THE LAW – eine textkritik

THE LAW
zu deutsch: das recht, gesetz, rechtssystem, gericht, die bullen, vorschrift


dies
ist eine kritik am flyer* „die libertäre aktion winterthur; deine
ansprechpartnerin für anarchistische theorie und praxis“ (link: hier).
sie soll dazu anregen, die „anarchistischen“ strukturen, gruppierungen
und ideologien zu hinterfragen und bereits vorhandene diskussionen zu
vertiefen. diesem versuch spaltung vorzuwerfen, wiederspiegelt nur den
kritisierten massenglauben und wiederholt die aufrechterhaltung des
linken einheitsbreis, die der erhaltung des sozialen friedens dient.
hier wird nicht behauptet, dass dieser text eine umfassende und
kritikfreie analyse ist, falls so etwas überhaupt möglich sein sollte.
es geht darum, neue gedankengänge zu provozieren und mit der
vorherrschenden vagheit zu brechen
.

die grundstruktur des genannten flyers ist
fogende: die libertäre aktion winterthur (LAW) möchte eine
ansprechpartnerin für an anarchistischer theorie und praxis
interessierte darstellen. es wird klargestellt, wie auf dieses angebot
zugegriffen werden kann und was dabei zu erwarten ist. zu diesem zweck
wird versucht eine komplette theorie auf einem knapp zwei A4 seiten
langen flyer darzulegen. zum abschluss wird die umsetzung der theorie
in die praxis mit einigen wenigen beispielen in klaren grenzen
gehalten.

die LAW scheint davon auszugehen, dass die menschen,
die immerhin selbstständig genug denken können, um zu erkennen, dass
sie sich mit anarchistischer theorie auseinandersetzen und diese auch
ausleben wollen, noch stets einer starken führung bedürfen. eine
überlegung, die uns nur allzu bekannt vorkommt. seien es die jetzigen
zustände in der politik, die durch medien vorgefertigten meinungen
(egal ob links oder rechts), die nur noch übernommen und als die
eigenen vermarktet werden müssen, die ökonomischen strukturen oder die
propagandierung reformistischer, sozialistischer, kommunistischer oder
moralischer parolen – überall ist die idee der starken, bewussten,
aufgeklärten, zivilisierten, bemittelteren, hierarchisch höher
gestellten, die den schwachen, unbewussten, unaufgeklärten,
unzivilisierten, minderbemittelten, unterdrückten zeigen wo‘s lang geht
vorhanden. wer in dieser umgebung gross geworden ist, hat das freie,
selbstbestimmte denken nie gelernt und es ist auch besser, es dabei zu
belassen: nur so kann sicher gestellt werden, dass die revolution so
verläuft, wie sich die aufgeklärten vorreiterinnen das vorstellen.

der
gesamte text ist so geschrieben, dass er möglichst „die massen“
ansprechen soll und für diese einfach zu verarbeiten ist. ein beispiel
ist die folgende textstelle: „selbstverständlich bevorzugen wir ein
leben im relativen wohlstand in der schweiz, und auch wir sehen die
vorteile, die eine so genannte demokratie gegenüber einer diktatur
bietet.“ diese populistische und zugleich reformistische aussage kann
nur so verstanden werden, dass jene menschen nicht abgeschreckt werden
sollen, die zwar eine änderung wollen, aber es eigentlich auch ganz
bequem finden, weiterhin von ihren privilegien zu profitieren. es wird
nur die relativität des fortschritts, jedoch nicht sein vorhandensein
an sich in frage gestellt. ein weiteres beispiel dafür: „auch werden
die typischen probleme unserer heutigen gesellschaft -rassismus, und
antisemitismus, sexismus und homophobie, konkurrenzdenken und krieg-
ihrer ökonomischen grundlagen beraubt und damit realistischerweise
aufhebbar.“ damit wird eine komplizierte realität auf eine
oberflächliche kritik herunter gebrochen, um sie für alle zugänglich
und konsumierbar zu machen. sich darauf einzulassen heisst einerseits,
eine stark vereinfachte und somit zu kurz greifende systemkritik zu
verbreiten. anderseits wird deutlich, dass durch das bereitstellen von
einfachen „antworten“ die eigeninitiative zu einer tiefgründigen
auseinandersetzung mit sich selbst, dem herrschenden und revolutionären
perspektiven nicht angestrebt wird. die möglichkeit zur freien
entfaltung und vereinigung von individuen wird nicht nur nicht in
betracht gezogen, sondern für angeblich übergeordnete notwendigkeiten
aufgeopfert. solche populistische, vereinfachte, ja sogar manipulative
propaganda kann nur darauf ausgelegt sein, dass grundlegende
veränderungen allein durch von avantgardistinnen geführte massen
passieren sollen. in einer anarchistischen analyse, die schon durch den
namen herrschaftsfrei zu sein hat, hat eine solche ansicht nichts
verloren.
es gibt noch einige textstellen, die darauf hinweisen,
dass die LAW sich als organisation „professioneller aktivistinnen“
sieht und diese position einer organisation auch nach der revolution
als unumgehbar und notwendig empfindet: ein technischer fortschritt und
möglichst gleichmässige aufteilung von unbeliebter arbeit wird forciert
(duden: forcieren: etwas mit nachdruck betreiben, vorantreiben,
beschleunigen, steigern. forciert: gewaltsam, erzwungen, gezwungen,
unnatürlich); wir werden im „wahrhaft demokratischen wirtschaftsmodell“
leben; entscheide werden von unten nach oben stattfinden; jeder person
wird ein möglichst hohes mass an entscheidungen über ihr alltägliches
leben in der kommune eingeräumt; bei unzufriedenheit mit beschlüssen
steht einem jederzeit die möglichkeit offen, die kommune zu verlassen.
wie eine solche (über-)organisation aussehen sollte, wird auch gleich
klargestellt: sie wird die verschiedenen kämpfe auf ein allseitig
anwendbares ideologisches fundament stellen und eine gesamtheitliche
strategie entwickeln, die sicher stellt, dass sich die taktiken nicht
im widerspruch zur ideologie und zu sich selbst befinden. um hier noch
die angestrebte machtposition und unantastbarkeit der organisation zu
verbergen, hilft es auch nichts, wenn weiter hinten im text beteuert
wird, dass diese strategie keine unbegrenzte gültigkeit hat und für
eine herrschaftslose gesellschaft gekämpft wird. wiederlegt wird diese
behauptung spätestens im nächsten abschnitt, in dem „die revolutionäre
disziplin den assoziierten menschen verbietet, politische aktivitäten
zu betreiben, die im widerspruch zur ideologischen oder strategischen
linie der organisation stehen“. kann dies anders verstanden werden, als
dass der organisation totaler gehorsam gehört und am besten auch keine
fragen gestellt werden sollen? jeder weitere versuch, das eigene
programm als anarchistisch darzustellen, scheitert kläglich bei der
verwendung der begriffe föderaler aufbau, basis und mitglied, beim
eingeständniss, dass die eigene meinung optimalerweise gerade noch dazu
berechtigt ist, den endgültigen beschluss mitzuprägen und bei der
unterscheidung von „intern“ und „extern“.

alles in allem
spricht sich die LAW deutlich über ihre ziele aus. es soll eine
gesellschaft entstehen, die zwar nicht in den herkömmlichen
ökonomischen strukturen hängenbleibt, aber weiterhin von konsum und
einem materiellen bedürfnis, das gestillt werden muss, ausgeht.
jegliche individuellen lebensentwürfe werden unter dem deckmantel der
herausgeschrieenen freiheit im keim erstickt, in dem alle
entscheidungen den filter der organisation (LAW?) durchlaufen müssen.
wiedersprüche zu deren ideologie haben keinen platz. erkennen wir hier
nicht ein altbekanntes muster? der weg zu dieser neuen gesellschaft
führt über die aufklärung und animation der ausgebeuteten zum
widerstand von innerhalb einer organisation, über den phantasielosen
rückgriff auf angeblich altbewährte methoden, über die beteiligung an
kampagnen -welche per se mit forderungen an die herrschenden strukturen
verbunden sind- und über weitere konsumierbare, attraktive aktivitäten,
die einem publikum angeboten werden.
was die LAW hier propagiert,
hat nichts mit einer anarchistischen perspektive zu tun. es ist viel
mehr ein weiterer versuch, das system zu renovieren. dies geschieht
hier zwar in umfassenderer weise, als es üblich ist, bleibt dabei aber
weiterhin dem glauben an verwaltung und zentrierung der bedürfnisse
hörig.

wem dies nicht genügt, wer das verlangen nach mehr -so
diffus sich dieses auch äussern mag- in sich trägt, kann sich nicht mit
den herrschenden verhältnissen und eben so wenig mit deren
reformistischen veränderungen zufrieden geben. wer ein unbändiges
gefühl, ein drängen und sehnen nach etwas, das wir so vereinfacht „die
freiheit“ nennen, in sich spürt, wird sich in einer organisation -unter
welchem namen diese auch agiert- niemals wiederfinden, noch vollständig
entfalten können.
wenn wir unserer sehnsucht nach leben neue
nahrung geben, es ausprobieren und auskosten wollen, müssen wir mit
allem bestehenden brechen, können wir keinem weiteren programm folgen
und keine kompromisse mehr eingehen, müssen wir uns unserer künstlichen
bedürfnisse entledigen und das experiment mit dem unmöglichen wagen.
dazu gehört vermeintliche sicherheit und kontrolle loszulassen, sich
seinen ängsten zu stellen, genauso, wie die annahme jeglicher
hierarchien zu verweigern und die einschränkung oder verletzung unseres
selbst nicht zuzulassen .
damit wir unsere leben erfahren und neue
ideen sich entfalten können; eine komplett neue perspektive entwickelt
werden kann, muss alles was uns davon abhält zerstört werden. widmen
wir uns der freude, die in dieser zerstörung wächst.

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*die
kritik ist konkret auf diesen flyer gerichtet. die LAW und ihre
strukturen werden nur anhand dieses flyers analysiert, dabei wurde
kein vorwissen oder andere bezugspunkte eingebaut. wäre der flyer von
einer anderen organisation, sähe die kritik gleich aus. es geht in
diesem konkreten fall um das wie und was, nicht um das wer. die kritik
konzentriert sich ausserdem nur auf einen teilaspekt der
wiederspüchlichkeit des flyers. weitergehende auseinandersetzung mit
einem konsequenten bruch mit den herrschenden verhältnissen und den
reformistischen strategien „linker organisationen“ werden hoffentlich
an einem anderen ort statt finden.

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