sozialen Hierarchie in den Raum. »
Anmerkungen gegen den Urbanismus, S.I. nr. 6
Die lange Dauer der ersten Periode, jene der urbanen Konterrevolution, verweist darauf, dass die Umwandlung des Raumes in Kapital und das anschliessende Aufkommen des Grund- und Wohnungsmarktes ein langsamer Prozess war. Dessen destruktive Auswirkungen wurden, in Anbetracht des vorwiegend agraren Charakters der spanischen Bourgeoisie und des Widerstands der Bauern gegen die Proletarisierung, durch das späte Auftauchen der Fabriken gemildert. Bis 1848 verstanden sich die Städte als befestigte Kerne. Von da an sind Anordnungen über die Ausrichtung der Strassen erlassen worden. Die territoriale Aufteilung in Gemeinden und das Verlegen von gepflasterten Strassen liessen die Städte wieder aufleben, die zu Hauptstädten wurden, und die Desamortisation der kirchlichen Grundgüter machte ausreichend Terrain frei, damit die Stadt anwachsen konnte, ohne ihre Grenzen zu überschreiten, abgesehen von den dynamischeren Fällen wie Barcelona und Madrid. Hier tauchen zum ersten Mal die Stadterweiterungen [los ensanches] auf, die Aufteilung des Bodens in ein Liniengitter, das weder Grenzen noch Zentrum hat. Das schachbrettartige Strassennetz ist die dem Kapital am besten angepasste Form; unabhängig vom sozialen Nutzen oder Bedürfnis, erzielte man mit den Vier- oder Achteckigen Parzellen einen maximalen Profit und machte aus der Urbanisierung gleichzeitig einen endlosen, zur unbegrenzten Ausdehnung der Stadt anregenden Prozess. Die Stadterweiterung, durch grosse Wege und Wehrgänge mit der Stadt verbunden, widerspiegelt die Allianz zwischen Geometrie und Geld, indem es die Stadt zum urbanen Abbild des Kapitalismus machte. Die Stadterweiterungen waren die ersten, spezifisch bourgeoisen Wohnquartiere. Sie verbildlichten die ersten Auswirkungen der urbanistischen Konterrevolution, das heisst, zuerst die Umwandlung eines Stadtteils in einen Raum, in dem sich die menschlichen Beziehungen auf ein Minimum reduzieren; dann die Aufteilung der Stadt in unterschiedliche Viertel, gemäss den Aktivitäten oder dem wirtschaftlichen Niveau seiner Bewohner: die Zonifizierung. Die Nachbarschaft ist keine Tugend für den klassifizierenden Gebrauch des Raumes. Die Klassen wurden oft durch breite Alleen oder gerade Strassen getrennt, die als Abgrenzung und im Falle eines Aufstands zugleich als Einfallsweg für die Ordnungskräfte dienen. Die ersten Stadtplanungsversuche wurden unternommen, um die Volksaufstände zu kontrollieren. Folglich wurde der Urbanismus als Kontrollinstrument geboren, das ebenso die bourgeoise Ordnung sicherte, wie die Gefängnisse, das Strafgesetzbuch und vor allem die Polizei, ein Körper, der zur selben Zeit auftauchte und sich nach Bezirken organisierte, das heisst, sich zonifizierte.
Die Stadterweiterung fand ihr Gegenstück in den Elendsvierteln, der extremen Abwertung des Quartiers und des Wohnens. In einer ersten Phase verpflichtete das Vorhandensein der Stadtmauern zu einem vertikalen Anwachsen der Stadt und zu einer Einteilung der Häuser auf kleinst möglichem Raum, der nur schlecht mit Wasser versorgt und ohne Kanalisation war. Die Mietshäuser, in denen sich die armen, auf der Suche nach Arbeit in die Stadt strömenden Tagelöhner zusammenpferchten, sind eine weitere bourgeoise Erfindung. Den Stadtmauern, deren defensive Funktion mit der Entwicklung der Artillerie überholt worden war, kam nun eine Funktion zur Eindämmung und Erhaltung der Armut durch die gnadenlose ökonomische Ausbeutung des Raumes zu. Deshalb wurde ihre Zerstörung als ein Akt der Befreiung betrachtet. Mit der Erschaffung von bourgeoisen Quartieren hatte der Urbanismus gleichzeitig auch Arbeiterquartiere geschaffen; indem er das Elend abschob, hat er es sichtbar gemacht; indem er es konzentrierte, hat er es gefährlich gemacht und die Notwendigkeit einer Macht befürwortet, die fähig ist, es in Schach zu halten und von der Strasse zu jagen. Dies war die Aufgabe des Verkehrs. Die Bewegung der Fahrzeuge weitete sich aus, um die Bewegung der abgeschobenen Klassen zu erschweren, um die Strasse als Begegnungsort, als Raum für Kommunikation und Zeitvertreib zu beseitigen.
Wenn die Segregation eine der Charakteristiken des entstehenden Urbanismus ist, dann ist die Dominanz des Verkehrs, des Privatfahrzeugs als Symbol der Dominanz des individuellen Interesses die andere. Durch die Mobilität wurde das Individuum des städtischen Raumes beraubt. Die Stadt opferte sich dem Verkehr. Das urbane Leben entstellend, schaffte der Verkehr die Strasse für den Bewohner ab. Die Ringstrassen, die Avenues und Boulevards verbanden die Stadt mit der Aussenwelt, sie waren gleichzeitig ein möglichst direkter Ausfallsweg für die Handelsware und Einfallsweg für die Ordnungskräfte. Wie Ildefonso Cerdá, der erste theoretische Urbanist sagte, « Die Strassen als Verkehrselemente, breite Kanäle für die reinigenden Winde und strategische Mittel zur Bewahrung der öffentlichen Ordnung, werden gerade und so lang wie möglich sein » (Juicio Crítico del Informe del Jurado). Die Ringstrasse, oder die grosse Avenue, die alten Wege überlagernd, führte in die Vorstadt, den Vorposten der Urbanisierung, die Frucht des Überschusses der ökonomischen Dynamik der Stadt. Diese teilte sich nun in Zentrum und Peripherie auf. Man könnte sagen, die Vorstadt lies das Konzept eines Stadtkerns, das heisst, eines Zentrums entstehen. Durch das Aufkommen des Zuges wurde dieser Prozess beschleunigt. Die Eisenbahn war der Hauptgrund für das territoriale Chaos: Sie platzierte und löschte unzählige kleine Städte und Dörfer auf der Landkarte, indem sie den einen einen ruhigen Zerfall gewährte und die anderen zu einer schändlichen Expansion verurteilte. Der Bahnhof war die Pforte, durch welche die Industrie wirklich in die Städte eindrang. Wie auch das neue Proletariat: zwischen 1900 und 1940 verliessen drei Millionen Menschen das Land, um innere Migranten zu werden.
Der Exkurs des [spanischen] Bürgerkriegs markierte einen Wendepunkt im urbanistischen Programm. Die Barrikaden vom 19. Juli waren die einzige urbane Revolution, die dieses Land gekannt hat. Die libertäre Kritik konnte ein paar revolutionäre Vorschläge vorbringen, wie die Aufhebung des städtischen Eigentums und die Vergemeinschaftlichung des Wohnraums und Bodens, doch die Niederlage verwarf alle emanzipatorischen Massnahmen. Von da an, in den Händen des Staates, wurde der Urbanismus terroristisch und vervielfachte die Zerstörung. Der Urbanismus wurde zu einer Waffe des Staates. Das urbane Chaos wurde zum “erbaulichsten“ Aspekt der repressiven Ordnung der Überentwicklungsphase (1950-1985). Der Franquismus, die politische Form, die einen Grossteil dieser Phase beherrschte, war eine industrialisierende und bauende Diktatur, eine urbanistische Diktatur.
Die heutige Morphologie der spanischen Städte ist das Werk der Überentwicklungspolitik der Diktatur und später der sogenannten demokratischen Übergangsphase. Der gegenwärtige Stadtgrundriss hat sich von den fünfziger Jahren an mit dem Wiederaufbau der Nachkriegszeit, der Entleerung der traditionellen Stadt, dem industriellen Wachstum und der massenhaften Emigration von Bauern und Tagelöhnern Stück für Stück herausgebildet. 70% der Gebäude sind von diesen Jahren an gebaut worden. Die grossen Bauunternehmen bekamen während der sechziger Jahre dank der grossen Nachfrage nach billigem Wohnraum Aufschwung. Zwischen 1962 und 1972 absorbierte der Wohnungsbau 50.2% vom Brutto des fixen Kapitals, ein Geschäft, an dem sich die Banken umfassend beteiligten (das Finanzkapital machte in diesen Jahren einen spektakulären Sprung und übernahm die Vormachtsstellung). Die aufkommende Mechanisierung der Landwirtschaft, die Ausweitung des Fabrikensystems und das Auftauchen des Tourismus entsendeten Millionen von Menschen in die Stadt, wodurch die soziale Struktur der Arbeiterklasse tiefgehend verändert wurde. Sie wurde an der Peripherie angesiedelt, erst in Baracken, dann in Sozialwohnungen, die zunächst auf isolierten Parzellen entlang der grossen Strassen oder in der Nähe der Industrien, und später in Gewerbezonen und Trabantensiedlungen gebaut wurden. Dies war die Negation der Stadt als Herd des sozialen Lebens, die völlige Entwurzelung, die Vernichtung selbst des Raumes, in dem das Individuum seine historische Situation erkannte.
Die Gegenüberstellung Zentrum-Peripherie und die Zonifizierung wurden bis zum äussersten vorangetrieben. Rund um ein administratives Zentrum, voll mit Bürogebäuden und offiziellen Sitzen, errichtet nach dem Kanon der faschistischen Architektur, verteilen sich Wohnzonen, Schlafquartiere, Genossenschaftshäuser, Einkaufsstrassen, Industriezonen, Unterkünfte für Funktionäre oder Soldaten, etc. Der Wohnungs- und Strassenbau setzte sich über die Planung hinweg, zu der sie durch ein Bodengesetz verpflichtet war, das niemals angewendet wurde. Die Spekulation legte die Grundrisse der Stadt fest. Das Resultat war eine wild urbanisierte, chaotische, fragmentierte, unterbrochene Stadt, in der die Immobieninteressen herrschten. Abgesehen von der Tatsache, dass man bereits während der Diktatur von Primo di Rivera und zu Zeiten der Republik billige Arbeiterhäuser baute, trifft das folgende Zitat von Debord auf diese Zeit vollkommen zu: « Zum ersten Mal ist eine neue Architektur, die in jeder früheren Epoche der Befriedigung der herrschenden Klassen vorbehalten war, direkt den Armen zugedacht. Das formale Elend und die riesenhafte Ausdehnung dieser neuen Wohnungserfahrung sind die Folge ihres Massencharakters, den sowohl ihre Bestimmung als auch die modernen Konstruktionsbedingungen einschließen. » (Die Gesellschaft des Spektakels). Die Richtlinie der Wohnblöcke war ein Maximum an Personen auf einem Minimum an Raum. Die Gruppen von Blöcken und Lagerhallen mitten im Niemandsland wurden zum Hauptelement der städtischen Landschaft. Kalte Formen ohne Identität, ohne Referenzen, ohne irgendeine Möglichkeit von gemeinschaftlichem Leben, eingeklemmt zwischen vierspurigen Strassen und Ringstrassen, in denen sich ein Proletariat ohne Geschichte heranbildet, vermasst, mit einem epithelen Klassenbewusstsein, allzu empfänglich für den Einfluss von “Arbeiterpriestern“ und vertikalen “Führern“, falls es nicht bereits dem Fussball und dem Auto zum Opfer fiel, ebenso Schwach gegenüber dem Konsum wie gegenüber dem demagogischen Diskurs des integrierenden Syndikalismus. Das Fernsehen und der katholische und stalinistische Aktivismus krochen aus demselben Nest.
Die Quartiersbewegungen erschienen gegen Ende der sechziger Jahre als Antwort auf die Zusammenpferchung und Verwahrlosung seitens der “Autoritäten“. Es war eine gemässigte Bewegung, zentriert um die Forderung nach Basisdienstleistungen und Grünflächen, die das Überentwicklungsmodell nie in Frage stellte und viel weniger noch eine Alternative erarbeitete. Alle Leiden schienen durch Schulen, Kanalisationen, Beleuchtungen, Kinderkrippen, Asphalt, Autobusse, Spitäler, etc. geheilt werden zu können. Und wenn diese wirklichen Alltagsprobleme, ohne gelöst worden zu sein, politisch wurden, ordnete man die grundsätzlicheren Kritiken einer Änderung der Regierungsform unter. Ein Aufschieben, an dem die Führer der Quartiersvereinigungen nicht unbeteiligt waren. Die Wohnfrage wurde von der sozialen Frage losgetrennt und suchte Lösungen in der politischen Feilscherei. Somit mündete der Kampf um Bewohnbarkeit (um Lebensqualität) nicht in einem Projekt der Rückeroberung der Stadt. Diese Selbsteinschränkung war fatal für die Bewegung, die die Gelegenheit verpasste, in jenem Moment eine historische Rolle zu spielen, in dem die Quartiersversammlungen zahlreich waren, und von 1976 an zu einem blossen Anhang der Gemeinderäte wurde.
Eine der Konsquenzen der Aufsplittung der Städte, der radikalen Trennung zwischen Arbeits- und Wohnort, zwischen Verwaltungs-/Handelszentrum und bewohnter Peripherie, war ein rasender Verkehr zwischen dem Stadtkern und der suburbanen Zone, der von den öffentlichen Transporten nicht abgedeckt werden konnte. Die Lösung äussert sich in einer noch grösseren Verkünstlichung des menschlichen Lebens: Ab den sechziger Jahren tauchte das Auto auf und verwandelte die Städte in ein Krebsgeschwür. Der Lärm, die Luftverschmutzung und die Abfälle verschlimmerten das Übel. Nach und nach füllten sich die Strassen mit Fahrzeugen und innert kürzester Zeit wurden sie zu gigantischen Parkplätzen (Barcelona ging zwischen 1950 und 1960 von 25‘000 zu einer halben Million Fahrzeuge über). Die Schnellstrassen wurden also zur massgebenden Kraft der Gestaltung des Territoriums. Die Worte, mit denen der Avantgardeurbanist Le Corbusier 1925 das Aufkommen der Epoche der “Wohnmaschinen“ ankündigte wirken unheimlich: « Die Stadt der Geschwindigkeit ist die Stadt des Erfolges » (Urbanisme). Die Stadt verlor ihre Grenzen und entleerte weiterhin ihre historischen Quartiere (in den achtziger Jahren lebten nur 10 bis 18% der städtischen Bevölkerung in der Altstadt). Die “Charta von Athen“, ein kapitalistisches Programm zur Stadtentwicklung, besagt, dass « die Grenze der Agglomeration von ihrem ökonomischen Handlungsraum abhängen wird ». In dreissig Jahren werden die Städte in vulgäre Agglomerationen transformiert worden sein. Die arme Bevölkerung wird weiterhin mittels Umgehungs-, Entlastungs-, Ring- und Schnellstrassen an den Rand getrieben werden. Das jahrhundertealte Gleichgewicht zwischen Stadt und Land wurde endgültig ruiniert. Die Plage der privaten Motorisierung war nicht nur das Instrument, das die Proletarisierung der Arbeiter beendete, deren Lebensweise sich nach dem Auto richtete, sondern auch der Hauptgrund für die Zerstörung der ruralen und natürlichen Umgebung um die Städte herum, indem sie zur Ausbreitung beitrug, die massenhafte Frequentierung der Metropole – die immer unerträglicher wurde – vereinfachte, und diese mit den Zweitresidenzen und Appartementen and der Küste verband. Leider charakterisierte sich die Stadt erneut als Schlag gegen die Natur. Das Auto brachte die Verschwendung von Raum und die totale Zerstörung der Stadt als Ort nach menschlichen Dimensionen mit sich. Dies war einer der ursprünglichen Faktoren des Auftauchens der Massengesellschaft, unter Masse jene breite, neutrale Bevölkerungsschicht verstehend, die von der Unfähigkeit gezeichnet ist, ein Bewusstsein für gemeinschaftliche Interessen zu entwickeln.
Der Konzentrations-Urbanismus, der nun ablöste, wies auf das Entstehen neuer Machtstrukturen und eines neuen Gesellschaftstyps hin. Die herrschende Klasse, eine nationale Unternehmerbourgeoisie unter der Vormundschaft einer Militärdiktatur, entwickelte sich zu einem politisch-finanziellen Konglomerat, das mit den internationalen ökonomischen Flüssen in Verbindung stand. All die destruktiven Merkmale der Überentwicklungspolitik wurden zum äussersten getrieben: Segregation, Motorisierung, Vertikalisierung, soziale Kontrolle, Formlosigkeit, Auflösung der Stadtgrenzen, etc.; die Stadt war mehr denn je eine Machtkonzentration und ein Instrument zur Kapitalakkumulation. Der totalitäre Charakter der neuen Klassenmacht liess sich in ihrem Willen spüren, vor der Standardisierung und Spekulation, das heisst, vor der verselbstständigten Ökonomie nichts in Schutz zu nehmen, nicht das geringste Stück Territorium, nicht den geringsten Aspekt des Lebens der Einwohner, ein Leben ohne Beziehungen, das sich grösstenteils im Innern eines Autos oder vor einem Bildschirm abspielt: « das tägliche Leben wird sich nach den Anforderungen der Maschine richten » (Lewis Mumford, The City in History). Was diesen Urbanismus vom Überentwicklungsurbanismus unterscheidet, ist, mehr noch als der Griff zum Spektakel, der Wille zur Ordnung; das Chaos entmenschlicht zufällig, doch niemand entgeht der Planung. Damit die Stadt zu einem Raum grenzenloser Ökonomie wurde, musste das Recht auf Urbanisierung das Recht auf Eigentum überwiegen (siehe das Gesetz “Régimen del Suelo y Valoraciones“ von 1998) und die Überwachungs- und Kontrolltechniken mussten erst mittels Vorwänden wie die Olympischen Spiele oder die Expo 1 unvorstellbare Ebenen erreichen. Diese Ereignisse waren grosse Polizeioperationen. Von nun an konnte kein einziges Quartier und keine Siedlung von sich behaupten, eine abgesonderte urbane Erscheinung zu sein, die ausserhalb der Interessen stehe, die den Rest der Stadt zerstörten, nicht mehr als keine Demonstration sich durch die Gerechtfertigtkeit ihrer Sache geschützt fühlen konnte. Die Einwohner der valenzianischen Gemeinde La Punta, Opfer der Hafenlogistik, und jene des Viertels El Cabanyal, über denen ein Damoklesschwert in Form einer Autobahn hängt, wissen das mittlerweile sehr gut. Die Politik eines reinen Tisch Machens mit dem Territorium und einer Nulltoleranz gegenüber den Protesten bereitete die neue Kunst des Regierens vor. Das urbane Milieu konsumierte seine Zerstörung und beseitigte ein für alle Mal die Gegenüberstellung Stadt-Land, während es die Aussenquartiere zerfallen liess und die ländliche Welt in einem willkürlichen Gemisch von städtischen und in Zersetzung befindlichen, landwirtschaftlichen Elementen auflöste. Wenn die Stadt in der Zeit der Überentwicklungspolitik ein Abszess war, dann ist ihr Nachfolger ein Gefängnis.
Die letzte Phase des Überentwicklungsurbanismus zwischen 1975 und 1985 fand “demokratisch“ statt, mit dem Boom der Suburbanisierung und der industriellen Krise. Dies war die letzte Periode des Klassenkampfes und die der Vereinigung der politischen Interessen mit jenen des Bausektors, die Periode der Korruption, die die Parteien finanzierte und die Führer bereicherte. Von 1979 an, dem Jahr der Gemeindewahlen, haben sich die Parteien bemüht, die Quartiersbewegungen aufzulösen und das, was davon übrigblieb, war nicht einmal mehr der Schatten von ihr. Die lokalen Verwaltungen und die der autonomen Provinzen hatten den Grundmarkt entdeckt und nutzten ihn in Übereinstimmung mit den Spekulanten, um sich zu finanzieren; so vollendeten sie das Werk der Überentwicklungsphase. Aus diesem Grund kamen die Allgemeinen Pläne zur Städtischen Einrichtung der sogenannten demokratischen Gemeinderäte erst spät auf und beschränkten sie sich darauf, den Schwächen abzuhelfen, Anschlüsse zu verbessern und Parkplätze zu bauen (was zu der Zeit “urbanismo de zurcidora“ [“Patchwork-Urbanismus“] genannt wurde). Die neue herrschende Klasse verfestigte sich in Spanien eher durch Immobilienspekulation und politische Korruption, als durch Börsenspekulationen. 1989 stieg der Wohnungspreis abrupt um 25.7% an. Seitdem haben sich die Preise versechsfacht, der Anstieg ist an der Küste und in den Hauptstädten am grössten. Es erstaunt auch nicht, dass beispielsweise der städtische Boden von Pays Valencien während den letzten zehn Jahren um 60% anwuchs, vor allem jener von Zweitresidenzen, Golfplätzen, Nationalstrassen und Autobahnen, Jachthäfen, grossen Flächen und Mülldeponien; die Nachhaltigkeit des von den Herrschenden geförderten Lebensstils deutlich aufzeigend.
Die neuen Technologien ermöglichten die Globalisierung und die Auflösung der alten Arbeiterklasse; die Formation neuer Eliten fand nach ihrem Niedergang statt. Ihre Erkennungsmerkmale sind der Computer, das Mobiltelefon und die Hast. Geboren durch die Fusion von Verwaltung, Politik und Finanzwesen verlangten sie nach einem neuen Städtemodell, leer, mechanisch, uniformisiert, sich vom urbanen Gebiet ernährend. Eine Parasitenstadt, ohne Arbeiter; eine Tiranopolis mit einem zum Museum gemachten Zentrum und festivalisierten öffentlichen Räumen, mit “Öffnungen zum Meer“, technologischen Fetischismen, Hochgeschwindigkeitszügen, gigantischen Türmen, Megahäfen und Flughäfen. Eine Stadt mit fügsamen Bewohnern, deren politisch-finanzieller Gipfel hinter neuen Zentralzonen verhüllt bleibt, das heisst, hinter grossen Handelszentren, den Kathedralen des Konsums, die das Quartierleben neu ordnen. Eine Stadt von Autofahrern, Geschäftsmännern, Käufern und Pensionierten, in der sich jeder Bewohner als Besucher, Kunde oder Passant zu fühlen hat. Ein Stadtbild, das sich als Ware anbietet, das sich bemüht, Touristen anzuziehen, Kapital zu ergattern und Yuppies zu verführen (Barcelona ging zwischen 1990 und 2000 von 2.5 Millionen zu 8 Millionen Hotelübernächtigungen über). Kurzum, eine Stadt so wie wir sie heute kennen. Eine Stadt von Führungspersonal in ständiger Bewegung, denn eines der Merkmale der Mitglieder der neuen Klasse ist, dass sie nur an ihrer Stelle sind, wenn sie zirkulieren. Eine Stadt also, deren grosse Infrastrukturen das letzte Wort haben: die M-30‘s, die “oberen“ und “unteren“ rondas 2 und die Ringstrassen auf der einen Seite; den TGV, die Megahäfen und die transkontinentalen Flughäfen auf der anderen.
Die neuen urbanistischen Methoden versuchen die historischen Spuren zu verwischen, das Vergessen zu organisieren. Wenn der übermässige Urbanismus Zeit in die Beseitigung der letzten Anzeichen der Kämpfe investierte, die die einstmaligen Bewohner gegen die Klasse führten, die sie unterdrückte, dann wechselt der heutige totalitäre Urbanismus, der in grossen Zügen plant, die Identität der Städte wie eine Weste. Es genügten beispielsweise ein paar Jahre, damit Bilbao seine ganze industrielle Landschaft verlor, die an die Schiffswerften und das Eisenhüttenwesen gebunden war, eine Bühne grosser sozialer Kämpfe, während an ihrer Stelle ein ganzer Zirkus rund um internationale “Marken“-Architektur errichtet wurde, eine Widerspiegelung der Unterworfenheit der einsamen Massen gegenüber der Technik. Die Errichtung des Guggenheimmuseums 3 neben dem Gelände der Euskalduna Fabrik symbolisiert den Übergang der industriellen und proletarischen Stadt zur Konkurrenzherberge des Spektakels. Die neuen Bauten verleihen den Stadtbewohnern ein Gefühl von extremer Einsamkeit. Dadurch, dass sie überall Nicht-Orte bilden, befestigen sie die Identität der globalen Macht, indem sie ihre technologisch ausgerüstete Barbarei auf dem ganzen Planeten aufzeigen. Dies ist die einzige Identität, die die Nicht-Stadt besitzen kann, die exklusive Landschaft der geschichtlichen Abwesenheit.
Die aufkommenden Eliten verfestigen sich durch die “logistische“ Neuurbanisierung doppelt. Der Bau, die Finanzierung, die Verwaltung und der Betrieb der grossen Infrastrukturen beziehen von Gesetz her den Privatsektor mit ein, während die Erwähnung selbst des öffentlichen Dienstes beendet wird. Der Fall Barcelona verdient besondere Beachtung. Seine Machthaber formulierten, sich als die Erben der Bourgeoisie der Weltausstellungen fühlend, das Programm spektakulärer Massenurbanisierung “Barcelona 92“. Die Formel ist nicht geheim: Wenn zwei Drittel der Finanzeinkünfte privat sind, so der Bürgermeister Clos, dann würden wir uns vor “einem typisch Barcelonesischen Stadtumwandlungsmodell“ befinden. Dieses exklusive Modell hat dazu beigetragen, eine wilde Spekulation anzuzetteln, die tausende Bewohner aus der Stadt vertrieben hat (Barcelona-Stadt hat eine Fläche von 100km2, auf der eineinhalb Millionen Einwohner leben, 300‘000 weniger als vor 15 Jahren; der urbane Bereich erstreckt sich auf 3000km2 und 4,5 Millionen Einwohner, jene der Stadt miteinbezogen). Barcelona ist ein Reservat von Raum-Ware und seine Machthaber tun alles dafür, dass es noch viel mehr dazu wird: dies ist die Mission des “Forums der Kulturen 2004“. Und als Exempel von Kultur: schön wie das Zusammentreffen einer Kloake mit einem Meer aus Autos in einem kulturellen Spektakel, so die von Clos gegebene Definition zum Bau eines grossen Platzes über einer Kläranlage: « eine Kostprobe der kulturellen Paradigmen des 21. Jahrhunderts ». Wir sind uns bewusst, dass ein Bürgermeister kein Bürgermeister wäre, wenn er keine Monumente produzieren würde, doch bis Clos hatte sich die Originalität der kulturellen Revolution der Gemeinderäte zumindest auf überflüssige Kongresspaläste und unnütze Auditorien beschränkt. Es ist oft so, dass die Worte in der Sprache der Herrschenden das Gegenteil von dem bedeuten, was sie benennen, wie bei “urbaner Ökologie“, “territorialer Ausgeglichenheit“ oder “struktureller Unterstützung“, Etiketten, um den Urbanismusmüll, die Zerstörung des Geländes oder die Entstellung zu verkaufen. So nennt Clos das Kultur, was in Wirklichkeit nichts als Abfall ist.
Wenn die Stadt durch das viele konsumieren und konsumiert werden nicht mehr existiert, dann existiert auch der Stadtbewohner nicht mehr. Ebenso wie die Viertel und die Quartiersbewegungen. In einer absoluten räumlichen Anomie existiert nichts, das diesen Namen verdient. Das Leben der Individuen wird von den technischen Mitteln, die es kolonisieren, auf konditionierte Reflexe reduziert. Mit dem Verschwinden aller öffentlichen Räume zog sich das Leben ins private zurück und verschanzt sich in den Appartements. Eine Bevölkerung ohne Autonomie, völlig Abhängig von ihren mechanischen Prothesen, rebelliert nicht, noch kommuniziert sie. Die offenen Räume wie Plätze, Strassen, Hallen, Treppen, Gärten, Parkplätze, etc. sind ein Niemandsland geworden. In diesem cocooning der Bevölkerung drängt sich der Sicherheitsdiskurs auf. Ein Teil der Bevölkerung fühlt sich gegenüber dem anderen Teil ungeschützt und fordert die polizeiliche Kontrolle über die Zwischenzone. Der neue Urbanismus hat den perversen Effekt, die Bevölkerung, die er unterordnet, zu entwürdigen. Es scheint, als ob die soziale Frage nur noch in Form eines Sicherheitsproblems existiert. Das herrschende System weiss, dass es verwundbar ist und fürchtet die Menschen, die es marginalisiert und vertrieben hat. Und dies aus zwei einfachen Gründen: erstens, weil die ganze städtische Agglomeration durch eine Reihe von Stromausfällen oder durch eine einfache Verkehrsverstopfung lahmgelegt werden kann. Und zweitens, weil die ganze Stadt eine Vitrine ist, die einem generalisierten casse à la voiture belier 4 völlig ausgeliefert ist. Ein mit in Bewegung befindlichen Waren gefüllter Supermarkt, den es vor potentiellen Angreifern zu schützten gilt, die niemand anderes sein können, als diejenigen, die nach diesen Waren verlangen, ohne dass sie in ihrer Reichweite sind. Dies ist der Schlüssel um den totalitären Urbanismus zu verstehen: Er ist das Mittel, um sich schnellstens eine totale Kontrolle über den Feind zu sichern, der zu einem bestimmten Moment, aufgrund einer urbanen Beschädigung, das Kräfteverhältnis zu seinen Gunsten kippt, und, wenn auch nicht Räume befreit, diese zumindest verwüstet. Dies lässt uns zur Annahme verleitet, dass alle künftigen Revolten in diesen Räumen der Entfremdung zufällig, mittels imposanten Plünderungen und nicht weniger imposanten Zerstörungen beginnen werden. Ein Chaos wird das andere Chaos auflösen.
Um abzuschliessen, vermerken wir die alte Bezeichnung des Urbanismus als Medizin der Städte, eine Medizin jener Art, die ihre Patienten tötet. Im Grunde widerspiegelt sich der Urbanismus vielmehr in den Krankheiten, die er im Laufe seiner Geschichte hervorgerufen hat. Wenn die Tuberkulose die kennzeichnende Krankheit des bourgeoisen Urbanismus und der Krebs jene des Überentwicklungsurbanismus war, dann ist der Wahnsinn jene, die den totalitären Urbanismus am besten beschreibt. Die städtische Konterrevolution erschuf in ihren beiden ersten Phasen immer unwirtlichere Bedingungen für den Körper. In der dritten tötete sie die Seele. Der urbane Horror, der diesen Tod repräsentiert, ist so umfassend, dass es, um die Stadt als Projekt eines gemeinschaftlichen Lebens zurückzugewinnen, notwendig wurde, sie bis auf die Ruinen zu zerstören.
Anmerkungen
Bild: Originalplan von 1859 des Ensanche von Barcelona mit der Altstadt links unten
1 Wie beispielsweise in Seville und Barcelona 1992. (Anm.d.Ü.)
2 Umgehungsstrassen in Madrid und Barcelona. (Anm.d.Ü.)
3 Museum für Moderne Kunst mit einer Ausstellungsfläche von 11.000 m2. (Anm.d.Ü.)
4 Eine u.a. in Frankreich populäre Art, Läden zu überfallen, indem ein Auto als Rammbock benutzt wird. (Anm.d.Ü.)