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– Anstelle einer Einleitung
– Wo befinden wir uns?
– Die Partei des Staates
– Das Gewicht der Erinnerung
– Urbanismus und Ordnung
– Nachwort zur spanischen Ausgabe der „Geschichte von zehn Jahren“
Anstelle einer Einleitung
Die folgenden Artikel wurden von Miguel Amorós verfasst, sowie viele andere Beiträge zu den laufenden Debatten in Spanien. Wir entschieden uns, einige dieser Überlegungen ins Deutsche zu übersetzen; weniger aufgrund der von Amorós gezogenen Schlussfolgerungen, an denen wir uns gelegentlich gestossen haben, sondern vor allem, weil wir in ihnen viele Fragestellungen gefunden haben, die sich aufdrängen, wenn wir beabsichtigen, eine revolutionäre Theorie zu entwickeln, die wieder auf der Höhe unserer Zeit ist. So begrüssten wir die Überlegungen zur Technologie und der Verschiebung der Herrschaftsverhältnisse, die sie mit sich bringt, ebenso wie jene über die Neigungen und Konflikte unter den Interessen der Machthaber. Die Wichtigkeit der Erinnerung an unsere Geschichte und die Rolle des Urbanismus, der erstere systematisch beseitigt, werden zwar aus dem recht spezifischen, spanischen Kontext betrachtet, sind aber Themen, die überall gleichermassen ihre Spuren hinterlassen. Die historischen Bedingungen haben sich seit den letzten revolutionären Vorstössen in Europa grundlegend verändert, und mit ihnen auch die Bedingungen der sozialen Kämpfe. Eine Klasse von Ausgebeuteten, die durch ihre gesellschaftliche Bedingung verbunden ist und es weiss, ist mit der Rationalisierung der Produktion und der Entfremdung der Massen im Laufe der vergangenen Jahrzehnte nach und nach verschwunden; und mit ihr, so scheint es, auch der Traum eines gemeinsamen Auswegs aus den persönlichen Konflikten mit dieser Welt, der weder an Autorität noch an Waren gebunden ist, sondern an die fundamentale Umwälzung aller bestehenden Verhältnisse. Auch Amorós geht von dieser Feststellung aus, verfällt jedoch allzu oft dem Katastrophismus, anstatt sich Hypothesen zu widmen, die hier und jetzt, in Abwesenheit eines offenen Klassenkampfes, mit einer offensiven Praxis verbindbar sind, die dessen Rückkehr begünstigt. Diese Haltung widerspiegelt sich in den kritischen Anmerkungen zur Encyclopédie des Nuisances und ihrer gemachten Verbindung der Kämpfe gegen die Umweltschäden mit der Geschichte
der Klassenkämpfe bzw. der Theorie der Situationistischen Internationale.
In Anbetracht der massiven Zerstreutheit der Individuen ist jetzt gewiss nicht der Moment eines sauve-qui-peut, sondern mehr den je jener, den Enthusiasmus aus inniger Überzeugung für unsere Ideen wiederzufinden und, mit allen erdenklichen Mitteln, in die Leere des zeitgenössischen Nihilismus die Ethik der Subversion und des sozialen Antagonismus zu sähen. Bei diesen, sowie im Grunde bei allen Beiträgen zur revolutionären Kritik, geht es uns mehr darum, inwiefern sie die Weiterentwicklung unserer eigenen Ideen, angepasst an unser Hier und Jetzt, anregen können, als darum, Muster zu suchen, die kopierbar sind. Wohl wissend, dass die Subversion aus einer Dynamik von sich ergänzenden und widersprechenden Hypothesen besteht, sollen dies also bloss einige weitere Zutaten in diesem brodelnden Topf sein. In diesem Sinne möchten wir hier auch die wohl formulierte Kritik teilen, die einige Gefährten schon im Vorwort zu einer französischen Sammlung von Amoròs Texten anbrachten:
Es scheint uns zunächst notwendig, einige Abiguitäten in Bezug auf die Natur und Funktion des Staates aus dem Weg zu räumen. Bei Amorós, sowie bei vielen anderen, wird er eigentlich kaum als das behandelt, was er fundamental ist. Fern davon, sich in dem zusammenfassen zu lassen, was oft Staatsapparat genannt wird, umfasst der moderne Staat die Gesamtheit der sozialen Beziehungen, während die Individuen auf ihre Rolle als Mitglieder einer organischen Gemeinschaft reduziert werden, die sie übersteigt. Gegenüber einer angenommenen Summe von persönlichen Interessen, die “von Natur aus“ antagonistisch seien, tritt der Staat zugleich als Inkarnation und Garant des allgemeinen, ja sogar universellen Interesses auf. Eine falsche Schiedsrichterposition einnehmend, dient er also nicht nur den Interessen der herrschenden Klasse, schützt und rechtfertigt die bestehenden sozialen Verhältnisse, sondern dringt auch in das Bewusstsein aller Leute ein. Die “Bürger“ werden dazu aufgerufen oder gezwungen, “sich nützlich zu machen“ und sich ihrer “egoistischen“ Eigenschaften und Verlangen zu entledigen. Die Beziehungen werden über die Kollektivität vermittelt, direkte Verbindungen werden als potentiell gefährlich betrachtet. Diese Verinnerlichung des Denkens, der Ideologie des Staates – mit der Bürgerbeteiligung als eine ihrer Äusserungen – geht also weit über die schlichte Anzahl Funktionäre hinaus! So scheint es recht gewagt, vom “Verschwinden“ des Staates zu sprechen, wie dies heute oft getan wird. Ausserdem: wenn gewisse Formen (der Nationalstaat oder der Wohlfahrtsstaat zum Beispiel) tatsächlich dazu tendieren, von anderen, wie den supranationalen Instanzen, verdrängt zu werden – obschon dieser Prozess gewiss nicht auf eindeutige und geradlinige Weise verläuft –, sehen wir darin keinen Untergang des Staates, sondern Machtübertragungen, die Verstärkung gewisser seiner Funktionen, gewisser seiner Aspekte gemäss den Bedingungen und Notwendigkeiten. Gleichermassen weigern wir uns, uns in Mutmassungen über das Verschwinden des Sozialstaates zugunsten des bestrafenden Staates zu verlieren, nicht um Entwicklungen abzustreiten, sondern, weil das uns eigen Machen dieser falschen Gegenüberstellung darauf hinausläuft, das zu trennen, was zusammengehört, und die eigentliche Macht und zwingende Rolle des Staates zu ignorieren.
Schliesslich wird die angebliche Beseitigung des Staates oft verwendet, um von einer autonomen Entwicklung des Kapitalismus zu sprechen. Nun, wenn sich das Kapital tatsächlich über den ganzen Planeten und alle Beziehungen erstreckt, welche er zu vereinheitlichen strebt, dann ist das dennoch nicht immer losgelöst vom Staat (einschliesslich seiner traditionellen Strukturen), worauf sich das Kapital weiterhin stützt.
Es gibt einen anderen Punkt, den wir im Bezug auf gewisse Texte von Amorós, und vor allem im breiteren Sinne gegenüber der zahlreichen, sogenannten anti-industriellen Analysen gerne vertiefen würden, es ist jener der Rolle und der Stellung der Technologie.
Amorós, der das technokratische System zu Recht als enge Verschachtelung konvergierender ökonomischer, politischer und technologischer Interessen beschreibt, platziert diesen letzten Aspekt als zusätzliches Element in einer Kontinuität. Und es ist unbestreitbar, dass das Aufkommen und Voranschreiten der Technologien weitgehend sowohl zur Verdinglichung der Welt, wie zur Umwälzung der sozialen Beziehungen und zur doppelten Bewegung von Atomisierung und Vermassung beigetragen hat.
Wir finden dennoch, dass er nicht völlig einer Tendenz entgeht, die aus der Technologie den zentralen Punkt seiner Kritik macht und ihr ein übermässiges Gewicht und manchmal sogar eine Autonomie zuspricht. Dies läuft eben darauf hinaus, die Technologie von den sozialen Beziehungen loszukoppeln, die sie weiterhin im gleichen Moment produzieren, wie sie von ihr produziert werden. Und diese Trennung führt oft zu einem monolithischen Bild der laufenden Prozesse.
Nun, die Technologie ist nicht der einzige Motor dieser Welt. Der Kapitalismus lässt sich nicht auf die virtuellen Finanzströme reduzieren. Wir leben nicht unter der einzigen Herrschaft von Managern und Experten, die in der strikten Linie der Fortschrittsideologie, trotz der Prägnanz ihrer Worte, Vermittler von Interessen bleiben, die sie oft übersteigen. Die neuen Technologien – abgesehen vom Profit, den sie bedeuten – sind heute ein zusätzliches Domestizierungswerkzeug, womit sich die Besitzenden und der Staat ausrüsten. Diese hoch entwickelten Mittel fügen sich den anderen Formen sozialer, polizeilicher und militärischer, bürgerlicher und gemeinschaftlicher Kontrolle an, die, wenn sie auch manchmal widersprüchlich sind, sich schon immer gegenseitig ergänzten. Es scheint uns, dass sich ein Widerstand, der sich in der Verteufelung der Technologie verschanzt, dazu verdammt, auf bruchstückhaften Grundlagen zu bleiben, die die bestehende Ordnung kaum in Frage stellen. Die immer offensichtlichere Enteignung aller Aspekte unseres Lebens durch den technologisierten Kapitalismus fügt sich den vormaligen Ausbeutungs- und Entfremdungsformen (Sklaverei, vorindustrielle Lohnverhältnisse, Religion, Herdenmentalität, usw.) an, die weiterhin bestehen bleiben. Dies zu vergessen, beinhaltet das Risiko, der nostalgischen Verherrlichung von alten Werten und verlorenen Gemeinschaften zu verfallen und wir finden uns ziemlich entwaffnet vor der Gegenwart wieder.
Das Ausmass des von der zerstörerischen Walze des Kapitalismus verursachten Desasters zu betonen, kann schliesslich weder dazu verleiten, in der Ideologie der Angst zu versinken, die von der herrschenden Macht gefördert wird, noch dazu, einem Fatalismus zu verfallen, der lähmt. Im Grunde laufen diese beiden Reaktionen darauf hinaus, entweder die wirklichen Ursachen der Situation zu kaschieren, oder die Möglichkeiten der Revolte zu negieren und sich daraufhin in eine Überlebensperspektive zu stellen. Die revolutionäre Transformation dieser Welt wird so de facto auf ein hypothetisches “nach der Katastrophe“ hinausgeschoben. Ein weiteres Mal ist es die Passivität gegenüber der bestehenden Ordnung, die hier verstärkt zum Ausdruck kommt. Darum war es für uns eine wahre Enttäuschung, als Schlussfolgerung der Bilanz, die Amorós aus der Encyclopédie des Nuisances (wovon er Teil ausmachte) zieht, von Rückzugszielen wie der Loslösung von der Warenwelt, als ob dies möglich wäre, oder der Erhaltung der Theorie in Erwartung besserer Zeiten zu lesen. Wir denken hingegen, dass, wenn die Unruhe angesichts dieser beängstigenden Entwicklungen gerechtfertigt ist, es die Wut ist, die sprechen muss, und dass ihr Ausdruck in Handlungen möglich und notwendig bleibt.
Es gibt einen letzten Punkt, mit dem wir uns gerne aufhalten würden: der Begriff der Demokratie. Amorós kritisiert zwar ihre institutionellen Abwandlungen – bourgeoise Demokratie, Parlamentarismus, Syndikalismus –, rehabilitiert sie jedoch unter der Form der direkten Demokratie, ohne die Prinzipien in Frage zu stellen, auf denen sie basiert: die Repräsentation der Individuen und die kollektive Souveränität. Wie beim Staat scheint es uns essenziell, die demokratische Fiktion für das anzugreifen, was sie zu sein vorgibt: die Inkarnation eines übergeordneten, allgemeinen Interesses, womit sich die Individuen identifizieren sollen, und dem sich unterzuordnen, sie aufgefordert werden. Im Namen des “Willens von allen“ gibt die Demokratie vor, Konflikte durch Mehrheiten, Rechte und Pflichten zu regeln; Im Namen der Freiheit von allen wird die Freiheit eines jeden amputiert; im Namen der kollektiven Souveränität wird das Prinzip der Autorität über jedes ihrer Mitglieder gestellt. Die Verdeutlichung dieses Paradoxons, führt uns auch zur Kritik an den Formen der direkten Demokratie, wie dem Assemblée, das besonders verherrlicht wird in Zeiten, in denen die Horizontalität der Form den Inhalt überflügelt. Es geht uns hier nicht darum, jegliches Interesse an den Assemblées zu verneinen, die selbstverständlich Räume für Diskussion und Koordination sein können, sondern vielmehr darum, ihre Grenzen aufzuzeigen, sobald sie zu Entscheidungsorganen werden, denen Autorität zukommt, und darum, sich andere mögliche Formen freier Vereinigung vorzustellen, die die falsche Zweiteilung zwischen individuellem und kollektivem Interesse hinter sich lassen. Bei verschiedenen Texten von Amorós haben wir uns an einer Idealisierung der Assemblées gestört, die als die Form der Selbstorganisation par excellence präsentiert wird, während es auch zur Bremse jeglicher individuellen Initiative werden kann. So stellt der Autor in einem Text über die Arbeiterautonomie der 70er Jahre das, was “der Kontrolle der Assemblées“ entging, als allgemein schädlich für die Autonomie des Kampfes dar. Die Erfahrung hat jedoch seit langer Zeit bestätigt, das sich die schlimmsten Feinde der Autonomie ihrerseits der “Souveränität“ des Assemblées bedienen können, um die Taten der entschlosseneren “Minderheiten“ zu isolieren und sie der Apathie der gemässigteren Sektoren unterzuordnen. Und wenn er heute die individuelle Aktion oder die Aktion in kleinen Gruppen rehabilitiert – Praktiken, die er in anderen Zeiten als abenteuerlich abstempelte –, dann ist dies, um Kampfperspektiven aus einem Kontext zu ziehen, den er als katastrophal beschreibt, während er von der Unmöglichkeit einer kollektiven Aktion oder der Aktion einer Klasse ausgeht.
Gezwungen den Zerfall der Klassengemeinschaften festzustellen, sehen wir nichtsdestoweniger, dass die Ausbeutung erhalten und sogar intensiviert wird, dass trotz des Erlangens – durch Zwang und Integration – eines gewissen sozialen Konsensus, die Widersprüche bestehen bleiben und sich im laufenden sozialen Krieg manifestieren. Die revoltierenden Proletarier existieren sehr wohl noch. Was uns betrifft, so argumentieren wir jedenfalls nicht mit “historischen Subjekten“ und nehmen die Unterordnung der Individuen nicht hin, weder unter die entfremdeten Massen von heute noch unter die bewusste Klasse von gestern. Die Antagonismen mögen Klassenantagonismen sein, doch die Revolte selbst ist individuell und es ist durch die Komplizenschaften, die sich weben, dass sie kollektiv wird.
Wenn sich das Funktionieren des Staates und des Kapitalismus bis zu einem solchen Punkt verkompliziert hat, dass es uns wortwörtlich übersteigt, dann handelt es sich deswegen nicht um körperlose, fernabgelegene und unerreichbare Monster. Das Ineinandergreifen der unterschiedlichen Formen der Ausbeutung und Herrschaft, mehr als uns in die Ohnmacht und Resignation zu treiben, weist vor allem auf die Notwendigkeit hin, in der Kritik die unterschiedlichen Aspekte des Systems zu verbinden, um es besser in seiner Gesamtheit und in seinen Fundamenten angreifen zu können, in der Perspektive, die uns interessiert: Jene der Freiheit und der sozialen Revolution.