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Die bewaffnete Freude
Einleitung
Dieses Buch entstand 1977 in Italien während der revolutionären Kämpfe, die zu jener Zeit dort geführt wurden. Beim Lesen muss daher berücksichtigt werden, dass sich die Situation inzwischen grundlegend verändert hat.
Die revolutionäre Bewegung und in ihrem Inneren auch die anarchistische, befand sich zu diesem Zeitpunkt noch in einer Entwicklungsphase und alles schien möglich, auch die Verbreiterung des bewaffneten Kampfes.
Vor einer Gefahr musste man sich jedoch hüten: Vor der Spezialisierung und Militarisierung, die eine kleine Minderheit von Militanten den Tausenden von GenossInnen aufzwingen wollte, die mit allen Mitteln gegen die Repression und die Versuche des Staates, die Herrschaft des Kapitals wiederherzustellen, kämpften, obwohl diese Versuche des Staates – ehrlich gesagt – ziemlich schwach waren.
So war die Situation in Italien, aber etwas Ähnliches geschah auch in Deutschland, Frankreich, Grossbritannien und anderen Ländern.
Daher war es sehr wichtig, zu verhindern, dass diese zahlreichen Aktionen, die täglich von GenossInnen verwirklicht wurden – Angriffe gegen Personen und Strukturen der Herrschaft und des Kapitals – nicht von der dirigistischen Logik einer bewaffneten Partei, wie z.B. der Roten Brigaden in Italien – um nur ein Beispiel zu nennen – geführt wurden.
Genau daraus besteht der Geist dieses Buches. Es zeigt, wie aus einer täglichen Praxis der Befreiung und Zerstörung eine freudige Logik des Kampfes entsteht und nicht eine tödliche und schematische Methode, die in den vorgefertigten Regeln einer führenden Gruppe festfährt.
Einige dieser Probleme existieren inzwischen nicht mehr. Sie wurden von den harten Lektionen der Geschichte gelöst. Der Zusammenbruch des realexistierenden Sozialismus hat plötzlich und vielleicht für immer, die dirigistischen Bestrebungen der MarxistInnen jeglicher Couleur neu angepasst. Jedoch hat er nicht den Wunsch nach Freiheit und anarchistischem Kommunismus zerstört, der inzwischen überall und insbesondere unter den jüngeren Generationen kursiert, sondern ihn im Gegenteil wieder entflammt. Allerdings berufen sich diese in den meisten Fällen nicht auf die traditionellen Symbole des Anarchismus, seine Erkennungszeichen und Theorien, denn auch diese werden, aus Gründen, die ich zwar verstehen kann, aber nicht teile, für Ideologismen gehalten.
Und genau aus diesem Grund erscheint die Lektüre dieses Buches heute wieder aktuell, allerdings ist die Aktualität eine andere. Es ist keine Kritik mehr gegenüber einer schwerfälligen Struktur, die versucht, Mitläuferinnen zu gewinnen, und die sowieso nicht mehr existiert, sondern auf freudige Weise fähig sein möchte, den Individuen auf ihrem Weg der Zerstörung all dessen, was unterdrückt und massregelt, ihre eigenen starken Fähigkeiten zu verdeutlichen.
Bevor ich schliesse, muss ich daran erinnern, dass dieses Buch in Italien zur Zerstörung verurteilt wurde. Ein Urteil des höchsten Gerichtes in Italien hat seine Verbrennung beschlossen. Alle Bibliotheken, die ein Exemplar besassen, bekamen durch einen Brief des Innenministeriums die Anweisung, es zu verbrennen. Nicht wenige BibliothekarInnen haben sich geweigert, das Buch zu zerstören, denn sie hielten dies für eine Praxis der Nazis und der Inquisition, doch die Bände in den Bibliotheken sind nach dem Gesetz nicht einsehbar. Das Buch darf also in Italien nicht verkauft oder verliehen werden und viele GenossInnen, die ursprünglich ein Exemplar besassen, haben dies bei Beschlagnahmungen während zahlreicher Hausdurchsuchungen verloren.
Weil ich dieses Buch geschrieben habe, wurde ich zu eineinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.
Alfredo M. Bonanno
Catania, 14. Juli 1993
I
In Paris, 1848, war die Revolution wie Ferien
ohne Anfang oder Ende
Bakunine
Aber warum schiessen diese guten Jungs Montanelli in die Beine? Wäre es nicht besser gewesen, ihm in den Mund zu schiessen?
Natürlich wäre es besser gewesen. Aber auch belastender, rachsüchtiger und unheimlicher. Eine Bestie wie ihn zum Krüppel machen, kann ausser der Rache und Bestrafung eines Faschisten und Dieners der Herrschenden, wie Montanelli einer ist, auch eine tiefergehende und bedeutungsvollere Seite haben.
Ihm in die Beine zu schiessen bedeutet, ihn zum Hinken zu zwingen und ihn damit immer an seine Missetaten zu erinnern. Und ausserdem ist es ein angenehmerer Spass, als ihm in den Mund zu schiessen, wobei ihm das Gehirn aus den Augen spritzen würde.
Viele unserer GenossInnen stehen jeden Morgen auf, gehen im Nebel den Weg zur Arbeit, treten in die erstickende Atmosphäre der Fabrik oder eines Büros, nur um dort immer wieder die gleichen Gesichter vorzufinden: Das der AbteilungsleiterIn, der SpionIn, der StreberIn, die sieben Kinder zu ernähren hat. Diese GenossInnen spüren die Notwendigkeit der Revolution, des Kampfes und der physischen Auseinandersetzung, selbst wenn diese tödlich sein kann. Aber sie spüren auch, dass all dies ihnen ein bisschen Freude bereiten muss und zwar sofort und nicht erst später. Diese Freude pflegen sie in ihren Phantasien, wenn sie mit geduckten Kopf im Nebel gehen, Stunden in Zügen oder Strassenbahnen vergeuden, während sie einer nutzlosen Arbeit im Büro oder in der Fabrik nachgehen, die dazu dient, die nutzlosen Mechanismen des Kapitals zusammenzuhalten..
Die bezahlte Freude, die ihnen ihrE Chefin jede Woche (den freien Sonntag) oder jährlich (den Jahresurlaub) zugesteht, ist wie Liebe machen gegen bezahlung. Die äusseren Merkmale sind dieselben, doch etwas fehlt.
Hunderte von Argumenten häufen sich in revolutionären Büchern, Broschüren und Zeitungen an. Man soll dies und jenes tun, man soll die Dinge in einer bestimmten Art und Weise betrachten, man soll sie so sehen wie X oder Y das sagen, denn X und Y sind die wahren InterpretInnen der X und Y‘s vergangener Zeiten, den erdrückenden Bänden der Klassiker.
Auch diese muss man immer in Reichweite haben, denn sie sind ein Teil der Liturgie. Sie nicht zu besitzen, ist ein schlechtes Zeichen und erregt Misstrauen. Doch sie können auch ganz nützlich sein, denn da es sich meist um gewichtige Bände handelt, kann man sie auch irgendeinem Störenfried ins Gesicht werfen. Nicht gerade eine neue Verwendungsmöglichkeit, aber sie bestätigt immerhin die revolutionäre Gültigkeit vergangener (oder gegenwärtiger) Thesen.
In diesen Büchern wird nie über Freude gesprochen. Die Strenge eines Klosters braucht die Atmosphäre, die man auf diesen Seiten atmet, um nichts zu beneiden. Ihre Autoren – Priester einer Revolution der Rache und Bestrafung – verbringen ihre Tage damit, Schuld und Strafen abzuwägen und zu verbuchen.
Andererseits haben diese gestrengen HüterInnen in Blue Jeans einen Keuschheitsschwur abgelegt und verlangen dies nun auch von anderen. Für die Opfer, die sie gebracht haben, wollen sie auch belohnt werden. Schliesslich haben sie die weich gebettete Umgebung ihrer Herkunftsklasse verlassen, ihre Fähigkeiten in den Dienst der Besitzlosen gestellt, angefangen eine Sprache zu sprechen, die nicht die ihre ist und schmutzige Tischdecken und unordentliche Betten ertragen. Da ist es doch das Mindeste, dass man ihnen zuhört.
Sie träumen von geordneten Revolutionen, von schön geordneten Regeln, von Anarchie ohne Turbulenzen. Wenn die Wirklichkeit jedoch einen anderen Weg nimmt, dann brüllen sie sofort gegen die Provokation und zwar so laut, dass sogar die Polizei sie hört.
Die RevolutionärInnen sind fromme Menschen. Die Revolution nicht.
II
I call a cat a cat
Boileau
Wir sind alle mit dem revolutionären Problem beschäftigt, wie und was zu produzieren ist. Doch niemand spricht von der Produktion als revolutionärem Problem.
Wenn die Produktion die Basis der kapitalistischen Ausbeutung darstellt, bedeutet eine Änderung der Produktion nur eine Änderung der Art der Ausbeutung, sie bedeutet nicht, die Ausbeutung zu eliminieren.
Eine Katze, auch wenn sie rot angemalt wird, bleibt immer eine Katze.
Die ProduzentInnen sind heilig, man darf sie nicht belangen. Eher noch spricht man sie und ihr Opfer im Namen der Revolution selig und die Würfel sind gefallen.
Und was werden wir essen? fragen sich diejenigen, die sich die meisten Sorgen machen. Brot und Angst, antworten die RealistInnen, die alles vereinfachen, und haben dabei schon ein Auge auf den Kochtopf und das andere auf das Gewehr geworfen. Ideen, antworten die idealistischen PfuscherInnen, ein Auge auf das Buch der Träume und das andere auf die Menschheit gerichtet.
Wer sich an der Produktivität vergreift, muss sterben.
Der Kapitalismus und diejenigen, die ihn bekämpfen, sitzen beide auf dem Kadaver des Produzenten, damit die Welt der Produktion weiterlebt.
Die Kritik der Wirtschaftspolitik ist eine Rationalisierung der Produktionsweise des geringsten Aufwands (derjenigen, die die Früchte der Arbeit geniessen). Die Anderen, also die, die ausgebeutet werden, müssen aufpassen, dass es an nichts mangelt, denn wie könnte man sonst leben?
Wenn das Kind der Finsternis ans Licht kommt, sieht es genauso wenig, wie zuvor im Dunklen. Die Freude lässt es erblinden. Sie bringt es um. Also erklärt dieses Kind die Freude zur Halluzination und verdammt sie.
Die dickbäuchigen und schlappen SpiesserInnen geniessen ihr opulentes Nichtstun, deshalb ist geniessen sündhaft. Es bedeutet, die Anreize der SpiessbürgerInnen zu teilen und die des produktiven Proletariats zu verraten.
Das ist nicht wahr. Die BürgerInnen geben sich grosse Mühe, den Prozess der Ausbeutung am Leben zu erhalten. Auch sie sind gestresst und finden keine Zeit für Freude. Ihre Kreuzfahrten sind nichts anderes als Gelegenheiten, um neue Investitionsprojekte zu planen. Ihre LiebhaberInnen sind nur die fünfte Kolonne der Informationsbeschaffung über die Konkurrenz.
Der Gott der Produktivität bringt auch seine ergebenen DienerInnen um. Schlagen wir ihnen den Kopf ab, kommt ein Schwall von Müll heraus.
Der elende Hungrige muss ja schliesslich Rachegelüste bekommen, wenn er die Reichen umgeben von ihrer Dienerschaft, beobachtet. Also zu allererst die Zerstörung des Feindes, aber nicht ohne Beute zu machen. Denn der Reichtum soll nicht zerstört, sondern benutzt werden. Es spielt dabei keine Rolle, was er darstellt, welche Form er annimmt oder welche Verwendungsmöglichkeiten er zulässt. Das Einzige, das zählt, ist, ihn seinen gegenwärtigen BesitzerInnen zu entreissen, um ihn dann allen zur freien Verfügung zu stellen.
Allen? Aber sicher, allen.
Und wie wird dieser Übergang stattfinden? Mit revolutionärer Gewalt.
Schöne Antwort. Aber was genau tun wir, nachdem wir soviele Köpfe abgeschlagen haben, dass es uns langweilt? Was tun wir, wenn weit und breit keine BesitzerInnen mehr zu finden sind?
Dann sind wir im Reich der Revolution. Jeder Mensch nach seinen Bedürfnissen, nach seinen Möglichkeiten.
Doch Achtung GenossIn. Hier riecht es nach Kalkül. Von Konsum und Produktion wird gesprochen. Man bleibt innerhalb der Dimension der Produktivität und Berechnungen, dort fühlt man sich sicher. Zwei und zwei macht vier. Niemand wird je diese „Wahrheit“ verleugnen können. Die Zahlen regieren die Welt. Wenn sie dies schon immer getan haben, warum sollten sie das nicht für immer tun?
Wir alle brauchen solide, greifbare Dinge. Steine, um eine Mauer zu bauen, gegen all die besorgniserregenden Anreize, die auf uns zukommen. Alle benötigen wir die Objektivität. Die Chefetage schwört auf ihren Geldbeutel, die BäuerInnen auf ihren Spaten, die RevolutionärInnen wiederum auf ihre Gewehre. Versucht mal, einen Hauch Kritik zu üben, und schon fällt das ganze objektive Gerüst in sich zusammen.
Die alltägliche Aussenwelt mit ihrem ganz objektiven Gewicht, konditioniert und reproduziert uns in ihrer objektiven Schwere. Wir sind Kinder der alltäglichen Banalität. Auch dann, wenn wir über „wichtige“ Dinge wie die Revolution reden, haben wir dabei unsere Augen immer fest auf den Kalender gerichtet. Die Herrschenden haben Angst vor der Revolution, denn sie würde ihnen ihren Geldbeutel wegnehmen. Die BäuerInnen werden die Revolution machen, um Land zu bekommen und die RevolutionärInnen werden sie machen, um ihre Theorien zu bestätigen.
Wenn man das Problem in Begriffe wie Geldbeutel, Land und revolutionäre Theorien fasst, gibt es keinen Unterschied. All diese Objekte sind reine Vorstellung, sie sind der Spiegel der menschlichen Illusionen. Nur der Kampf ist real. Er diskriminiert die Herrschenden vor den BäuerInnen und etabliert einen Pakt zwischen BäuerInnen und RevolutionärInnen.
Die Organisationsformen der Produktion transportieren Ideologie und verdecken damit die substantielle Illusion der Identität der Einzelnen. Diese Identität wird auf die wirtschaftliche Vorstellung von Wert übertragen. Gesetze bestimmen die Interpretation und einige seiner Elemente sind in den Händen der Herrschenden. Das haben wir durch das Konsumdenken festgestellt. Auch die Technologie der psychologischen Kriegsführung und der totalen Repression sind Elemente einer Interpretation der Menschheit unter der Voraussetzung, dass diese aus ProduzentInnen besteht.
Weitere Elemente dieses Kodex stehen für einen anderen Zweck zur Verfügung. Nicht für einen revolutionären, sondern einfach anderen. Denken wir dabei z. B. nur mal an das soziale Konsumdenken, das das herrschaftliche Konsumverhalten der letzten Jahre ersetzen wird.
Aber es gibt auch noch andere Elemente, die weitaus raffinierter sind. Die selbstverwaltete Kontrolle der Produktion ist ein weiteres Element des Gesetzes der Ausbeutung.
Und so geht das immer weiter. Sollte es jemandem in den Sinn kommen, mein Leben für mich zu organisieren, so kann diese Person niemals meine Genossin oder mein Genosse sein. Wenn sie ihre Vorgehensweise dadurch zu entschuldigen versucht, dass es ja wohl jemanden geben muss der etwas „produziert“, weil wir sonst alle unsere menschliche Identität verlieren würden und uns von der „wilden und ungebildeten Natur“ überwältigen lassen würden, so werden wir darauf antworten, dass die Beziehung Natur-Mensch eine Illusion des erleuchteten marxistischen Bürgertums ist. Warum sollte man ein Schwert gegen eine Heugabel tauschen wollen? Warum muss der Mensch immer so sehr darauf achten, sich von der Natur zu unterscheiden?
III
Wenn die Menschen das was nützlich ist nicht erreichen,
ermüden sie sich selbst an dem Unnützen.
Goethe
Der Mensch braucht viele Dinge.
Für gewöhnlich wird diese Feststellung so interpretiert, dass ein Mensch Bedürfnisse hat und dazu gezwungen ist diese zu befriedigen. Auf diese Weise entsteht eine Verwandlung des Menschen von einer geschichtlich sehr präzisen Einheit in eine Dualität, die gleichzeitig Mittel und Ziel ist. Tatsächlich verwirklicht er sich in der Befriedigung seiner Bedürfnisse (also durch die Arbeit) und ist somit das Mittel zu seiner eigenen Verwirklichung.
Ganz leicht lässt sich erkennen, wieviel Mythologie sich hinter dieser Behauptung verbirgt. Wenn sich ein Mensch ohne die Arbeit nicht von der Natur unterscheidet, wie kann er sich dann über, die Befriedigung seiner Bedürfnisse selbstverwirklichen? Um dies zu tun, müsste er ja schon Mensch sein, also seine Bedürfnisse bereits verwirklicht haben, also müsste er es gar nicht nötig haben zu arbeiten.
Bereits die Ware an sich konstruiert die starke Nutzbarkeit der Symbole. Auf diese Weise wird sie zu einem Bezugspunkt, einer Masseinheit und einem Tauschwert. Dann beginnt das Spektakel. Rollen werden verteilt und reproduzieren sich auf ewig. Ohne bemerkenswerte Änderungen beginnen die SchauspielerInnen mit der Aufführung.
Die Befriedigung eines Bedürfnisses wird zum Reflex und nebensächlich. Das Wichtigste ist nun die Verwandlung des Menschen in eine „Sache“ und mit dem Menschen wird auch der Rest verwandelt. Auch die Natur wird zur „Sache“, die benutzt werden kann. Dadurch wird die Natur korrumpiert und korrumpiert wiederum die Lebensinstinke des Menschen. Zwischen der Natur und dem Menschen tun sich Abgründe auf, die irgendwie gefüllt werden müssen. Dafür sorgt wiederum die Expansion des Marktes selbst. Das Spektakel weitet sich so sehr aus, dass es am Ende sich selbst und den eigenen Widerspruch auffrisst. Der Boden und die Bühne treten in dieselbe Dimension ein und begeben sich wieder auf eine höhere Ebene, die noch weiter ist und das Spektakel selbst wieder reproduziert bis in alle Ewigkeit.
Wer versucht dem Gesetz des Marktes zu entkommen, wird nicht zur Sache gemacht und „fällt“ aus dem königlichen Sitz des Spektakels. Es wird mit dem Finger auf ihn gezeigt und er wird mit Stacheldraht umgeben. Wer dann den Vorschlag der Globalisierung nicht akzeptiert und eine neue Ebene der Regeln ablehnt, wird kriminalisiert. Sein „Wahnsinn“ ist damit offensichtlich. In einer Welt, deren Realität auf Illusionen und deren Sachlichkeit auf Täuschung basiert, ist es nicht erlaubt, Täuschungen abzulehnen.
Das Kapital verwaltet das Spektakel auf der Basis des Gesetzes der Kapitalansammlung. Nichts kann jedoch bis ins Unendliche angehäuft werden. Nicht einmal das Geld. Ein absoluter quantitativer Prozess ist eine Illusion, eine quantitative Illusion. Dies haben die Herrschenden vollkommen erkannt. Daher nimmt die Ausbeutung nun unterschiedliche Formen und ideologische Modelle an, um auf qualitativ unterschiedliche Art genau diese Anhäufung zu ermöglichen, die unter dem quantitativen Aspekt nicht unendlich fortgesetzt werden konnte.
Dass all dies ins Paradoxe und Illusorische geht, interessiert das Kapital nicht weiter, denn es hält schliesslich die Zügel in der Hand und bestimmt die Regeln. Wenn es die Illusion als Realität verkaufen muss, um sich dadurch zu bereichern, dann kann es damit auch gleich weitermachen, ohne sich allzuviele Gedanken zu machen. Es sind schliesslich die Ausgebeuteten, die dann die Rechnung bezahlen. Daher liegt es auch an ihnen, die Illusion zu bemerken und sich darum zu kümmern, die Wirklichkeit herauszufinden. Für das Kapital laufen die Dinge gut so, wie sie laufen, auch wenn sie auf dem grössten illusorischen Spektakel der Welt begründet sind.
Die Ausgebeuteten haben beinahe Sehnsucht nach dieser Illusion. Sie haben sich an ihre Ketten gewöhnt und hängen an ihnen. Manchmal träumen sie von faszinierenden Aufständen und Blutbädern, doch dann lassen sie sich wieder von. den Worten neuer politischer Führungen blenden. Die revolutionären Parteien erweitern die illusorische Perspektive des Kapitals noch .um Horizonte, die das Kapital allein nie erreichen könnte.
Und immer noch ist es die quantitative Illusion, die das Massaker anrichtet.
Die Ausgebeuteten werden angeworben, gezählt und vereint und die wildesten Slogans lassen die Herzen der BürgerInnen hochschlagen. Je mehr Leute sich angesammelt haben, um so grösser werden die Anmassung und die Forderungen der Führungen. Sie machen schliesslich Pläne zur Eroberung und die neue Macht ersetzt die alte. Über all dem lächelt befriedigt der Geist Bonapartes.
Natürlich werden tiefe Veränderungen im Gesetzeswerk der Illusionen vorgenommen. Aber alles muss im Rahmen der quantitativen Anhäufung liegen. Wachsen die militanten Kräfte, so muss auch der revolutionäre Anspruch wachsen. Ebenso muss auch die soziale Profitrate wachsen, die den privaten Profit ersetzen soll. Damit tritt das Kapital dann in eine neue Phase des illusorischen Spektakels. Alte Bedürfnisse bekommen neue Namen und der Gott der Produktion herrscht weiterhin ohne einen einzigen Rivalen.
Sich zu zählen ist schön. Es gibt einem das Gefühl stark zu sein. Daher zählen sich die Gewerkschaften, die Parteien und auch die Herrschenden. Zählen wir uns doch einfach auch und drehen uns weiter im Kreis.
Wenn wir uns dann fertig gezählt haben, versuchen wir die Dinge so zu lassen wie sie waren. Und wenn Veränderungen wirklich nötig sind, dann vollziehen wir sie, ohne irgendjemanden zu stören.
Regelmässig wird die Politik wiederentdeckt und oft findet das Kapital die genialsten Lösungen. Uns fällt dann der soziale Friede mit einer Friedhofsruhe auf den Kopf. Die Illusion wird in einem Masse ausgeweitet, in dem das Spektakel fast alle verfügbaren Kräfte aufsaugt. Alles schweigt. Dann werden die Fehler und die Monotonie der Aufführung wiederentdeckt. Der Vorhang öffnet sich für unvorhergesehene Situationen. Die kapitalistische Maschinerie klagt die Schläge an. Dann plötzlich entdecken wir die revolutionäre Verpflichtung wieder. Eben das ist auch ‚68 geschehen. Allen quellen fast die Augen aus dem Kopf und werden ganz wild. Berge von Flugblättern, Broschüren, Zeitschriften und Büchern lassen uns fast ersticken. Alte ideologische Feinheiten werden wie Soldaten in Reih und Glied aufgestellt. Auch die AnarchistInnen haben sich selbst wieder entdeckt, und das auf geschichtliche Weise, wie es der Augenblick erforderte. Alle stumpfsinnig, auch die AnarchistInnen. Wenn irgendeine Person aus dem Tiefschlaf des Spektakels erwachte, sich umsah auf der Suche nach Freiraum und
Luft zum Atmen und dabei die AnarchistInnen entdeckte, sagte sie zu sich selbst: Endlich! Das sind die Leute, mit denen ich zusammensein möchte. Gleich darauf wurde ihr bewusst, das dies eine Dummheit war. Nicht mal in der Richtung liefen die Dinge so, wie sie sollten. Auch dort nur Stumpfsinn und Schauspiel. Und diese Person floh sofort wieder, zog sich in sich selbst zurück, war entmutigt und akzeptierte nun das Spiel des Kapitals. Und falls sie es doch nicht akzeptierte, wurde sie geächtet, auch von den AnarchistInnen.
Die Maschine der 68er hat die besten FunktionärInnen des neuen technokratischen Staates geschaffen, aber sie hat auch Antikörper produziert. Die Prozesse der quantitativen Illusion sind sichtbar geworden. Einerseits haben sie neue Kraft erhalten, um eine neue Vision des Spektakels des Marktes aufzubauen, andererseits haben sie auch Risse bekommen.
Die Sinnlosigkeit des Gefechtes auf der Ebene der Produktion ist offensichtlich geworden. Nehmt die Fabriken, die Länder, die Schulen, die Stadtteile in Besitz und verwaltet sie selbst, sagten die alten anarchistischen RevolutionärInnen. Zerschlagen wir die Macht, in all ihren Aspekten, fügten sie gleich darauf hinzu. Aber tiefer gingen sie nicht, das tatsächliche Übel zeigten sie nicht. Obwohl sie vom Ernst der Lage und seiner tatsächlichen Dimension wussten, zogen sie es vor sie zu verstecken, in der Hoffnung auf eine Spontaneität, die die Revolution hervorbringen sollte. Nur wollten sie auf die Ergebnisse dieser Spontaneität mit den Produktionsmitteln in ihren Händen warten. Was auch immer geschieht, welche Form auch immer die Revolution annimmt, wir müssen die Produktionsmittel in unseren Händen halten, behaupteten sie fest, sonst wird uns der Feind auf der Ebene der Produktion besiegen. Und um dies zu erreichen, gehen sie dann Kompromisse jeder Art ein. Um sich nicht allzuweit vom Raum der Entscheidungen zu entfernen, konstruieren sie schliesslich eine andere Form des Spektakels, das manchmal genauso makaber ist.
Die Illusion des Spektakels hat ihre Regeln. Wer sie verwalten möchte, muss sich diesen Regeln unterwerfen, sie kennen, darauf schwören und sie anderen aufzwingen können. Die erste Regel lautet: Die Produktion bestimmt alles. Wer nichts produziert, ist kein Mensch, und die Revolution ist nichts für ihn. Warum sollten wir Parasiten tolerieren? Müssen denn nicht wir an deren Stelle arbeiten? Müssen wir dann nicht auch deren Überleben sichern? Und überhaupt: All diese Leute ohne klare Vorstellungen und mit dem Anspruch selbst entscheiden zu wollen, sind die nicht „ganz objektiv“ konterrevolutionär? Also kommt es darauf an, sie gleich anzugreifen. Wir müssen wissen, wer unsere FreundInnen sind und mit wem wir zusammensein wollen. Wenn wir Angst machen wollen, dann machen wir das alle zusammen, eingegliedert in eine perfekte Ordung, ohne dass irgendjemand es wagt, die Füsse auf den Tisch zu legen oder die Hosen herunterzulassen.
Organisieren wir unsere eigenen Strukturen. Formen wir Militante, die perfekt alle Kampftechniken im produktiven Sektor beherrschen. Die Revolution wird nur von den Produzentinnen gemacht werden, und wir werden da sein, um zu verhindern, dass sie Dummheiten machen.
Nein, das ist alles falsch. Wie können wir verhindern, dass sie Dummheiten machen? Auf der Ebene des illusorischen Spektakels der Organisation gibt es hochtrabendere RednerInnen als uns, die jede Menge Atem zu verschwenden haben. Kampf am Arbeitsplatz. Kampf zur Verteidigung der Arbeit. Kampf für die Produktion.
Wann werden wir diesen Kreis endlich durchbrechen? Wann werden wir damit aufhören, uns in den eigenen Schwanz zu beissen?
IV
Der verformte Mensch findet immer Spiegel
die ihn ansehlich machen.
de Sade
Was ist die Liebe zur Arbeit doch für ein Wahnsinn!
Was für eine szenische Geschicklichkeit hat das Kapital bewiesen, als es die Ausgebeuteten dazu gebracht hat, die Ausbeutung zu lieben, den Gehängten die Schnur und den Sklaven die Fesseln.
Bis heute hat diese Idealisierung der Arbeit, die Revolution getötet. Die Bewegung der Ausgebeuteten wurde dadurch korrumpiert, dass die bürgerliche Moral Eingang gefunden hat in die Produktion, also etwas, das der Bewegung nicht nur fremd ist, sondern auch noch im Gegensatz zu ihr steht. Es ist kein Zufall, dass zuerst der gewerkschaftliche Teil korrumpiert wurde, denn er steht der Verwaltung des produktiven Spektakels am nächsten.
Der Ethik der Produktivität muss die Ästhetik des Nichtstuns entgegengesetzt werden.
Der Befriedigung der Bedürfnisse nach Spektakel, die uns die Gesellschaft des Marktes auferlegt hat, müssen wir die Befriedigung der natürlichen Bedürfnisse des Menschen entgegengesetzen. Diese müssen angesichts des primären und essentiellen Bedürfnisses bewertet werden: Dem Bedürfnis nach Kommunismus.
Die quantitative Bewertung des Druckes, den die Bedürfnisse auf den Menschen ausüben, wird damit auf den Kopf gestellt. Das Bedürfnis nach Kommunismus verändert andere Bedürfnisse und ihren Druck auf den Menschen.
Das Elend des Menschen, dem Objekt der Ausbeutung, wurde als Basis der zukünftigen Befreiung gesehen. Das Christentum und die revolutionären Bewegungen sind sich darin in der Geschichte einig. Man muss leiden, um ins Paradies zu gelangen oder um sich das Klassenbewusstsein anzueignen, das zur Revolution führt. Ohne eine Ethik der Arbeit hätte die marxistische Vorstellung vom „Proletariat“ keinen Sinn. Die Ethik der Arbeit jedoch ist ein Produkt des bürgerlichen Rationalismus, dasselbe Produkt, das die Eroberung der Macht durch das Bürgertum ermöglicht hat.
Der Korporativismus kommt durch die Maschen des proletarischen Internationalismus wieder zum Vorschein. JedeR kämpft innerhalb des eigenen Sektors, höchstens mit ähnlichen Sektoren anderer Länder werden (über die Gewerkschaften) Kontakte hergestellt. Der Einheitlichkeit der Multinationalen wird dabei die Einheitlichkeit der internationalen Gewerkschaftszentralen entgegengesetzt. Machen wir die Revolution, aber retten wir die Maschinerie, das Arbeitsmittel, das mythische Objekt, das die historische Tugend des Bürgertums reproduziert und nun zum Besitz des Proletariats geworden ist.
Das Erbe der Schicksale der Revolution ist ein Subjekt, das dazu bestimmt ist, KonsumentIn und HauptdarstellerIn des zukünftigen Spektakels des Kapitals zu werden. Die revolutionäre Klasse – idealisiert als EmpfängerIn des Schicksals des Klassenkampfes – verschwindet im Idealismus der Produktion. Wenn die Ausgebeuteten in eine Klasse gezwängt werden, sind schon alle Elemente des illusorischen Spektakels bestätigt, dieselben wie die der bürgerlichen Klasse.
Um dem Globalisierungsprojekt des Kapitals zu entkommen, gibt es für die Ausgebeuteten nur einen Weg: Die Verweigerung der Arbeit, der Produktion und der politischen Wirtschaft.
Aber die Ablehnung der Arbeit darf nicht verwechselt werden mit der Arbeitslosigkeit in einer Gesellschaft, die auf der Arbeit basiert. Die Ausgestossenen suchen Arbeit und finden keine. Es wird ausgegrenzt und kriminalisiert. All das gehört zur komplexen Verwaltung des Produktions-Spektakels. Das Kapital braucht sowohl die Produzierenden, als auch Arbeitslose. Nur ist das Gleichgewicht instabil, Widersprüche explodieren und rufen Krisen unterschiedlichster Art hervor, innerhalb derer der revolutionäre Eingriff stattfindet.
Die Ablehnung der Arbeit, ihre Zerstörung ist die Bestätigung dafür, dass auch Nicht-Arbeitende gebraucht werden. Die Behauptung, dass der Mensch sich über das Nicht-Arbeiten selbst produzieren und objektivieren kann wird bestätigt durch den Antrieb, der aus dem Bedarf an Nicht-Arbeitenden entsteht. Wenn man das Konzept der Zerstörung der Arbeit vom Gesichtspunkt der Ethik der Arbeit aus betrachtet, bleibt man sprachlos. Wie kann das sein? Soviele Menschen suchen Arbeit und sind arbeitslos, und da wird von „Zerstörung der Arbeit“ geredet? Das luddistische Gespenst erscheint, um die „Wir-haben-alle-Klassiker-gelesen-RevolutionärInnen“ zu erschrecken. Das Schema des Frontalangriffs mit allen Kräften auf die kapitalistischen Kräfte muss identisch bleiben. Die Misserfolge und das Leiden der Vergangenheit haben dabei ebensowenig Bedeutung wie Schande oder Verrat. Stattdessen machen wir immer weiter, im Vertrauen darauf, dass eine bessere Zeit kommen wird.
Um das Proletariat zu erschrecken und in die stagnierende Atmosphäre der Klassenorganisationen (Parteien, Gewerkschaften und Rattenschwanzbewegungen) zu schieben, genügt es darzustellen, was durch das Konzept der Freizeit, also der Zeit ohne Arbeit, erstickt wird. Das Spektakel der bürokratischen Freizeitorganisationen wurde geschaffen, um fruchtbare Vorstellungen zu unterdrücken. Diese Vorgehensweise ist jedoch nichts anderes als ein ideologisches Deckmäntelchen, ein Instrument des totalen Krieges, der die Grundlage des gesamten Spektakels darstellt.
Es ist das Bedürfnis nach Kommunismus, das alles verändert. Durch das Bedürfnis nach Kommunismus wird das Bedürfnis nicht zu arbeiten von einem negativen Aspekt (Gegenposition zur Arbeit) zu einem positiven Aspekt: Das Individuum kann vollständig über sich selbst verfügen, sich absolut frei ausdrücken, mit allen Schemata – auch mit denen die fundamental und unauslöschbar erscheinen – brechen, sogar mit dem der Produktion.
Aber RevolutionärInnen sind treue Menschen und haben Angst mit allen Schemata zu brechen, inklusiv das der Revolution , sofern – soweit es sich hier um ein Schema handelt – es ein Hindernis bei der ganzen Verwirklichung darstellt, die dieses Konzept verspricht. Sie haben Angst davor, sich weder hier noch da zu befinden. Habt ihr jemals RevolutionärInnen ohne ein revolutionäres Projekt kennengelernt? Ohne ein klar definiertes Projekt, das den Massen vorgelegt wird? Was für RevolutionärInnen sind es dann, die es wagen, das Schema, die Hülle und das Fundament der Revolution zerstören zu wollen? Die Konzepte von Quantität, Klasse, Projekten, Schemata, der historischen Mission und anderem Gerümpel in Frage zu stellen, bedeutet das Risiko einzugehen, nichts mehr zu tun zu haben und gezwungen zu sein, in Wirklichkeit ebenso gemässigt wie alle anderen zu agieren. So wie es Millionen andere auch machen, die tagtäglich die Revolution bauen, ohne auf das Zeichen des tödlichen Zerfalls zu warten. Und um dies zu tun, braucht man Mut.
Mit Schemata und quantitativen Spielchen liegt man falsch. D. h. man bewegt sich im illusorischen Teil des revolutionären Projekts und ist nur eine Erweiterung des kapitalistischen Spiels. Mit der Abschaffung der Ethik der Produktivität aber begibt man sich direkt in die revolutionäre Realität.
Schon von diesen Dingen zu sprechen ist schwierig, denn es hätte keinen Sinn darüber anhand einer seitenlangen Abhandlung zu reden. Dazu würde nur noch fehlen zu versuchen, diese Probleme auf eine komplette und endgültige Analyse zu reduzieren. Die beste Form wäre ein symphatisches und einfaches Gespräch, dem es gelingt, die subtile Magie der Wortspiele zu verwirklichen.
Ernsthaft über die Freude zu sprechen, ist wirklich ein Widerspruch.
V
Die Sommernächte sind schwer. Man schläft schlecht in den
winzigen Zimmern. Es ist der Vorabend der Guillotine.
Zo d‘Axa
Auch Ausgebeutete finden Zeit zu Spielen. Aber ihr Spiel ist keine Freude, sondern eine makabre Liturgie, ein Warten auf den Tod. Eine arbeitsfreie Zeit, die dazu dient, die Gewalttätigkeit abzubauen, die sich im Laufe der Produktion aufgebaut hat. In der illusorischen Welt der Waren ist auch das Spiel eine Illusion. Man bildet sich ein, zu spielen, stattdessen tut man jedoch nichts anderes als monoton die vom Kapital zugeteilten Rollen zu wiederholen.
Das Erste, was einem in den Sinn kommt, wenn man sich die Ausbeutungsprozesse bewusst macht, ist Rache, erst zuletzt die Freude. Die Befreiung wird als Wiederherstellung des Gleichgewichtes betrachtet, das die kapitalistische Bosheit zerstört hat, und nicht als Teil einer Welt der Spiele mit der man die Arbeitswelt ersetzt.
Das ist die erste Phase eines Angriffes gegen die Herrschenden, eine Phase gegenwärtigen Bewusstseins. Was uns trifft, sind die Ketten, Peitsche, Gefängnismauern, die sexuellen und rassistischen Barrieren. All das muss weg. Deshalb bewaffnen wir uns und zielen auf die GegnerInnen, auf die Verantwortlichen.
In der Nacht der Guillotine wird die Grundlage eines neuen Spektakels geschaffen. Das Kapital baut seine Kräfte wieder auf, indem zuerst die Köpfe der Herrschenden rollen, dann die der RevolutionärInnen.
Eine Revolution kann man nicht nur mit der Guillotine machen. Die Rachsucht ist das Vorzimmer der Führung und wer sich rächen will, braucht eine Chefin. Jemanden, der die Leute zum Sieg führt und der die verletzte Gerechtigkeit wiederherstellt. Und wer sich rächen will neigt auch dazu, auf etwas neidisch zu sein, was ihm weggenommen wurde. Ganz abstrakt bedeutet das die Enteignung des Profites.
Die Welt der Zukunft muss eine Welt sein, in der alle arbeiten. Na prima! Auf diese Weise werden wir allen die Sklaverei auferlegt haben, diejenigen ausgenommen, die dafür sorgen, dass das neue Sklaventum weiter funktioniert, also die neuen Herrschenden.
Wie auch immer, die Herrschenden müssen für ihre Schuld bezahlen. Na toll! So werden wir also auch die christliche Ethik der Sünde, der Verdammung und der Busse in die Revolution getragen haben. Ganz abgesehen von Konzepten wie „Schuld“ und „bezahlen“, die offensichtlich geschäftlichen Ursprung haben.
All dies ist Teil des Spektakels. Wenn es nicht direkt von den Mächtigen gesteuert wird, kann es doch ganz einfach wieder übernommen werden. Eine Umkehrung der vorgeführten Rollen ist Teil der dramaturgischen Techniken.
Auf einer bestimmten Ebene des Klassenkampfes können die Waffen der Rache und Bestrafung unentbehrlich sein. Unter Umständen hat die Bewegung keine anderen Waffen. Da ist er schliesslich: Der Moment der Guillotine. Doch die RevolutionärInnen müssen sich der Grenzen dieser Waffen bewusst sein. Sie können weder sich selbst noch anderen Illusionen machen.
Im paranoiden Bild einer rationalisierenden Maschinerie, wie das Kapitals eine ist, kann auch das Konzept einer Revolution der Rache Teil einer kontinuierlichen Veränderung des Spektakels werden. Die oberflächliche Bewegung der Produktion entwickelt sich mit dem Segen der Wirtschaftswissenschaften, doch in Wirklichkeit beruht sie auf der illusorischen Anthropologie der Arbeitsteilung.
Die Arbeit macht keine Freude, nicht einmal die selbstverwaltete. Die Revolution kann sich nicht darauf beschränken, die Organisation der Arbeit zu verändern. Jedenfalls nicht ausschliesslich.
Auch Aufopferung, Tod und Rachsucht bringen keine Freude. Ebenso wie es keine Freude macht, sich zu zählen, denn die Arithmetik ist die Negation der Freude.
Wer leben will, produziert nicht den Tod. Die vorläufige Aktzeptanz der Guillotine führt zu ihrer Institutionalisierung. Gleichzeitig aber umarmt jemand, der das Leben liebt, nicht seine AusbeuterInnen, andernfalls müsste diese Person das Leben hassen und stattdessen Aufopferung, Selbstbestrafung, Arbeit und Tod lieben.
Jahrhunderte der Ausbeutung haben auf dem Friedhof der Arbeit einen Berg von Rachgefühlen angestaut. Unerschütterlich sitzen die Häupter der Revolution auf diesem Berg und studieren den besten Weg ihn zu nutzen. Der Ansporn durch rachsüchtige Gewalt muss gegen die Interessen der neuen Klasse der Mächtigen gerichtet werden. Symbole und Fahnen. Slogans und komplizierte Analysen. Der ideologische Apparat stellt sich zur Verfügung, um das zu tun, was nötig ist.
Die Ethik der Arbeit macht die Instrumentalisierung erst möglich. Wer die Arbeit liebt, will sich die Produktionsmittel aneignen, er will nicht dass man blind voranschreitet. Aus Erfahrung weiss man, dass die Herrschenden eine starke Organisation auf ihrer Seite hatten, um die Ausbeutung zu ermöglichen. Man glaubt, dass nur eine ebenso starke und perfekte Organisation die Befreiung möglich macht. Man sollte alles nur Mögliche unternehmen, Hauptsache das produktive Wachstum wird gerettet.
Was für ein riesiger Betrug. Die Ethik der Arbeit entspricht der christlichen Ethik des Opfers, der Ethik der Herrschenden, auf deren Grundlage sich die Gemetzel der Geschichte mit besorgniserregender Methodik wiederholen.
Diese Leute können sich nicht vorstellen, dass man nicht auf Profit aus sein könnte, und auch wenn man die Möglichkeit dazu hat, sich einfach weigern kann diesen zu produzieren. Sie können nicht glauben, dass man einen nicht-produktiven Willen gegen die Arbeit behaupten kann, der fähig ist, nicht nur gegen die wirtschaftlichen Strukturen der Herrschenden zu kämpfen, sondern auch gegen die ideologischen, die das gesamte westliche Denken durchziehen.
Dabei ist es unverzichtbar, zu verstehen, dass die Ethik der Arbeit auch die Basis des quantitativen revolutionären Projektes darstellt. Eine Diskussion gegen die Arbeit hätte keinen Sinn, wenn revolutionäre Organisationen diese innerhalb ihrer Logik des quantitativen Wachstums führen würden.
Die Ethik der Arbeit, wenn man sie gegen die Ästhetik der Freude austauscht, verhindert nicht das Leben, wie einige besorgte GenossInnen behaupten. Auf die Frage: Was werden wir essen? kann ganz ruhig geantwortet werden: Das, was wir produzieren. Nur dass die Produktion nicht mehr die Dimension sein wird, in der sich der Mensch selbstbestimmt, sondern stattdessen in die Sphäre des Spiels und der Freude. Es wird produziert werden, aber nicht wie etwas, das mit der Natur nichts zu tun hat und einmal verwirklicht, sich wieder mit dieser vereinigt, sondern wie etwas, das die Natur selbst ist. Daher wird die Produktion jederzeit gestoppt werden können, wenn genug produziert wurde. Nur die Freude wird unaufhörlich sein. Eine unbekannte Kraft, die den Gespenstern der Zivilisation, die unsere Epoche bevölkern, unbekannt ist und die den kreativen Impuls der Revolution vertausendfachen wird.
Der soziale Reichtum der kommunistischen Welt bemisst sich nicht an der Anhäufung des Profites, auch wenn dieser von einer Minderheit verwaltet wird, die sich Partei des Proletariats nennt. Diese Situation reproduziert die Macht und negiert die Fundamente der Anarchie. Der soziale Reichtum des Kommunismus besteht in der Leistungsfähigkeit des Lebens, das nach der Revolution verwirklicht wird. Der kapitalistischen Anhäufung, darf nicht eine quantitative Anhäufung (auch wenn sie von einer Partei verwaltet wird) entgegengesetzt werden, sondern eine qualitative. Die Revolution des Lebens ersetzt die einfache ökonomische Revolution, ebenso wie die produktive Leistung die kristallisierte Produktion und die Freude das Spektakel.
Die Negation des Marktes des Spektakels der kapitalistischen Illusion sieht eine andere Art des Tausches vor: Vom vorgetäuschten quantitativen Tausch zum realen, quantitativen. Dieser wird nicht mehr auf den Objekten basieren, und somit auf ihrer illusorischen Verdinglichung, sondern auf dem Sinn, den die Dinge für das Leben haben. Und ein Sinn „für das Leben“ muss ein Sinn des Lebens und nicht ein Sinn des Todes sein. Daher werden diese Objekte auf den bestimmten Moment begrenzt, in welchem der Tausch stattfindet und sie werden immer eine andere Bedeutung haben, festgelegt von den Situationen, die den Tausch bestimmen.
Ein und derselbe Gegenstand kann dabei ganz unterschiedliche „Werte“ haben. Er wird personifiziert. Er wird der Produktion, wie wir sie in der Dimension des Kapitals kennen, entfremdet. Derselbe Tausch bekommt einen Sinn, wenn er als Ablehnung der unbegrenzten Produktion betrachtet wird.
Eine befreite Arbeit existiert nicht, ebensowenig wie vervollständigte Arbeit (Handarbeit oder Kopfarbeit). Aber die Arbeitsteilung und den Verkauf der Arbeitskraft gibt es, also die kapitalistische Produktionswelt. Die Revolution wird immer und ausschliesslich die Negation der Arbeit und die Bejahung der Freude sein. Jeder Versuch zu behaupten, dass eine Arbeit „nur Arbeit“ sein kann, ohne Ausbeutung, eine Arbeit „selbstverwaltet“ ist, die Ausgebeuteten sich bei einer Arbeit die Ganzheit des Produktionsprozesses wieder aneignen können, ist eine Mystifizierung.
Das Konzept der selbstverwalteten Produktion bleibt als Kampfschema gegen das Kapital gültig und kann in der Tat nicht vom Konzept der Selbstverwaltung des Kampfes getrennt werden. Ist der Kampf vorbei, dann wird die Selbstverwaltung zu nichts anderem, als zur Selbstverwaltung der eigenen Ausbeutung. Wird der Kampf erfolgreich verwirklicht, wird die Selbstverwaltung der Produktion überflüssig, denn nach der Revolution ist die Organisation der Produktion überflüssig und konterrevolutionär.