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Die industrielle Gesellschaft:
Mythos oder Realität?
Der Kapitalismus ist nicht erst von Gestern. Seine embryonalen Formen reichen bis in die Antike zurück. Doch der industrielle Kapitalismus, geboren im Schosse des zentralisierten Staates und als unmittelbares Resultat der Emanzipierung der Bourgeoisie von den feudalistischen Ketten, ist erst im Laufe der letzten Jahrhunderte aufgetaucht. So konnte der Kapitalismus, dank der von der Industrie verschaffenen, domestizierenden Macht, zum wesentlichen Faktor der Umgestaltung der Welt werden. Eine Umgestaltung, die in der Geschichte nichts Vergleichbares kennt und ohne Technologie undenkbar wäre.
In der verkehrten Welt der Ideologie definiert sich das Kapital als Akkumulation von Gegenständen und die Technologie als Gesamtheit der Instrumente und notwendigen Prozeduren, um diese in Gang zu setzen und die Umwelt zu verändern. Aus dieser Sicht wird Technologie mit Technik im Allgemeinen gleichgestellt, welche zweifellos ein wesentlicher Bestandteil des Humanisierungsprozesses ist. Die Idee, dass sie auch an den Prozessen der Ausbeutung und Herrschaft, die den jeweiligen geschichtlichen Epochen innewohnen beteiligt sein könnte, wird ausser Acht gelassen. Doch die Technologie ist nicht einfach ein System von Instrumenten, wie es die technizistische Ideologie* vorgibt, sie ist eine Form von gesellschaftlicher Aktivität, eine Assoziationsweise von Individuen, die innerhalb bestimmter Verhältnissen eingesetzt wird, und zwar jenen, des kapitalistischen Systems. Die menschlichen Gesellschaften machten schon immer von den Mitteln gebrauch, die ihren Absichten entsprachen; übrigens nicht immer sehr noble, wie das sehr frühe Auftauchen von Kriegswaffen beweist. Doch mit der Technologie verfügt der Kapitalismus über ein globales, technizistisches System, das ihm eigen ist. Ohne dieses System wäre die immense Akkumulation von Waren und die dafür erforderliche allgemeine Unterordnung der Individuen unmöglich. Deshalb stellt die Technologie seit Anbeginn der Industrialisierung eine der bevorzugten Kriegswaffen des Kapitalismus dar, um die Widerstände und Revolten der Verdammten dieser Erde niederzuschlagen.
Die Technologie trägt nicht bloss zur Verdinglichung der menschlichen Aktivitäten bei, die dieser Welt der Waren innewohnt, sie gestattet ihr auch, Gestalt anzunehmen, die Gesamtheit der gesellschaftlichen Sphäre einzunehmen und das Leben selbst auf den Status eines Instruments zu reduzieren. Die Rolle der Technologie ist bei weitem keine nebensächliche. Sie ist mittlerweile zentral geworden. Sie ist einer der Grundpfeiler der modernisierten Herrschaft, einer der wichtigsten Ausdrücke ihrer Gesamtentwicklung, die zunehmends instabiler und von Krisen und Katastrophen aller Art erschüttert wird. Die Macht, die der Technologie zukommt, ist nicht mehr bloss ein Teil der Macht der Waren im Allgemeinen. Wie die letzten Vorstösse im Bereich der Biotechnologie zeigen, strebt sie danach, Autonomie zu erlangen und die Welt nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Es gibt keinen Bereich des Lebens in dieser Gesellschaft, der nicht ihren Stempel trägt. Die Politik, ein Bereich der einst der machiavellistischen Staatsräson vorbehalten war, gleicht selbst immer mehr dem Alptraum von Saint-Simon, der als gewitzter Technokrat das Aufkommen der «blossen Verwaltung der Dinge» anstelle der «Regierung von Menschen» voraussah.
Das Ideal der technizistischen Ideologie gestaltet sich nach dem Bild des kybernetischen Gefängnisses, einer künstlichen und abgeschlossenen Welt, in der die Natur als Sitz von unberechenbaren und vorübergehenden Evolutionen verschwunden ist; eine Welt, die von lobotomisierten Gefangenen bevölkert wird, denen selbst die Lust zur Flucht geraubt wurde. Einer der bedeutendsten Siege der Technologie ist zweifellos die Tatsache, aus solch paralysierenden Vorstellungen, einen Grund zur Unterwürfigkeit der Bürgermassen gemacht zu haben. In den am meisten industrialisierten Staaten akzeptieren diese, dass die sozialen Probleme auf die Dimension von technologischen Problemen heruntergebrochen werden und demzufolge, dass die Technologie angebliche Lösungen zu Katastrophen bietet, zu deren Entstehung sie beitrug. Die Technologie hat sich selbst unentbehrlich gemacht.
Wiederum hat die Technologie nicht den idealen Grad an Verselbstständigung und Allgegenwart erreicht, der es erlauben würden, die modernisierte Gesellschaft als «Industriegesellschaft» zu definieren. Mit anderen Worten: trotz der fortschreitenden Entfremdung ist sie unfähig, die Neigung der Waren zur Verdinglichung der Welt vollständig zu verwirklichen. Seit den Anfängen des industriellen Kapitalismus hängen die grossen Industrialisierungsschübe von wichtigen technologischen Erfindungen ab. Doch sie sind nie schlicht die Folge der vorherigen Entwicklungsstufe, oder gar der allgemeinen Entwicklung des kapitalistischen Systems. In ihrer Form sowie in ihrem Inhalt werden sie von einer grossen Zahl Faktoren geprägt – insbesondere durch Widerstände, Revolten und Revolutionen, die aus dem Innern des Systems selbst hervortreten, gegen es gerichtet sind und gelegentlich sogar dazu neigen, es zu zerstören. Am selbstständigsten schien die Technologie stets in jenen Epochen, die auf von der Herrschaft überwundene Unruheperioden folgten. Sie spielt dann die Rolle der Testamentvollstreckerin der Grenzen jener, die sie in Frage stellten. Insofern rekuperierte die heutige Technologie, trotz ihrer enormen Trägheit, die unvollständige Kritik der 70er Jahre – eine Kritik, die sich auf die Verweigerung der schwerfälligen und zentralisierten Formen des technologischen Systems beschränkte, die auf dem Boden des Taylorismus uneingeschränkt vorherrschte – und ihre Illusionen über die Wirkung von dezentralisierten, technologischen Taschensystemen, gemäss dem Spruch: «Small is beautiful.»
Im Grunde kann die Technologie, genauso wenig wie der Kapitalismus im Generellen, innerhalb eines abgeschlossenen Gefässes nicht funktionieren. Aufgrund der drohenden Paralyse ist sie dazu verpflichtet, das menschliche an den Individuen, die sie aussaugt, miteinzubeziehen; Individuen, die sie gleichzeitig bei der Arbeit und anderswo so weit wie möglich zu entmenschlichen versucht.
Daher die Zwiespältigkeit des Diskurses und die Unstimmigkeit der technokratischen Verwaltung auf allen Ebenen der Hierarchie, vom Bürochef bis hin zum Manager globaler Institutionen. Um die Paralyse des Systems zu vermeiden und dessen Legitimität zu bewahren, lassen sie denen, die sie beherrschen, etwas Bewegungsfreiheit. Doch gelegentlich geschieht es, dass der gewünschte Unternehmungsgeist den festgelegten Rahmen übersteigt. Erniedrigt wie noch nie, auf die wenig beneidenswerte Rolle von Automaten im Dienste des globalen Systems herabgesetzt, sind die Individuen manchmal dazu fähig (wie die Rebellionen seit Seattle zeigen), diesen Rahmen zu durchbrechen. In Wirklichkeit ist die Technologie alleine nicht im Stande, die Ordnung aufrechtzuerhalten. Der Zwang in allen Bereichen des sozialen Lebens, im Speziellen der Zwang, der von den staatlichen Insitutionen ausgeübt wird, bleibt unentbehrlicher denn je.
Als erschreckende, aber relative Macht, ist die Technologie nicht zum grundlegenden, oder gar ausschliesslichen Faktor zur Bestimmung der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung geworden. Sie radiert weder die Widersprüche der Gesellschaft aus, noch vereint sie diese unter dem Schutz der Technokratie. Die Zwangsvorstellungen dieser letzteren und die besonderen Bedürfnisse, die sie erzeugt, nehmen nur dann Gestalt an, wenn sie in Korrespondenz mit den Zwangsvorstellungen und den generellen Bedürfnissen der Gesellschaft stehen. Wenn der technologische Wahn zu sehr von diesen abweicht, wenn er zum Hemmnis für das Funktionieren des Systems als Gesamtheit wird, dann wird er vom Staat oder sogar von supranationalen Institutionen, die weitreichendere Interessen als die Nationalstaaten vertreten zurechtgewiesen. Das nukleare Abenteuer der spaltbaren Materialien in Frankreich zeugt davon: Nach Jahren therapeutischer Hartnäckigkeit und letztendlichem Scheitern weigerte sich der Europarat zu bezahlen.
Der Kapitalismus kann genausowenig auf die Technologie reduziert werden, wie die Gesamtheit der Unterwerfungs- und Ausbeutungsarten auf denen er beruht. Die ausgeklügeltsten Herrschaftsformen, in jenen Staaten konzentriert, die im globalen System eine zentrale Rolle spielen, werden an der Peripherie manchmal von jahrtausende alten Unterdrückungs- und Ausbeutungsformen begleitet. Der Kapitalismus nimmt sich jener Formen an, auf die er sich stützen kann und entledigt sich derer, die ihm nichts nützen. Doch insofern er sie toleriert, akzeptiert er auch, dass sie ihm teilweise entwischen. So werden herkömmliche, ja sogar vorsintflutartige Formen der Kriegsführung von den uniformierten Technokraten, die die heutigen High-Tech Kriege führen, zugleich verleugnet und verwendet. Zur Kontrolle der Schlüsselzonen des Planeten greifen sie auf Hilfstruppen zurück (einschliesslich Banden- und Mafiabosse), die auch auf eigene Rechnung handeln.
Aus all diesen Gründen, ist das als universell präsentierte Konzept der «Industriegesellschaft» in Wirklichkeit sehr vereinfachend. Es bezieht die Komplexität der Welt nicht mit ein. Es basiert auf der Vorstellung einer fast vollkommenen Ersetzung der «Regierung von Menschen» durch die «Administration der Dinge», begleitet von jener, einer Vereinheitlichung der Gesellschaft unter der Führung des technokratischen Staates, der in den Metropolen über blinde und hirnlose Massen herrsche. Als ob die Herrschaft mit der Technologie endlich das Mittel entdeckte, womit die Utopie des Kapitalismus, die vollständige Verdinglichung der Welt, künftig realisierbar wird. Sicherlich hat die Tendenz zur zentralisierten Kontrolle der Welt während der letzten Jahrzehnte zugenommen. Das Zurückziehen der Vorrechte traditioneller Staaten und die wachsende Rolle der Institutionen, die in der Organisation des globalen Systems über diesen Staaten stehen, weisen darauf hin. Trotzdem bleibt nicht weniger wahr, dass die Verwalter der Herrschaft selbst entfremdet und gespalten sind, dass die Folgen ihrer Handlungen, selbst wenn sie ihre Interessenskonflikte ruhen lassen, gelegentlich schwer kontrollierbare, ja sogar unkontrollierbare Situationen erzeugen, da diese von Faktoren und Widersprüchen abhängen, die sie nicht voraussehen können, die ihnen entgehen. Infolgedessen sind sie nicht fähig, die absolute Herrschaft, nach der sie streben, auszuüben. Im Grunde genommen halten die Gegner der «Industriegesellschaft» das erschreckende Bild, das die modernisierte Herrschaft von sich selbst und der gesamten Menschheit gibt, für die Realität. Daher ihre Neigung sich in ihr eigenes, abgeschlossenes Universum zurückzuziehen, um zu versuchen, dem zu entfliehen, was sie erdrückt.
Eine der Hauptanschuldigungen der Gegner der «Industriegesellschaft» gegenüber der Technologie ist, die Natur, die nicht von Menschen geschaffene Welt, in ein künstliches Chaos verwandelt zu haben. Doch die Präsentation der Natur als Ordnung, fern davon das Gegenstück zum Kult der Künstlichkeit und des Chaos zu sein – den bevorzugten Formen der modernisierten Ideologie – , gehört demselben Antropomorphismus* an. Sie ging diesen in der Geschichte bloss voraus. Der zentralisierte Staat selbst, der aus der [französischen] Revolution hervorging, setzte der aristokratischen und kirchlichen Herrschaft im Namen angeblicher Naturgesetze (verweltlichter Duplikate der Gesetze Gottes) ein Ende. Die zynischsten Manager der Herrschaft denken heute, dass die Ordnung durch das Erkennen und Verwalten des Chaos wiederhergestellt werden kann. Aber es gibt Staatsmänner, Ökologen und sogar Ökofaschisten, die die Idee der Naturgesetze erneut aufgreifen und anpassen, im Sinne einer Ideologie der Aufrechterhaltung der Ordnung, die in ihren Augen von eben diesem Chaos bedroht wird. Eine gefährliche, aber auch beruhigende Idee für die Gegner der «Industriegesellschaft», die den vorherrschenden Nihilismus verwerfen. Die angeblich natürlichen Werte wirken auf den ersten Blick fundiert und solide, denn durch die angebliche Stabilität der Natur, die sie behaupten, scheinen sie die Individuen vor den zerstörerischen und immer schnelleren Mutationen des Kapitals zu beschützen, und zugleich ihrem eigenen Leben wieder Sinn zu geben. Fluchtwerte par excellence; in ihnen finden sie die scheinbare Kraft, die ihnen fehlt, und zwar dadurch, dass sie nicht mehr in ihrem Namen, sondern im Namen der universellen Totalität sprechen, mit der sie sich auf eine imaginäre Art und Weise eins fühlen. Diese natürlichen Werte spielen die Rolle bevorzugter Referenzen, von wo aus das Wiederaufgreifen der Kritik auf einer erneuerten Basis möglich scheint.
Sicherlich, die Menschen gingen aus der nicht menschlichen Welt hervor. Sie ist sogar ein wesentlicher Bestandteil ihrer Menschlichkeit. Ihre vollständige Emanzipation gegenüber der Natur ist Teil des technologischen Wahns. Doch die menschliche Aktivität ist nie die simple Imitation irgendeines Modells gewesen, das sich ausserhalb von ihr selbst befindet. Sie begnügt sich nicht damit, ihre Umgebung zu verändern und sich selbst identisch zu bleiben. Die Menschen verändern ihre Welt und verändern zugleich ihr eigenes Dasein. Die Art, wie sie die Natur umgestalten, ist auch eine Art des Zusammenlebens. Sie sind ein integraler Bestanteil der sozialen Beziehungen, die sie etablieren. In anderen Worten: die Aktivitäten, Beziehungen, Empfindungen, Vorstellungen, Gesten, Worte, etc., des Menschen sind bereits Mediationen, auch wenn sie ihn nicht beherrschen. Im Wandel der Welt ist nichts vorherbestimmt. Die Widersprüche sind unvermeidlich, und daher können die Mediationen der Kontrolle menschlicher Wesen entgehen. Der Begriff der Unmittelbarkeit, die Verherrlichung angeblich nicht mediatisierter Beziehungen, die die Menschen einst unter sich und mit dem Rest der Natur gepflegt haben sollen, ändern daran nichts. Weder der Aufruf zu den abstrakten, natürlichen Werten, die den Gegnern der «Industriegesellschaft» so am Herzen liegen, zurückzukehren, noch der Vesuch, die soziale Frage zu «naturalisieren», gestatteten, die konkreten Probleme zu lösen, die die modernisierte Entfremdung aufwirft.
Die Gewichtung der naturalistischen Ideologie ist so gross, dass die Gegner der «Industriegesellschaft» das Etikett ‘Natur’ verwenden, um die vorindustriellen Aktivitäten zu bezeichnen. Die Geschichte der daraus entstandenen Welt wird zumindest idealisiert. Seit dem Neolithikum soll die Grundlage der menschlichen Freiheit die Landwirtschaft gewesen sein, die selbst mit der Vermenschlichung der Natur einherging. Daraufhin soll das zivilisatorische Werk von der Ankunft des Reichs des Künstlichen unterbrochen worden sein. Kurz, die Menschen sind aus dem Garten Eden gefallen und haben somit ihre Odyssee auf der Erde begonnen. Ausgehend von solch idyllischen Visionen kann man sich nur schlecht vorstellen, warum die konsequentesten Revolten der vorindustriellen Epochen nicht bloss Institutionen wie die Kirche und den Staat angriffen, sondern auch die düsteren Seiten der Gemeinschaften, aus denen sie hervorgingen (ebenso in den Städten als auch auf dem Land) und die die Keime der Freiheit erstickten – mit der patriarchalen Hierarchie an erster Stelle.
Die Fortschrittsideologie negiert, dass es lange her ist, dass die Menschen von der Freiheit kosten konnten, da sie diese mit der formellen Freiheit der Bürger gleichstellt, die von den natürlichen und sozialen Gegebenheiten losgelöst zu sein scheint. Doch die freiheitstötenden und domestizierenden Tendenzen gengenüber der Natur sind sehr früh in der Geschichte aufgetaucht. Die Entfremdung hat Kontinuität. Aus den Entfremdungen von Gestern gehen zum Teil diejenigen von Heute hervor. Insbesondere was den Kult des Heiligen angeht. Schon in der Antike wurden Götter verehrt und der uralte Mystizismus bereitete den modernen Menschen noch vor dem Monotheismus auf die Verehrung der Dinge vor. Zwischen dem religiösen Schicksalsglauben und dem wissenschaftlichen Determinismus gibt es mehr als nur formelle Analogien. Das Heilige macht nicht nur einen wesentlichen Bestandteil der Genealogie der kapitalistischen Gesellschaft aus, sondern wird auch weiterhin (von dieser umgewandelt und mit der Wissenschaftsgläubigkeit vermischt) die Luft verpesten – auch in solch modernisierten Ländern wie den Vereinigten Staaten.
Die naturalistische Betrachtung der Geschichte steht der aktuellen Gesellschaft so unkritisch gegenüber, da sie der technizistischen Ideologie grosse Zugeständnisse macht. Diese definiert das menschliche Wesen schliesslich als Tier, das Werkzeuge herstellen kann und unterteilt seine Geschichte den verwendeten Werkzeugen entsprechend, ohne den Rest in Betracht zu ziehen. Die Technik wird von ihr als der universelle Faktor angesehen, der der Geschichte ihren Sinn verleiht. Das Konzept der Bauernzivilisation beruht auf etwas Ähnlichem: Die an die parzelläre Landwirtschaft angepassten Arbeitsweisen und Werkzeuge, welche die unterschiedlichsten Gemeinschaften übernahmen, wurden während Jahrtausenden kaum verändert und hätten eine Grundlage gebildet, um die Entfremdung zu bekämpfen. In demselben Denkmusters vervielfältigt die Anthropologie die Konzepte mit handwerklichen, pastoralen, usw., Zivilisationen. Aus irgendeinem Grund hatten beinahe all diese Aktivitäten so viel Wichtigkeit und auch so lange angedauert, wie die parzelläre Kultivierung des Bodens. Trotzdem, an sich und von der Gesamtheit der spezifischen Verhältnisse losgelöst, die dazu beitrugen, ihnen diese oder jene Bedeutung zu geben, bedeuten diese Arbeitsweisen und Werkzeuge nichts. Selbst auf das Mass eines Individuums oder von winzigen Gruppen zurückgestutzt, sind sie nicht a priori mit Autonomie gleichzusetzen. Wenn die Gemeinschaften beispielsweise schon auf hierarchische Weise organisiert sind – im Allgemeinen patriarchal –; wenn sie die Individualität ihrer Mitglieder einschränkt (mit Ausnahme jener ihres Chefs), oder sogar unter dem Vorwand, Wissen zu schützen und zu übermitteln, negiert, dann drücken die betreffenden Werkzeuge nichts anderes aus, als die Abwesenheit von Freiheit. Massenhaft und auf zentralisierte Weise unter dem Hirtenstab des Staates angewendet, können sie sogar die tragende Struktur jener technischen Systeme bilden, die die Erde und die Menschen zerstören – wie dies der orientalische Despotismus beweist, der seit Jahrtausenden Bewässerungsanlagen und gigantische Verstärkungen baut, ohne die die parzelläre Kultivierung des Bodens in Regionen, die für den Ackerbau weniger geeignet sind, gar nicht hätte existieren könnte.
Die idealistische Interpretation von landwirtschaflichen und handwerklichen Gesellschaften, verbunden mit der Anerkennung des Scheiterns der Klassengemeinschaft, erklärt die übermässige Wichtigkeit, die den heutigen gemeinschaftlichen Experimenten zugeschrieben wird. Zumindest jenen, die der reduktionistischen Idee der Enteignung entsprechen, die in diesem Text kritisiert wird. Manche Gegner der «Industriegesellschaft» betrachten diese Experimente sogar als notwendige Übergangsphasen, um mit der Deblockierung der Situation zu beginnen, ja sogar als Rückzugsbasen in Erwartung besserer Tage.
Kurz gesagt, ihre Idealisierung nimmt lebhaft ihren Lauf, auch wenn diejenigen, die sie befürworten, im Allgemeinen von der technizistischen Seite ihrer Aktivität beherrscht werden. Dies bezeugt die fast vollständige Abwesenheit von Kritik an der Gesamtheit der modernisierten Entfremdungen und die Wichtigkeit die dem Diskurs über die Wiederaneignung von gestrigem und heutigem savoir-faire verliehen wird. Eine Wiederaneignung, die gelegentlich mit der Wiederaneignung des Lebens gleichgestellt wird, wo doch die allgemeinen Verhältnisse selbst, die zur Ausübung der Freiheit notwendigen sind fehlen! Die jüngste Geschichte der Gemeinschaftsfrage (jene der 70er und 80er Jahre) zeigte die Grenzen solcher Experimente auf, als diese beabsichtigten, inmitten des allgemeinen Zurückweichens, die Rolle von Wartesälen für den immer schwierigeren revolutionären Aufschwung zu spielen und technische Lösungen für ungelöste, soziale Probleme zu finden. Die Verwerfung des Gigantismus im Bereich der Industrie und des Urbanismus, die Suche, die Wiederaufnahme und selbst die Erschaffung von Werkzeugen und Arbeitsweisen, die der Gemeinschaft angepasst sind, haben nicht verhindert, dass sie in ihrer Mitte die Schwächen, Attitüden, Rollen und Formen der Autorität bewahrten, die sie angeblich verwerfen sollten. Nicht mehr als der Merkantilismus. «Small is not always beautiful.» So lautete die Devise der etwas Radikaleren unter ihnen, wenn sie versuchten ihren Horizont zu erweitern.
Das Zeitalter der doktrinären Lebensexperimente am Rande der Gesellschaft ist längst vorbei. Nichts desto weniger bleibt das Experimentieren mit anderen indivdiuellen und kollektiven Lebensformen und mit der Umgestaltung der Natur ein wesentlicher Aspekt der Verweigerung des blossen Überlebens. Unter der Bedingung jedoch, dass die Rollen, die mit der Freiheit der Assozierten unvereinbar sind, kein freies Spiel haben, und dass ihnen nicht mehr Bedeutung auferlegt wird, als sie haben können. Um die Enteignung zu bekämpfen sind das Aufspühren, die Selektion und die Kombination von gestrigen und heutigen Methoden nicht zu venachlässigen. Doch sie gehören noch immer dem Bereich provisorischer Massnahmen an und werden unter anderen Verhältnissen zweifellos wegfallen. Sie stellen keine Hebel dar, die es ermöglichen, in der Lösung der sozialen Frage voranzukommen. Dies geschieht heute durch die Konstituierung von Kräften, die imstande sind, die Gesamtheit der Welt, die uns zerdrückt, in Frage zu stellen.
Die technizistische Ideologie ist so allgegenwärtig, dass sie sogar diejenigen vergiftet, die sie mit Abscheu verwerfen. Indem sie aus ihr einen vertrauten Dämon machen, gehen sie schliesslich im Käfig umher, das ihnen diese Ideologie auferlegt, ohne zu sehen, dass sie ihnen den Horizont versperrt. Sie fassen jenes Axiom als Ausdruck der Wirklichkeit auf, nach welchem die sozialen Probleme im Wesentlichen nichts anderes als technische Probleme sind, oder zumindest Probleme, die mit der gegenwärtigen Herrschaft der Technologie verbunden sind, die als vollkommen oder fast vollkommen präsentiert wird. Der Begriff der «Industriegesellschaft» drückt nichts anderes aus. Es mag dann nicht verwundern, dass die technizistische Ideologie, die man durch die Tür hinausjagte, durchs Fenster wieder hineinkommt (nachdem sie sich etwas vom Naturalismus und den Bildern von Epinal* geliehen hatte). Diesmal als Suche nach technischen Tricks und Raffinessen, die fähig sind, die Autonomie der Individuen zu fördern: Mit der Rückkehr zur tierischen Zugkraft als zwangsläufigem Übergang zur Eroberung der Freiheit, als einer dieser Funde.
Die Verkünstlichung des Lebens, die durch die Technologie vermittelt wird, ist das schwarze Schaf der ‘Gegner der Industriegesellschaft’, weil sie – ihnen zufolge – den Dreh und Angelpunkt der modernisierten Entfremdung ausmacht und daher die wesentliche Ursache des wiederholten Scheiterns der Versuche von Subversion in den Metropolen darstellt, sowie der zentrale Faktor ist, der dem Aufleben dieser entgegenwirkt. Eine zumindest sehr verkürzende Position, die die Unmenge an Faktoren, die dafür verantwortlich sind, unbeachtet lässt. Beginnend beim Faktor der Modernisierung des Staates, der in Form des Wohlfahrtstaates während Jahrzehnten den relativen Schutz der Bürger gewährleistete und dafür den Verlust von Autonomie, ebenso wie die zunehmende Atomisierung der Lohnarbeiter selbst mit sich brachte. Diese Modernisierung beschleunigte die Integration und den Zerfall ihrer Klassengemeinschaft.
Der forcierte Verlauf der starren Werte dieser Klassengemeinschaft ist ab den 70er Jahren eingesackt, doch nur ein paar Jahre später geschah dasselbe mit den Werten der «alternativen» Gemeinschaften. Kaum auf den Markt der Ideologien geworfen, verlieren sie bereits ihren Schwefelgeruch und tauchen durch die Wiederverwertung kultureller Massenwerte, die sie selbst mit erschaffen hatten, als Faktore in der Modernisierung der Gesellschaft wieder auf. Die Gegner der «Industriegesellschaft» schlugen mit doppelter Kraft auf die Grenzen der Projekte der proletarischen Emanzipation und insbesondere auf die Neigung, die Revolution auf die Enteignung der Enteigner und auf die Übergabe des technizistischen System in die Hände der assoziierten Proletarier zu reduzieren. Sie schweigen hingegen in Anbetracht der Sackgasse der partiellen, «alternativen» Projekte der letzten 30 Jahre, womit sie die Frage aufwerfen, ob der Staat die realisierbarsten Gemeinschaften anerkannt hat. Diese Gemeinschaften stellen der Vorstellung von einer Welt der fragmentierten Entfremdung, die sie bestreiten – von der Hierarchie unter den Geschlechtern, bis zu jener unter den Spezien – und dem leeren Universalismus der Politik dieser Epoche, den Geist der Trennung und der Spezialisierung auf diesen oder jenen Bereich des Kampfes entgegen. Hierin liegt der Hauptgrund für das Scheitern der Versuche über das Terrain der Politik hinauszugehen und den Bereich des Kampfes auszuweiten. Gleich gefolgt von der Institutionalisierung, die jedoch bloss die Konsequenz davon war.
Unter viel ungünstigeren Umständen finden sich die Gegner der « Industriegesellschaft » demselben Dilemma gegenüber. Je mehr sie versuchen aus dem Kampf gegen die Technologie den Angelpunkt des Widerstandes gegen die Welt der modernisierten Entfremdung zu machen, desto mehr schränken sie den potentiellen Kampfbereich ein.
Auf diesem Gebiet ist ihre Werteskala genauso hierarchisch wie diejenige, der klassischen Ideologen, die jenen Formen der Subversion feindlich gesinnt waren, die in den 70ern und 80ern ihre engstirnigen Konzepte überstiegen. Ihre abgekapselte Vision der Welt, die sie für universell halten, drängt sie dazu, das Terrain, das sie wählen (zumindest in den Metropolen), als das einzig mögliche darzustellen, und die anderen prinzipiell zu vernachlässigen, die als unwesentlich oder sogar abgeschlossen betrachtet werden und daher den bürgerlichen Hilfstruppen des Staates überlassen werden. Hier entpuppt sich die Gleichgültigkeit und manchmal sogar die latente Feindschaft gegenüber der radikalen Fraktion, die am Rand der antiglobalistischen Messen in Seattle und anderswo ihrer Stimme Gehör verschafften.
Zweifelsohne gegensätzliche und zerstreute Stimmen. Doch die Frage nach dem, was sie denken, was sie wollen, etc., wird nicht einmal mehr gestellt. Es genügt, sie ohne nachzudenken mit den aktivistischen Tendenzen gleichzustellen und den Fall abzuschliessen. Einige Partisanen der Errichtung eines «anti-industriellen» Widerstandes behaupten manchmal sogar, dass die von ihrer Beziehung zur Natur abgeschnittenen Individuen in den Megastädten so sehr verstümmelt sind, dass sie zum Umherirren verdammt sind. Hier wird die Möglichkeit, dass im Schosse des Systems bedeutungsvolle Kämpfe entstehen können, die sich gegen dieses richten, vom Tisch gefegt. Für den Widerstand bleibt nichts anderes übrig, als anzufangen, ihre Anhaltspunkte in einer illusorischen Rückkehr zu früheren Werten zu suchen, und zu versuchen, an der Peripherie der Megastädte, ausgehend von jenen letzten Nischen, die der vollständigen Enteignung scheinbar noch entgehen, Widerstand zu leisten.
Die Kräfte, die sich heute in den Metropolen erneut mit der Perspektive einer Infragestellung der Herrschaft formieren sind sehr schwach und zerstreut, manchmal auch verwirrt, und sie können sich auf nichts als sich selbst verlassen. Von daher der sehr unangenehme Eindruck, in der Leere zu hängen. Doch nicht das geringste Projekt des Überlebens der Spezies oder des Rückzugs aus der Welt, ein Projekt, dass eine illusorische Alternative zum alten Problem, die Staatsmacht zu Übernehmen ist, kann das Loch füllen, das das Gefühl hinterlässt, von den natürlichen und geschlichtlichen Anhaltspunkten isoliert, entwurzelt und beraubt zu sein. Die Erfahrung zeigt, dass in solchen Projekten nichts als illusorische Treffen ohne Kontinuität lanciert werden. Die Konfrontation mit der Welt bleibt der einzige Weg für die revoltierenden Individuen oder Gruppen von Individuen, um nicht im Solipsismus zu versinken, diesem perfekten Ausdruck von Atomisierung und vom Bedeutungsverlust der Realitäten, die diese Epoche charakterisieren. Unsere wirklichen Schwächen dürfen nicht zur Rechtfertigung werden, um unsere eigenen Ziele und Wege auf den Sankt-Nimmerleins-Tag hinauszuschieben. Ohne natürlich in den Modus des Aktivismus zu verfallen, aber auch ohne unser Aktivitätenfeld a priorizu begrenzen, sowohl auf theoretischer als auch auf praktischer Ebene. Lasst uns behüten, dass wir nichts als unsere eigenen Grenzen für die Grenzen der Welt nehmen.
André Dréan