Flyer: „Das Wichtige ist nicht, zu wissen, woher man kam, sondern, zu entscheiden, wohin man geht“

[Übersetzung eines im Dezember in den Strassen von Paris verteilten Flyers]

ouonva

Das wichtige ist nicht, zu wissen,
woher man kam, sondern zu entscheiden,
wohin man geht

„Die Wurzeln sind eine romantische Kaschierung, um auf schöne Weise zu sagen, dass man den industriellen Migrationsströmen gefolgt ist wie die Möven dem Fischer… um die Reste zusammenzupicken. Nun, heute ist es in Mode hier und dort Wurzeln zu haben. Was für ein Müll! Das nagelt uns an den Boden, hindert uns daran, voranzuschreiten. Die Wurzeln sind gut für die Erledigten!“

Sprechen wir etwas von uns selbst, von uns, den Menschen. Man hat uns in Schachteln eingeordnet die ebenso Käfige sind, falls wir es nicht selbst getan haben, man hat uns aufgrund von Kriterien separiert, die nicht die unsrigen waren, und in Abhängigkeit von Gründen und Identitäten, die noch nie die unsrigen gewesen sind. Man hat uns aufgegliedert, klassifiziert, man hat das, was einfache Beziehungen unter Menschen sein könnten in verschlungene Labyrinthe verwandelt, übersäht mit imaginären Trennungen, die von einer Armada von Gesetzen realisiert und erhalten werden, ob diese nun in den strafgesetzlichen Codes oder in den sozialen, moralischen oder traditionellen Codes eingeschrieben stehen. Doch was unterscheidet uns im Grunde wirklich?

Was uns trennt sowie verbindet, was uns wirklich voneinander unterscheidet, das ist die Gesamtheit der Entscheidungen, die aus einem jeden das macht, was er wirklich ist, und nicht die verschiedenen, bei unserer Geburt nach der Hautfarbe, dem sozialen Milieue oder der Herkunft von den Anderen auf unsere Rücken geklebten Etiketten, all dies mit dem Zweck, uns zu vereinheitlichen, uns zu integrieren, uns zu formatieren, uns zu domestizieren und uns zu unterwerfen. Es ist, weil wir jeglichen Begriff einer „menschlichen Natur“ zurückweisen, oder jede historische Notwendigkeit, und weil wir denken, dass das Individuum nichts anderes ist, als die Summe seiner Entscheidungen, seiner Verlangen und seiner Träume, dass wir nicht mit den Bedingungen solidarisch sind, die den Unterdrücktesten gemacht werden, sondern mit der Tatkräftigkeit und den Perspektiven, mit denen sie sich ihrer Unterdrückung widersetzen und sie bekämpfen.

Wir erkennen den Status des „Opfers“ nicht an, diese neue von der Justiz und der Norm gebildete Kategorie, die den Staat und die barmherzigen Humanitären als einzige Abhilfe hinstellt. Ebenso erkennen wir keine Allgemeinheit an, die sich über die Individuen stellt, noch die kollektive Verantwortlichkeit, die sich von ihr ableitet. Beispielsweise jene aller „Weissen“ gegenüber allen „Schwarzen“ bezüglich des Sklavenhandels, aller „Männer“ gegenüber allen „Frauen“ bezüglich des Patriarchats, aller „Heterosexuellen“ gegenüber allen „Homosexuellen“ für die Homophobie, aller „Deutschen“ gegenüber allen „Juden“ für den Nazismus oder aller „Juden“ gegenüber“ allen „Arabern“ für die vom israelischen Staat begangenen Massaker im Nahen Osten. Sich als „Opfer“ oder „Peiniger“ anzuerkennen für Akte, die man nicht an sich selbst erfuhr oder man nicht selbst beging, bedeutet, in irgendeiner Weise die Kategorien anzuerkennen, die schon immer nur dazu dienten, das Individuum etwas höherem unterzuordnen, es im Namen einer übergeordneten Sache aufzuopfern, Armeen für Kriege unter Staaten zu rekrutieren. Als Antimilitaristen, beispielsweise, sind wir nicht im Namen eines imaginären, vereinigten und homogenen „Volks von Frankreich“ für die vom französischen Staat in Afghanistan begangenen Massaker verantwortlich. Aus dem selben Grund weisen wir Parolen wie „Wir sind alle deutsche Juden“, „Wir sind alles Palestinenser“ zurück. So ist die einzige Verantwortlichkeit, die wir anerkennen die unsrige, denn wir tragen die Verantwortung über unsere Handlungen selbst.

Es schickt sich heute an, seine Wurzeln zu finden, sich Fragen über seine Herkunft zu stellen, ins Kaff Energie tanken zu gehen; Nachforschungen über seinen Stammbaum zu beantragen, „roots“ zu sein, als ob der Boden oder das Blut irgendeine Antwort auf unsere Verlangen nach Freiheit geben könnten; als ob das Heruntermachen anderer „Identitäten“ das Mittel wäre, seine eigenen Leiden zu mildern. Jeder hat seine kleine, mit jener der anderen in Konkurrenz zu stellende Indentität, jeder hat seinen kleinen faden, hervorzuhebenden Stolz, jeder macht aus seiner Kleinlichkeit eine Stärke, auf dass alle in der selben scheisse Leben und dass all diese Trennungen und falschen Oppositionen dem Spiel der Macht folgen.

Hingegen treffen täglich Individuen die Entscheidung zu revoltieren, in den Gefängnissen, den Ausschaffungszentren, den Schulen, auf Familie und Traditionen, Armeen, Grenzen und Nationen scheissend. Jeder Liebhaber der Freiheit wartet nur darauf, auf andere zu treffen, um letztendlich alle sozialen Rollen und Kategorien zu zerstören, die sie daran hindern, sich zu finden und schliesslich das auszuleben, was noch nie gelebt wurde, sich von allen Wurzeln lostrennend, die uns noch immer mit dieser Welt der Herrschaft verbinden.

Greiffen wir all das an, was uns von unserer Freiheit abbringt.

Anarchisten

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