war. doch ähnlich verstrickt in abgehalfterte ideologien verwechselte sie europa mit lateinamerika und dem nahen osten. und in dem mass, in dem sie sich an der staatlichen gewalt orientierte, aus des staates inneren widersprüchen ihre legitimation und kraft bezog, wurde ihr scheitern jene exklusivität, die ihre praxis für sich in anspruch nahm. denn der gegner bestimmt die strategie – in der strategie des gegners liegt die rechtfertigung. eine offene kumpanei, ein sich gegenseitig schaffendes, erhaltendes und verstärkendes verhältnis.
wenn sie das denn jemals tat, so liegt im terrorismus längst schon keine exemplarische tat mehr. die emanzipation hat er jedenfalls kein stück weitergebracht, ganz im gegenteil. und so könnten wir auch zusammenfassen: ‚höchstes bestreben des spektakels ist jedoch, dass die geheimagentInnen zu revolutionärInnen und die revolutionärInnen zu geheimagentInnen werden’ – doch davon wird noch die rede sein. (ENDE FUSSNOTE)

so ist es möglich, auch noch die letzten individuen, die sich gegen die in kapitel zwei beschriebenen mechanismen der kontrollgesellschaft auflehnen, mittels eines ausbaus des staatlichen disziplinierungsapparats – immer im namen des kampfs gegen den terrorismus – in zaum zu halten. selbstverständlich kann die zusehende bevölkerung nicht alles über den terrorismus wissen. stets aber genug um überzeugt zu sein, dass verglichen damit, ihnen alles andere eher als akzeptabel zu erscheinen hat.

comic (wie schon swift 1689 wusste) : JENE KNIFFE, DIE DEN STAAT UNTERSTÜTZEN, HOKUSPOKUS, DEN WIR TIEFE POLITISCHE ABSICHTEN NENNEN, (WIE IM THEATER SIND DIE DUMMEN, KLEINEN LEUTE, DA SIE DIE STRICKE NICHT SEHEN, ÜBER EINEN FLIEGENDEN GLORIENSCHEIN AUSSER SICH)… NEHMEN WIR ALSO AN, DIE SCHLECHT GEBAUTE MASCHINE BRICHT MITTEN IN DER VORSTELLUNG ZUSAMMEN, DIE SCHIRME RUTSCHEN UND LASSEN ALLES SEHEN: WIE SCHNELL DER SCHWINDEL AUFFLIEGT! WIE EINFACH IST DAS! WAS FUER EIN GROBER BETRUG !  SEHT DOCH MAL DIE SCHLINGE DER SEILROLLE!… WIE ARMSELIG IST DIE MASCHINE, DIE DAS DENKEN UND DIE PLÄNE DER STAATEN ANTREIBT! VON WELCH EINER ERBÄRMLICHKEIT HÄNGT IHR SCHICKSAL AB!… VERSCHRECKT LAUFEN DIE BAUERNLÜMMEL DAVON, SIE ZITTERN VOR DEM UNERHÖRTEN WUNDER.. DAS IST ES! SCHAUT ES AN! ACH, WIE JEDER SCHAUDERT UND ZITTERT!

 

dessen wohl bewusst, greifen auch staaten selbst zum terrorismus. meist richtet er sich gegen die eigene bevölkerung, das bekannteste beispiel ist sicher das piazza fontana massaker, doch manches mal schrecken staaten auch vor ihren eigenen repräsentanten nicht zurück, wie zum beispiel in der moro affäre. die kenntnis der vom italienischen staat perfektionierten strategie der spannung hilft vieles zu verstehen, nicht zuletzt auch die ereignisse in genua, wo der „black block“ unbehelligt ganze strassenzüge in schutt und asche legen konnte.

 

KASTEN: ITALIENISCHER HERBST

am 12. dezember 1969 explodiert eine bombe in der mailänder landwirtschaftsmesse an der piazza fontana. 16 menschen wurden getötet und über 90 verletzt. das vom italienischen geheimdienst inszenierte attentat wird den anarchisten in die schuhe geschoben und es beginnt eine umfassende kampagne gegen die ausserparlamentarische linke. am 16. märz 1978 wird aldo moro entführt und nach 55 tägiger geiselhaft, in denen den entführern nicht die geringsten zugeständnisse gemacht werden, am 9. mai tot in einem kofferraum aufgefunden. moro glaubte an den „historischen kompromiss“, einen solidaritätspakt zwischen der kommunistischen partei und seinen christdemokraten. jene fraktion, die den befehl über die längst von den geheimdiensten unterwanderten roten brigaden hatte, war anderer meinung.

das piazza fontana massaker und die moro affäre sind zwei der markantesten ereignisse der so genannten strategia della tensione (strategie der spannung). im rahmen dieses CIA konzepts wurden nicht nur linksradikale gruppen von polizei und geheimdienst unterwandert und zu mord und terror angestachelt. agenten, meist faschisten, führten auch selbst unzählige terroranschläge durch, für die dann linke verfolgt und oft jahrelang unschuldig eingesperrt wurden. letztendlich gelang es, das – wie viele meinten – am rande des bürgerkrieges und der sozialen revolution stehende italien wieder in die sicheren arme des spektakels zurück zu führen.

 

von der piazza fontana bombe bis heute haben sich nur die aktuellen anlässe geändert. das ziel ist immer das gleiche geblieben: die gesamte bevölkerung, die das spektakel nicht mehr ertragen kann, soll glauben, sie habe wenigstens einen gemeinsamen feind mit diesem staat. der schutz vor eben diesem feind erfolgt dann unter der bedingung, dass die mittel des schutzes von keinem/r mehr in frage gestellt werden. und wer – nicht ohne grund – terrorismus ablehnt, muss dann zugeben, dass wenigstens zu diesem zweck der staat gebraucht wird. so werden weitreichende ermächtigungen der staatlichen disziplinierung hingenommen, damit dem gemeinsamen feind unerbittlich entgegentreten werden kann. angesichts des terrors treten alle anderen bedenken in den hintergrund, sodass das spektakel endgültig unwidersprochen behaupten kann: „wer nicht mit uns ist, ist selbst terrorist. wer sich gegen den wahnsinnigen terrorismus ausspricht, ist für den staat. ist irgendwer gegen diesen staat, so sind es terroristen, das heisst feinde des gemeinwohls. und gegen einen solchen feind ist alles erlaubt.“

nie war das offensichtlicher als nach dem 11. september. er wurde nicht zum einschneidenden ereignis, weil dabei tausende menschen einen sinnlosen tod starben, sondern weil dieses ereignis im zentrum des zentrums stattfand und nicht irgendein afrikanisches dorf niedergemetzelt wurde. und auch wenn dieses mal terroristen ohne staatliche zuflüsterer/helfer auskamen, nutzte der staat/die staaten die botschaft: keinEr kann sich länger vor terrorismus schützen. dass der terrorismus ausdruck eines hoffnungslosen kapitalismus ist, der sich seine ideologische gestalt auf den schrottplätzen der religions- und geistesgeschichte zusammensucht, macht ihn nur umso leichter zu vereinnahmen. dass er im gegensatz zu traditionellen ‚kriegshandlungen’ keiner bewussten zweck-mittel relation folgt, kein rationales politisches oder soziales ziel mehr verfolgt, spielt dabei weiter keine rolle mehr.

trotz ihrer eigenen verstrickung in den terrorismus und dem ungeheuren nutzen den die spektakuläre ordnung aus diesem zieht, zeigen die jüngsten terrorakte gleichzeitig ihre grenzen auf. ebenso wenig wie der zerfall der wertsubstanz vom spektakel aufzuhalten ist, kann der selbst hervorgebrachte terrorismus kontrolliert werden. als gesellschaftsverhältnis, das für sich selbst das ende der geschichte beansprucht, besteht es selbst in einer nie enden wollenden gegenwart. wenn sich der terrorismus momentan – wie auch schon in der vergangenheit – zur festschreibung der ordnung nutzen lässt, so erweist er sich doch als unberechenbar. und das, wo doch einer der grundlegenden wesenszüge des spektakels die absolute kontrolle ist. die fassade des scheins beginnt also zu bröckeln, ohne dass deshalb der blick auf nur irgendwie lohnende perspektiven frei würde.

 

Abschnitt 04 – Bewegung und Perspektive

Kapitel 10 – Von der Selbstkonstitution einer Bewegung

 

comic : DAS SPIEL DAGEGEN IST DAS WESEN DER REVOLUTIONÄREN AKTION: ES ERFINDET PERMANENT NEUE REGELN, DURCHDRINGT ALLE TÄTIGKEITEN, ZERSTÖRT JEGLICHE SCHRANKEN GEGEN DIE ENTFALTUNG DES LEBENS. DIE ZWECKENTFREMDUNG ALS EIN PRAKTISCHES MITTEL DER ZERSTÖRUNG UND VERSCHWENDUNG BEDEUTET DIE BENUTZUNG DES GESELLSCHAFTLICH BESTEHENDEN MATERIALS IN EINEM UMGEKEHRT WIRKENDEN ZUSAMMENHANG: DIE PROVOKATION DES GEGNERS, DIE WIEDERHERSTELLUNG DES WIRKLICHEN SINNES INNERHALB DER WARENLÜGE, NEUSCHÖPFUNG UND WEITERFÜHRUNG DES RADIKALEN MOMENTS, WELCHEN DAS MATERIAL BEINHALTETE, DURCH DIE ZERSTÖRUNG DES ZUSAMMENHANGS ODER UMKEHRUNG BANALER ELEMENTE IN EINE RADIKALITÄT.

 

sprechen wir nun von wirklich lohnenden bildern, einem lohnenden leben und einer neuen bewegung, für die wir bereit sind zu kämpfen, so müssen wir uns unserer eigenen geschichte stellen. doch ein grossteil der linken hält an falschen begriffen fest. egal ob nun arbeiterInnen per se zum fortschrittlichen subjekt bestimmt oder sozial marginalisierte (und/oder anders unterprivilegierte) zur historischen mission gerufen werden. denn emanzipatorische bewusstwerdung besteht nicht darin, dass sich eine soziale klasse zu einem subjekt für sich entwickelt und ihrer ‚aufgabe’ stellt, sondern darin, dass menschen gerade in distanz zu solchen zuschreibungen die kapitalistische zumutung durchschauen. erst dann können wir uns auch aktiv gegen jene widersprüche, brüche und unlebbarkeiten positionieren – ohne eine willensunabhängige kraft der geschichte im rücken.

mit dem abschied von vorherbestimmung müssen auch nicht länger jegliche handlungen von fabrikarbeiterInnen, arbeitslosen jugendlichen oder anderen vermeintlich revolutionären subjekten schön geredet werden. ganz im gegenteil könnten nationalismus/rassismus/antisemitismus/(hetero)sexismus u.ä. – die ja in der geschichte der arbeiterInnenbewegung des öfteren ganz offen für die eigenen zwecke eingesetzt wurden, und bis heute in diversen linken gruppierungen weiterhin beobachtbar sind – offen als mordideologie bezeichnet werden (FUSSNOTE).

FUSSNOTE: es wird oft unterstellt, dass hinter nationalismus/rassismus/antisemitismus/(hetero)sexismus … auch revolutionäres potential steckt, das sich lediglich gegen die falschen feinde richtet. die jeweiligen täterInnen müssten nur noch das bewusstsein erlangen, um dann mitzuhelfen den kapitalismus zu überkommen. danach wären auch nationalismus/rassismus/antisemitismus/(hetero)sexismus … gleich mit bestandteil der überwundenen geschichte.

dass wir durch einen solchen bruch nicht in den chor jener einstimmen, die seit dem zusammenbruch der sowjetunion und dem scheitern nationaler befreiungsbewegungen, aus der abwesenheit eines revolutionären subjekts die unmöglichkeit einer radikalen veränderung der gesellschaft ableiten, ist selbstverständlich. anstatt unsere erwartungen herunterzuschrauben und die agonie der gescheiterten mitzutragen, geht es uns heute um die selbstkonstitution einer neuen bewegung, die sich bewusst für die aufhebung des warenproduzierenden systems einsetzt. wir sagen, wir sind nicht gescheitert, weil wir zu viel wollten, sondern weil wir uns mit zu wenig begnügten.

dass allerdings, wie manche meinen, die sogenannten ‚globalisierungskritikerInnen’ diese bewegung darstellen, erscheint uns unwahrscheinlich. zwar handelt es sich um keine homogene gruppe, bestehen keine einheitlichen positionen, aber die naivität und der konservative bis reaktionäre charakter von forderungen vieler ihrer vertreterInnen zeugt vom völligen unverständnis innerkapitalistischer gesetzmässigkeiten. das verleiht seattle die aura einer party, auf der dreadlock tragende neo-hippies und ewig gestrige gewerkschafterInnen für kurze zeit miteinander tanzten, um nur wenig später in den werbeagenturen der madison avenue einzug zu halten und ihre street-wise erfahrung in den sujets der neusten nike kampagne einzubringen, respektive wie eh und je ihre gewerkschaftlichen pfründe zu verteidigen. am besten sollte die welt so bleiben, wie sie früher einmal war, als ihre – seit damals unveränderten ideen und konzepte – zumindestens noch den anschein von relevanz erwecken konnten. ein buntes treiben, ein kurzer spass, mehr aber auch nicht.

 

KASTEN: GRENZEN UND GLOBALISIERUNG

globalisierung ist ein phänomen, das untrennbar mit der entwicklung des kapitalismus verbunden ist. sie wurde nicht von einigen multinationalen/amerikanischen konzernen und auch nicht vom jüdischen kapital der ostküste in die welt gesetzt, sondern ist vielmehr resultat der fortschreitenden expansion des kapitals – unter diesen bedingungen gibt es keine alternative zur globalisierung.

wenn also reformerInnen nationale unabhängigkeit fordern erliegen sie gleich einem doppelten irrtum. mit der umöglichkeit einer grenzziehung zwischen einem innen und einem aussen in unserer welt haben wir uns bereits auseinandergesetzt. und wer meint, dass eine stärkung des nationalstaats und eine damit einhergehende ablehnung von ‚fremd’herrschaft mit der generellen ablehnung von herrschaft gleichzusetzen ist, der/die sitzt dem zweiten irrtum auf. denn herrschaft mag zwar unter ‚fremd’herrschaft am deutlichsten wahrnehmbar sein, ist aber vom wesen des spektakels so oder so nicht zu trennen. die vorstellung einer gesellschaftlichen veränderung, die auf der souveränität einer einzigen nation beruht, ist somit zum scheitern verurteilt.

überhaupt ist die nation im heute geläufigen sinn ein historisch betrachtet junges konstrukt, dessen geschichte mit den anfängen des kapitalismus beginnt. denn die nation stellt den markt, den übergeordneten rahmen der konkurrenz, die allgemeinen rechtsgrundlagen dar und ist somit unabdingbare voraussetzung für das funktionieren nationaler ökonomien. die nation ist nichts anderes als eine vorgestellte gemeinschaft. vorgestellt deswegen, weil die mitglieder selbst der kleinsten nation die meisten anderen nicht kennen, ihnen begegnen oder auch nur von ihnen hören werden, aber im kopf aller die vorstellung ihrer gemeinschaft existiert. emanzipatorische erwartungen jedwelcher art mit dem konstrukt der nation zu verbinden ist also lächerlich. eine neu- und reformulierung linker gesellschaftskritik und emanzipatorischer praxis kann deshalb nur konsequent antinational (FUSSNOTE) sein.

FUSSNOTE: in diesem zusammenhang gilt es zu beachten, dass wir das wort antinational genau im sinne dieses wortes verwenden und keinesfalls ideologisch vorbelastet im kontext der antideutschen.

Kapitel 11 – Von der Möglichkeit

Comic : SO WIRD DAS BESTE PROGRAMM ENTWORFEN, UM DIE GESAMTHEIT DES SOZIALEN LEBENS MIT ARGWOHN ZU BELEGEN: KLASSEN UND SPEZIALISIERUNGEN, ARBEIT UND ZERSTREUUNG, WARE UND STÄDTEBAU, IDEOLOGIE UND STAAT- ALL DIES TAUGT NUR ZUM WEGWERFEN. UND EIN SOLCHES PROGRAMM ENTHÄLT KEIN EINZIGES VERSPRECHEN, NUR DAS EINER ZÜGELLOSEN AUTONOMIE OHNE REGELN.

heute sind unsere begierden vergänglich und enttäuschend. im spektakel folgt eine woche der nächsten und die welt dreht sich als ob nichts geschieht. alles was die spektakuläre ordnung nur im entferntesten aufrecht erhält, trägt dazu bei, die verhältnisse weiter zu zementieren und unsere langeweile auszudehnen. wir wissen zwar, dass auch unser verhalten unzulänglich ist, aber um es noch einmal klar zu machen: unsere lebensbedingungen gefallen uns nicht.

während sich das elend trotz des möglichen materiellen überflusses weiter ausbreitet, beginnt allerdings auch die leidenschaft, die auflehnung, im bewusstsein, dass eine andere welt möglich ist, wieder zu wachsen. überall nehmen menschen den kampf mit der welt der spektakulären ordnung auf, mit dem staat, dem tausch und mit der ware als wille und vorstellung der welt. in unserer unzufriedenheit sind wir die treibenden kräfte einer ganz neuen gesellschaft – mit einem einzigen ziel: der vernichtung der ökonomie des überlebens zugunsten umfassender selbstbestimmung.

diese ablehnung führt zu einem gänzlich neuen leben, das die spektakuläre verfälschung des spiels nicht länger toleriert. die leidenschaft des spiels ist es, die künftig das gesicht der gesellschaftlichen umwälzung prägen muss, denn bislang haben wir zuviel aus mangel und nicht genug aufgrund unserer begierden gekämpft. für unser glück wird nicht länger bezahlt, nein, es wird dem spektakel, das vorgibt es uns zu verkaufen, entrissen. diese umkehrung der verkehrten welt führt unmittelbar von einem glück zum anderen. diesbezüglich ist jedoch weder von massenparteien noch von massenbewegungen etwas zu erwarten. jene hingegen, die sich auf basis einer radikalen geste oder eines radikalen gedankens erkannt haben und zusammentun, sie vereint die chance, dass sie eines tages genügend strahlkraft besitzen, um die leidenschaft der mehrheit der menschen freizusetzen.

diese leidenschaft zu leben kennt weder regeln noch gesetze, das was sie definiert, ist genau das was sie verneint; die arbeit, der zwang, der tausch und das schuldgefühl. wenn wir bisher unseren begierden widerstehen konnten, dann nicht aufgrund unserer willensstärke, sondern aufgrund der schwäche unserer begierden. wir wollen diesen mangel an leben nicht länger mit einer anhäufungssucht kompensieren, sondern die welt verändern und das leben neu erfinden. dieser wunsch ist von einer gewissen hedonistischen berechnung nicht zu trennen, trotzdem muss jede teilaktion die totale vernichtung des feindes zum ziel haben.

die revolution des alltagslebens wird auch unsere begriffe von gerechtigkeit und strafe verändern. wir wollen nicht länger gerichtsherren sein, sondern freie menschen ohne sklavInnen, die über die aufhebung der knechtschaft zu einer neuen unschuld finden. ein leben von eigenen gnaden, den feind zwar vernichten, ihn jedoch nicht richten. in den von seiner kolonne befreiten dörfern versammelte durruti einst die bäuerInnen, bat sie, die faschistInnen zu nennen, die er auf der stelle erschoss. unsere revolution wird den gleichen weg gehen. unbeschwert, denn wir wissen, dass es niemand mehr geben wird, um uns zu richten.

wenn es also etwas lächerliches daran gibt, von der revolution zu sprechen, dann natürlich deshalb, weil die organisierte revolutionäre bewegung seit langem verschwunden ist. noch viel lächerlicher ist jedoch alles andere, denn es handelt sich um das bestehende und die verschiedenen formen seiner duldung. eine welt von genüssen ist zu gewinnen. wir haben dabei nichts zu verlieren als unsere langeweile.