«De Moker»: Die rebellische Jugend in der holländeischen libertären Bewegung der wilden Zwanziger

 

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«De Moker»
Die rebellische Jugend in der
holländeischen libertären Bewegung
der wilden Zwanziger

Der Aufstand der Jugend

Hermann Schuurmann (1897 – 1991), der Autor der Broschüre Arbeit ist ein Verbrechen, war einer der Mitbegründer der Mokergroep (moker: Hammer [1], groep: Gruppe). Diese Gruppe bestand aus den sehr frei um die Zeitschrift De Moker organisierten, jungen revolutionsbegierigen Proletariern. Der Untertitel der Zeitschrift lautete damals Opruiend blad voor arbeiders … [Agitationsjournal für junge ArbeiterInnen]. Über mehr als vier Jahre, von Ende 1923 bis Sommer 1928, wühlte die Mokergoep die proletarische und die libertäre Bewegung in Holland auf:

«Dies kann, nein, dies sollte wie ein Hammerschlag auf ihre Ohren ertönen: Wir, die Jugendlichen weigern uns radikal, uns weiterhin hinter den schmutzigen Tricks der Alten der Bewegung einzureihen […]. Alle sollen wissen, dass wir in dieser Gesellschaft machtlos, gottlos, geldlos und vorzugsweise arbeitslos sind und dass wir auch gegen diese ethisch-religiöse Bewegung sind. Wir ändern dieses abscheuliche, stets wiederholte Recht auf Arbeit um in ein Recht auf Faulheit [2], denn hierbei handelt es sich um die ersten Auswirkungen der Vernichtung. Zerstörung! Bakounine war auch als alter Mann noch ein Revolutionär und deshalb zeigte er den Weg der Zerstörung. Hat sich die Situation des Proleten verbessert? […]  Nein! Tausend mal nein! Die politische und gewerkschaftliche Organisation hat das Fundament des Systems intakt gelassen. Man wollte nur den “Exzess” des Systems verändern, und sogar hierbei ist man völlig gescheitert […]. Die Arbeit war schon immer die Devise der Bourgeoisie, aber auch der Parteiführer und der Gewerkschaften. Heute – und in diesem Sinne wiederholt sich die Geschichte endlos, ohne dass das Proletariat etwas daran gewinnt – kündigen sogar Vollblutanarchisten in ihren Organen jubelnd an, dass in Belgien die Arbeitsstellen zugenommen haben. Deshalb bemühen wir uns keineswegs darum, eine einheitliche Organisation aufzubauen: Wir kennen keine einheitliche revolutionäre Front, wir anerkennen und fördern die Solidarität in den Fabriken und Betrieben, um zur Sabotage anzuregen. Den Boden für Agitation finden wir überall….» [3]

Einer der jungen Libertären präzisierte später:

«Die Gruppen De Moker und Alarm existierten nicht um als Gruppe zu existieren, sondern wurden aus einer gewissen Anzahl Menschen zusammengestellt, die das Bedürfnis verspürten, die Erweichung in den älteren Generationen zu bekämpfen und diese Alten anzugreifen.» [4]

Alarm, gegründet im Mai 1922 und De Moker sehr nahestehend, hatte bereits einen Artikel gegen die Arbeit veröffentlicht, der sich auch auf Lafargue bezog:

«Der Kapitalismus zieht seine Existenzgrundlage aus der Arbeit und steckt dabei den Mehrwert in seine eigene Tasche. Er würde untergehen, wenn ihm diese Arbeit, d.h. dieser Profit entzogen würde. Paul Lafargue, der Autor von Recht auf Faulheit, sagt, dass die Arbeit in dieser Gesellschaft eine Schande ist. Nun wäre er jedoch radikaler gewesen, hätte er sein Werk Die Pflicht zur Faulheit genannt. Die Pflicht der Revolutionären ist dem Kapitalismus seine Existenzgrundlage zu entziehen. Aus diesem Grund ist die gewerkschaftliche Organisation konter-revolutionär: Anstelle von Sabotage und faulem Ungehorsam preist die Gewerkschaft das Recht auf Arbeit und belässt dabei die Arbeiter in dem Glauben, sie könnten irgendeinen Vorteil daraus ziehen. [….]

Aber die gewerkschaftliche Organisation existiert nur dank der Lohnversklavung: Geht die Lohnarbeit unter, so geht die gewerkschaftliche Organisation mit ihr unter. Da letztere nur durch und dank dem Kapitalismus existiert, bleibt ihr nichts anderes übrig, als an seinem Wiedererbau mitzuwirken. Dabei werden die Arbeiter durch den Kampf um Lohn konstant von dem Umsturz des Kapitalismus abgelenkt. Als Anarchisten müssen wir nicht nur den Kapitalismus bekämpfen, sondern ebenso unseren inneren Feind: Die gewerkschaftlichen Organisationen. Der Kapitalismus und der Syndikalismus haben nämlich einen gemeinsamen Feind: Die Faulheit. Dort wo die Kapitalisten und die wichtigen Entscheidungsträger permanent die Pflicht und das Recht auf Arbeit beteuern, müssen die Revolutionären überall die Pflicht und das Recht auf Faulheit propagieren.»[5]

Im Gegensatz zu den Leuten von Alarm, die übrigens nicht zwingend älter waren, definierten sich jene von De Moker explizit als «Jugendliche» – so sagt Schuurman selbst: «Wir, die Jugend, haben ein zu grosses Recht auf das Leben, zu viel Leidenschaft, zu grosse Überzeugung und Selbstvertrauen, zu viel Willen und Mut, um uns so verarschen zu lassen.» [6] Trotzdem reagiert Alarm mit Begeisterung auf das Erscheinen von De Moker, im Gegensatz zu fast der gesamten proletarischen und libertären Presse:

«Sehr erfrischend. Einzig zur Propagierung der Sabotage publiziert. Genau wie Alarm bekämpfen sie jede Form von Lohnarbeit, denn die Arbeiter verstehen nicht, dass “so lange die Lohnarbeit existiert, die Ausbeutung eine Tatsache bleibt”. Die Zeitung kämpft also  gegen die gewerkschaftliche Organisation, denn “die Gewerkschaften tragen zur Trägheit der Arbeiter bei”. Acht dieser jungen Anti-Syndikalisten wurden bereits wegen Agitation und Staatsgefährdung vor Gericht gestellt. Diese Zeitschrift ist also sehr vielversprechend. Die junge Generation soll die Lohnarbeit hassen, sie soll faul werden: Darin liegt der Untergang der Bourgeoisie.» [7]

Tatsächlich waren die meisten Leute von Moker anfangs zwischen siebzehn und dreiundzwanzig Jahren alt. Schuurman war relativ «alt» im Vergleich zu den anderen der Gruppe. Ausserdem stammten alle Begründer der Gruppe und alle Zeitungsredakteure aus den radikalsten Strömungen einer Jugendemanzipationsbewegung. Eine Bewegung die Ende 19. Jahrhunderts mit der Industrialisierung entstand, die Holland etwas später erreichte, dessen lokale Auswirkung jedoch nicht weniger katastrophal als in anderen Ländern war. Davon betroffen waren besonders die jungen Menschen, daher die stark antikapitalistische Tendenz in dieser Bewegung. Diese jungen Leute sahen sich manchmal ab dem zwölften Lebensjahr schon beim kleinsten Ausdruck von Unzufriedenheit auf der Strasse mit den Säbeln der Polizei und den Gewehren der Armee konfrontiert: Sie verstanden also schnell, welche Ordnung in den Niederlanden verteidigt wurde. Zudem bildeten genau sie das Fussvolk der Armee, da sich die Reichen durch die Bezahlung einer Steuer dem Militärdienst entziehen konnten und trugen gleichzeitig dem Ausdruck einer stark antimilitaristischen Tendenz bei: Auf diesem fruchtbaren Boden wurde 1904 in Amsterdam die Internationale Antimilitaristische Vereinigung (IAMV) gegründet, inspiriert durch  Ferdinand Domela Nieuwenhuis, «Grossvater» der sozialistischen und libertären Bewegung. Am Gründungskongress nahmen Delegierte aus England, Spanien, Belgien, der Schweiz und Frankreich (repräsentiert durch die Ligue antimilitariste, gegründet unter anderem von Georges Yvetot) teil. Die niederländische Abteilung war jedoch die einzige, die einen beachtlichen Erfolg erzielte: Mit Slogans wie «Keinen Menschen, keinen Groschen der Armee» und «Krieg dem Krieg», die systematisch von antikolonialistischen Losungen «Die Indonesier von Holland zu befreien» [8] begleitet wurden, fungierte sie mehrere Jahrzehnte lang, bis hin zum zweiten Weltkrieg, als Verbindungsstück zwischen verschiedenen libertären und antimilitaristischen Gruppierungen, die sich an den Kongressen und Sitzungen trafen, an den Kampagnen teilnahmen und zusammen die Zeitung De Wapes Neder [Nieder mit den Waffen] verbreiteten.

 

Mit dem Ende des ersten Weltkrieges erreichte die revolutionäre Welle, welche die alte Welt überflutete auch unser flaches, sich «neutral» nennendes Land [9]: Aufstände gegen Lebenskosten und Versorgungsausfall, unzählige proletarische Demonstrationen, Streiks und sogar Meuterei in einer Kaserne. Im Umfeld der sozial-anarchistischen Jugend (Sociaal-Anarchistische Jeugd Organisaties, SAJO), eine Gruppierung junger Proletarier, die sich gegen die «Schlaffheit» der existierenden Organisationen auflehnten, versuchten einige nebst der Amsterdamer Börse auch ein Sprengstofflager in unmittelbarer Umgebung der Stadt in die Luft zu jagen. Das Pech brachte ihre Pläne jedoch zum Scheitern. In den Sitzungen und Publikationen dieser sozial-anarchistischen Jugend mischten sich die Diskussionen über die Prinzipien, aber auch und vor allem über die Praktiken der «Diktatur des Proletariats» mit jenen über die Rolle der Parteien und Gewerkschaften im revolutionären Kampf. Etwa um 1919-1920 hat die antibolschewistische Tendenz der sozial-anarchistischen Jugend, die den Organisationen jeglichen repräsentativen Charakter absprachen, alle anderen Organisationen in den Schatten gestellt, da sich jene den verschiedenen «erwachsenen» Organisationen anschlossen, den Kommunisten bis zu den Syndikalisten. Diese radikale Tendenz scharte sich 1922 um die Monatszeitschrift Alarm, die sich auf dem Modell von Nabat aus der revolutionären Ukraine [10] stützte, und schloss sich etwas später der Moker-Gruppe an.

 

Viele Moker-Mitglieder, wie Herman Schuurman selbst, gehörten vor dem Beitritt zur sozial-anarchistischen Jugend dem Verein jugendlicher Anti-Alkoholiker an (Jongelieden Geheelonthouders-bond, JGOB).  Die  Gewichtung, die in der sozialistischen Bewegung dem Antialkoholismus zugesprochen wird, ist bestimmt eine niederländische Besonderheit (selbst der berühmte Domela Nieuwenhuis erfand den Slogan: «Ein Arbeiter, der trinkt, denkt nicht. Ein Arbeiter, der denkt, trinkt nicht.»). Den Erfolg des Antialkoholismus bei der subversiven Jugend lag bestimmt zu einem grossen Teil an dem Kalvinismus, der die holländische Bevölkerung tief geprägt hat. Ausserdem haben viele junge Proletarier aus nächster Nähe miterlebt, wie der Alkoholismus die eigene Szene und die eigene Familie zerstörte. Für sie bedeutete der Antialkoholismus einerseits eine Emanzipation der Persönlichkeit und anderseits ein Protest gegen die sozialen Verhältnisse und stellte schon fast eine Bedingung für jegliche soziale Veränderung dar. Die Debatten der sozial-anarchistischen Jugend fanden auch im Umfeld des Vereins jugendlicher Anti-Alkoholiker statt. Und auch wenn einige seiner Mitglieder zu den Kommunisten wechselten, organisierten Herman Schuurman und seine sozialistischen Genossen Ende 1920 den Begründungskongress des Verbands der freien Jugend (Vrije Jeugd Verbond, VJV), wo folgende Grundsatzerklärung entstand:

«Der Verband der freien Jugend ist eine nationale Vereinigung junger Menschen, die sich bewusst sind, dass sie vor der lebenszerstörenden Situation nicht resignieren können. Jeder auf seine Weise und wenn möglich gemeinsam, arbeiten wir an der geistigen und sozialen Revolution.

Dort, wo unsere Gesellschaft, die im Kapitalismus ihren Ausdruck findet und im Militarismus der daraus folgt, sich nur durch die Zerstörung der freien menschlichen Persönlichkeit aufrecht erhält, stellt sich der VJV hinter “die freie menschliche Persönlichkeit”. Um die Entwicklung der freien menschlichen Persönlichkeit anzutreiben, akzeptiert der VJV jedes Mittel, um die Faktoren, die dieses Ziel behindern, zu zerstören – Faktoren wie der Kapitalismus, der Militarismus, die Schule und die Religion.»

Der junge Herman Groenendaal, der ebenfalls den Verband der Antialkoholiker verlassen hatte, um dem Verband der freien Jugend beizutreten und der wegen Militärverweigerung im Gefängnis sass, startete im Juni 1921 einen Hungerstreik. Mit dieser Aktion löste er eine gigantische antimilitaristische Kampagne aus, die vom internationalen antimilitaristischen Verband lanciert und koordiniert wurde; während mehreren Monaten fanden Demonstrationen, Protestveranstaltungen und Streiks statt, an denen tausende Arbeiter teilnahmen. Weitere aufsässige Fahnenflüchtige taten es Groenendaal gleich und traten ebenfalls in den Hungerstreik. Anfangs November, als die Bewegung zu stagnieren begann, verübte eine kleine Gruppe von Aktivisten einen Bombenanschlag auf das Haus eines der Richter von Groenendaal, der vorallem beabsichtigte, die «Passivität» der Gewaltfreien (was übrigens auch auf Groenendaal zutraf) zu kritisieren. Einer der Täter sagte später:

«Die Leute waren verwundert, dass niemand von uns dreien eine spektakuläre Rede hielt, in dem Stil, wie es in Deutschland bei den alten Sozialdemokraten zur Zeit Wilhelms II. üblich war, und dass unsere Verteidiger unsere Ansichten nicht teilten. Zu Unrecht, denn die Tat war unsere Propaganda. Wir haben das gemacht, was wir zu sagen hatten. Unsere Aussage war an die Bourgeoisie und an das Proletariat gerichtet. Und das, was wir für die Zukunft zu sagen haben, bleibt stets dasselbe, auf etwas verschiedene Weise ausgedrückt. […] Was wir als aller erstes mit unserem Anschlag sagen wollten ist: Nun, Proletarier, ihr empfindet tiefe Bewunderung für den gewaltfreien Groenendaal, dann wacht auf und denkt über diesen Anschlag nach.» [11]

Natürlich provozierte dieser Anschlag einiges an Unstimmigkeiten und nur wenige Menschen schätzten diese Art von Kritik. Diejenigen, die ihr zustimmten und die Kampagne zur Verteidigung der Täter – die man zu schweren Strafen verurteilte – organisierten, bildeten bald die Gruppen im Umfeld von Alarm und etwas später von De Moker. Die beiden Gruppierungen waren sich sehr nahe, genau wie die sozial-anarchistische Jugend und der Verband der freien Jugend, so dass De Moker die Grundsatzerklärung des Verbands übernahm. [12]

Der von De Moker und Alarm verkündete Antimilitarismus unterscheidet sich systematisch vom libertären Antimilitarismus, der stark vom Pazifismus und der Ethik nach Tolstoï geprägt war – von dieser grundsätzlichen «Gewaltfreiheit», die mehr und mehr in jeder Protestbewegung um sich griff, um sie zu frustrieren und zu ersticken. Die Kritik des Militarismus, die von den Mokers entwickelt wurde, will tiefgreifender und konkreter sein. In einer Auseinandersetzung mit dem Manifest einer Gruppe mit bolschewistischen Tendenzen, das die Jugend aufruft, «den Umgang mit den Waffen» zu lernen, schildert Jo de Haas die Verknüpfung von Armee und Militarismus mit dem Staat und dem Kapital:

«Was für Spassvögel! Wir können nicht mit dem Krieg Schluss machen ohne die Weltrevolution, behaupten sie. Und für diese Marxisten, entspricht die Revolution einer Schlacht! Jeder versteht die absurden Konsequenzen davon. Der Kapitalismus hat Mittel erfunden, die fähig sind, innert vierundzwanzig Stunden aus einer Stadt wie London einen Friedhof zu machen. “Die proletarische Armee” müsste somit über Gas, Bakterien, usw. verfügen, um in zehn Stunden aus London ein Friedhof zu machen. Denn sonst ist die Schlacht – die “Revolution”, wie sie es nennen – schon im voraus verloren […]. Dies haben bereits die Schüler verstanden, die sich nie auf eine Schlägerei einlassen würden, ohne einen Stock, der mindestens zehn Zentimeter länger ist, als jener ihres Gegners.

Dies muss die Jugend jedoch verstehen: Die Sozialdemokraten streben nach der Eroberung der Staatsmacht. Im oben genannten Manifest steht geschrieben: “Wenn der Kapitalismus zerstört ist und überall die Arbeiter selbst die Staatsmacht in die Hand nehmen, wird der Krieg unmöglich.” Hier verbirgt sich der Betrug! Denn die Arbeiter werden die Staatsmacht nicht in die Hand nehmen. Es ist die Führung, die dies übernehmen wird! Dies ändert vieles und erklärt alles. […] In Russland wird die rote Armee von weissen Generälen angeführt, die genau wie hier auf die Streikenden schiessen und Frauendemonstrationen zerschlagen lassen. Stellt euch einen Moment lang vor, dass diese Soldaten nicht geschossen hätten…» [13]

 

 

Hämmernde Kritik

 

Unbestritten war Herman Schuurman eine zentrale Figur von De Moker, zumindest in den ersten Jahren, als er der Redakteur der Zeitschrift war, zahlreiche Artikel und Übersetzungen aus dem Deutschen publizierte und üblicherweise auch das Deckblatt [14] gestaltete. Unter dem Titel «Notizen eines Jugendlichen» lieferte er regelmässig seine Kommentare und Analysen über aktuelle Geschehnisse im Ausland und die Folgerungen, die er für seine niederländischen Genossen daraus zog. Zum Beispiel in De Moker vom 10. Februar 1924:

«In England sind die Sozialdemokraten plötzlich an die Macht gekommen. Dank einer forcierten Regierungskrise, der Auflösung des Unterhauses und den Wahlen, erhielten sie eine grosse Anzahl Sitze. Die Arbeiter werden nun dieselben Wohltaten geniessen, wie die, die in Deutschland und Österreich von den Chefs der II. Internationalen erbracht wurden. Die englischen “sozialistischen” Minister standen den führenden Sozialdemokraten des grossen Kapitals unterwerflich und auf eine besonders nette Art zu Diensten […]. Wie all ihre Vorgänger sind sie kriecherische und sklavenhafte Diener des grossen anglo-niederländischen Erdölkonzerns Royal Dutch Shell Co. […] Diese Herren wollten in den Niederlanden dasselbe kleine Spielchen spielen. Während der Regierungskrise erklärte Trolestra [Führer der Sozialdemokraten], dass die SDAP die Führung der Regierung übernehmen wollte. [….] Was ihnen nicht gelang. […] Diese Verräter der Arbeiter würden noch so gerne in die Regierung eintreten. Denn damit wären sie in Sicherheit. […] Die Arbeiterführer sind die grössten Feinde der Menschheit. Sie können ihrer Machtgier nur freien Lauf lassen, solange die Arbeiter Sklaven bleiben.»

In De Moker vom 1. Januar 1925:

«Der diplomatische Vertreter von Russland hat Mussolini in Rom zu einem Festmahl eingeladen, sein Kollege in Berlin wurde vom Nuntius Pacelli, dem Vertreter des Papstes, besucht. In London hat Rakovski [für Rakovsky, ein russischer Diplomat] einen Toast auf den englischen König gesprochen. Und Krass (für Krassine, ein weiterer russischer Diplomat) ist diese Woche in Paris angekommen. Alles spielte sich im Rahmen der alten machiavellistischen Tradition der Diplomatie ab. Mit durchwegs kapitalistischer List, wissen die russischen Despoten die Interessen der verschiedenen Staaten gegeneinander auszuspielen, wovon das Volk, die Arbeiter dann letztlich die Opfer sind. […]

Am 19. Dezember ist es ein Jahr her, dass die ungeschützten Gefangenen massakriert wurden, die sich in der bolschewistischen Hölle auf der Insel Solovetsky am Weissen Meer befanden. Auf der ganzen Welt wird dieser Tag in den Seelen der Herzen, die die Freiheit des Menschen lieben, eingeprägt bleiben. Und sie wissen, dass sie alle Regierungen zerstören müssen, bis nichts mehr übrig ist.»

In De Moker vom 15. Oktober 1926, während des grossen Streiks der Minenarbeiter in England:

«Endlich! Endlich Neuigkeiten aus Frankreich, die Hoffnung aufkommen lassen, die aufzeigen, dass die Minenarbeiter sich nicht länger von den Reden und Konferenzen betrügen lassen und nun gewillt sind, die letztendlich einzige Methode anzuwenden, um die Beständigkeit des Kapitalismus zu zerschlagen – nämlich jene, der Sabotage […]. Jetzt, da die Entscheidung, die Minenarbeiten zu stoppen, endlich gefällt wurde [wegen dem Explosions-, Einsturzrisikos, etc.], breitet sich das Geheule der “Arbeiterführer” aller Sorten von überall her aus. […]

Die Führer, die nach einem Jahr Sitzungen und Briefverkehr wussten, dass die Regierung und die Minenbesitzer auf diesen Streik vorbereitet waren und solange durchhalten konnten, bis die Arbeiter aufgaben;

Die Führer, die die Regierung anflehten, keinen “Generalstreik” zu provozieren;

Die Führer, die inständig für Ruhe und Ordnung baten und dafür sorgten, dass der Lebensmittel- und Kohletransport reibungslos weiterfunktionierte.

Diese Führer beschweren sich nun lautstark, dass die Arbeiter – nachdem tausende von ihnen die Hoffnung aufgegeben haben –  endlich beginnen in Betracht zu ziehen die Minen zu überschwemmen. Aus revolutionärer Sicht ist dies die einzig richtige Methode. Wenn es den Arbeitern nicht möglich ist, die Betriebe zu besetzen, sollten sie vernichtet werden. […]

Auch in den Minen der Niederlande droht ein Arbeiterstreik […]. Es wird so bleiben, solange die Gewerkschaften der Minenarbeiter die Macht in ihren Händen haben. Eine Geschichte des Verrats und des Märtyrertums, wie heute in England und vor zwei Jahren mit den Textilarbeitern in Twente. Genossen, setzen wir alles daran, dass im Falle einer Handlung, diese eine revolutionäre Form annimmt. Verstärken wir unsere Bemühungen, damit sich die Arbeiter endlich den langen Streiks widerstreben. Unterstützt die Besetzung der Betriebe, ansonsten, macht Platz der Sabotage!»

Während des zweiten Jahres verschwindet Schuurman aus dem Redaktionskomitee (das anonym wird). Dennoch dauert die Zusammenarbeit mit De Moker noch bis 1927 an, als er sich vor allem in der internationalen Kampagne für Sacco und Vanzetti einsetzte. Wenig später verlässt er die Bewegung und zieht sich in sein Privatleben zurück [15]. Mit Die Arbeit ist ein Verbrechen hat er perfekt das zusammengefasst, was die Moker-Jugend in die Praxis umzusetzen versuchte, ihr Programm. Nach mündlicher Überlieferung bestand die Gruppe aus ungefähr fünfhundert Jungen und Mädchen (die deutlich in der Minderheit waren), aus dem ganzen Land, insbesondere dem Norden und dem Westen. Es gab keine führenden Personen, abgesehen davon, dass das Redaktionskomitee von De Moker den Inhalt der Zeitschrift festlegte. In zahlreichen Ausgaben findet man Listen mit nicht angenommen Artikeln und einer stark zusammengefassten Begründung wie: «unangemessen, Brief folgt», «sehr verwirrt, versuche dich auf einen Punkt zu fixieren», «zu lange», «schlecht verfasst», «widersprüchlich», usw.. Am vierteljährlichen Kongress wertete die Versammlung die Redaktion aus und ernannte unter Umständen neue Redakteure. Es existierte auch keine Mitgliederliste: Es reichte aus, auf irgendeine Art bei De Moker mitzuwirken. So steht in «einem zusammefassenden Bericht der vierteljährlichen Sitzung der “Mokers” vom 10.April 1927»:

«Im Vergleich von einigen Jahren können wir feststellen, dass sich die Kommunikation auf nationaler Ebene verbessert hat und dass sich die Jugendlichen der verschiedenen Landesteile untereinander besser kennenlernten. Ausserdem gibt es internationale Kontakte. Wir haben eine unabhängige Zeitschrift […] voller kleiner kräftiger Artikel, die von der Jugend selbst verfasst wurden. Ausserdem wird die Zeitung auch von den Jugendlichen selbst an die Menschen verteilt: Sie ist Ausdruck eines wunderschönen Aspekts des Kampfes.» [16]

Für viele Beteiligte bestand die Mitarbeit bei De Moker hauptsächlich darin, monatlich die drei- bis teilweise sogar viertausend Exemplare zu verteilen, was oft Auseinandersetzungen mit politischen Gegnern und der Polizei provozierte. Dies führte zu Verhaftungen, während die Zeitungen oft beschlagnahmt und die Redakteure mehrfach zu harten Strafen verurteilt wurden. Doch die Mokers sahen diese Repression als Propaganda für ihre Sache. Nach einer Reihe von Durchsuchungen, Verhaftungen von Mitarbeitern bis nach Anvers in Belgien, der Verurteilung eines Redakteurs zu zwei Monaten Gefängnis und den Schüssen, die von der Amsterdamer Polizei während einer Auseinandersetzung abgefeuert wurden, konnte De Moker folgendes behaupten:

«Somit wurde unser Moker die Zeitung, von der sich die Besitzenden und Chefs am meisten bedroht fühlen, weil wir die Jugend dazu auffordern, Menschen zu sein. […] Weil wir der Jugend bewusst machen, dass der Kapitalismus durch ihre Arbeit besteht und dass sie ihm deshalb ihre Arbeitskraft verweigern müssen. [….] Aus diesem Grund hetzt die Macht ihre blutrünstigen Hunde auf uns. In unserem grossartigen Kampf für die Vermenschlichung der Menschheit steht uns die Front der unerbittlichen Besitzenden und Chefs gegenüber.» [17]

In diesem Artikel, wie in vielen anderen, sieht man, wie die Ideen Bakunins hervordringen. Insbesondere jene aus Gott und der Staat, seines bekanntestes Buches, das auf Niederländisch mit der grössten Auflage erschien. In diesem Werk spricht er von der menschlichen Emanzipation gegenüber der religiösen Unter–würfigkeit – in der er die Ursprünge des tierischen Wesens im Menschen sieht – und von der «Aufgabe» des Menschen, immer menschlicher zu werden und gleichzeitig Gott und den Staat abzuschaffen. Auch für die Jugend von De Moker war die Freiheit die Essenz des Lebens. Ihre Kontrahenten innerhalb der Bewegung haben sie oft wegen ihres «extremen Subjektivismus», ihres risikohaften Verhaltens und dem, was sie «Märtyrerbereitschaft» nannten, verunglimpft, ungeachtet der Tatsache, dass von vielen der Arbeiter selbst der Alltag als «etwas Märtyrerhaftes» betrachtet wurde (und wird) – und dies nicht nur von denen, die die Arbeit als ein Verbrechen ansehen. Trotzdem heisst das nicht, dass die Mokers keine Versuche unternahmen, der unvermeidlichen Repression die Stirn zu bieten. Zum Beispiel machte man folgenden Vorschlag, um die Militärverweigerer zu schützen: “Wie in Amsterdam, wo das ganze Quartier sich auflehnt, wenn ein Arbeiter von der Polizei aus seiner Wohnung geworfen wird, genauso muss das Quartier protestieren, wenn ein Verweigerer von der Polizei aus seiner Wohnung geführt wird. Und wenn man versucht, ihn an seinem Arbeitsplatz zu verhaften, dann sollen sich seine Genossen solidarisch zeigen und die Arbeit niederlegen.» [18] In De Moker ermahnte man manchmal die Wildesten zu etwas mehr Vorsicht gegenüber den Polizeikräften. Gewisse Texte weisen darauf hin, dass eine Diskussion über die Guerilla-Methoden am Laufen war. Anfangs 1926, nach einem gescheiterten Versuch, sich mit den moderateren Mitgliedern des Verbands der freien Jugend zusammenzuschliessen, nahm das Redaktionskomitee als kollektive Unterschrift den Namen «Teun der Abbrucharbeiter, umherziehender Vertreiber von Dynamit und Brecheisen» an, wo die Artikel hingegen nur mit Initialen oder Fantasienamen wie «Rebell», «Jemand», «Rotznase» unterschrieben wurden. In diesem Zusammenhang muss man die relative Undurchdringlichkeit der Moker-Gruppe erkennen. Die Mitglieder der verschiedenen Gruppen kannten sich gut, trafen sich bei ihnen zu Hause, teilten alles und operierten in freundschaftlichen Banden. So bildeten sie eine Schranke gegen kleine Profiteure, die sich auf Kosten ihrer Genossen als Revolutionäre aufspielten, aber auch gegen Polizeispitzel.

 

Es ist klar, dass die Methoden der Jungen «Mokers» in erster Linie provokativ waren. Dasselbe gilt auch für ihre Moral, wie streng sie uns heute auch erscheinen mag. Jungen und Mädchen konnten frei miteinander verkehren, sie badeten nackt, sie tranken nicht und viele von ihnen waren Vegetarier, das Rauchen wurde nicht gern gesehen, genauso wie den moralisch ausschweifenden Lebenswandel. Sie vagabundierten, hatten Kontakte mit der deutschen Landstreicherbewegung und einige reisten ein bisschen überall in ganz Europa umher. Sie lehnten die Anfänge des spektakulären Genusses – den Fussball und das Kino – ab, da sie ihn mit «der Kirche und dem Bistro» gleichsetzten. Ein Redakteur, der mit seinem Vornamen Gerrit unterschreibt, erklärt sich dies folgendermassen:

«Die schädlichen Auswirkungen des Alkohols auf den menschlichen Körper sind ausreichend bekannt», dennoch «ist der Alkohol nicht die Ursache, sondern nur die Konsequenz von diesem ganzen Elend. Seht, wie nun der Schnaps vom “Sport” ersetzt wird. Wie sich die Menschen dem Schreien und  Gebrüll um das Fussballfeld hingeben, während sich die Arbeiterklasse immer mehr mit der Frage der Enthaltsamkeit beschäftigt. Und dies wird immer so sein. Jene, die sich die Passivität der Arbeiterklasse zu Nutzen machen, werden immer neue Methoden der Vergiftung finden. Solange ihr die Auswirkungen und nicht die Ursachen bekämpft, wird dies immer so sein. […] Oh, wir möchten all diesen Blauäugigen zurufen: “Hört auf euch gegen den Alkoholismus zu beschweren:” Kämpft nicht gegen den Exzess, sondern greift die Ursachen an. Kommt und “mokert” mit uns.» [19]

Es gab sogar solche, die so sehr «gegen das System» waren, dass sie auf die Sozialhilfe verzichteten, auf die sie ein «Recht» hatten. Und wenn viele unter ihnen trotzdem arbeiteten, um zu überleben, dann waren dies vor allem Gelegenheitsjobs, die ihnen keine Existenzsicherheit gaben. Für den Rest gaben sie sich der Zechprellerei hin, «singend und tanzend verdienten sie ihr Leben» – wie es ihnen die angepassten Kleinbürger vorwarfen: «Die falsche Ethik des Kapitalismus und den Respekt gegenüber dem Privateigentum haben wir verbannt. Nach den Bedürfnissen zu leben und die Besitzenden zu enteignen sind für uns vernünftige und moralische Lebensprinzipien.» [20] Von den Sabotageakten, die sie so lebhaft propagierten, sind mit Ausnahme von einigen breit angelegten Aktionen wenige Spuren zu finden. So erzählt ein Ex-Moker später, dass sie einen wichtigen Knoten des Elektrizitätsnetzes in Amsterdam sabotierten und zwar so gut, dass «es kein Licht mehr gab und die Fabriken nicht mehr funktionierten» [21]. Am 1. Juli 1924 erwähnte De Moker mit Zustimmung eine Explosion eines Pulverlagers, Brände in einem Hangar für Artillerie, in einem Gendarmeriegebäude und in einem Waffenlager. Als die Repression etwas später seine Mitarbeiter trifft, reagiert De Mokers mit Frechheit und zeigt sich glücklich darüber, dass die Presse Propaganda für ihre Ideen macht. [22] Trotz alldem blieb der Einsatz von Sprengstoff in Holland eine Seltenheit.

 

Wie es in ihrer Grundsatzerklärung erwähnt wird, ist das Schulsystem eines ihrer Ziele. «Alle Schulen müssen in Brand gesteckt werden», schreibt Jacob Knap in De Moker: «Das Schulsystem macht aus den Kindern feige, schlaffe Menschen ohne Bewusstsein, die sich so sehr daran gewöhnen, herumkommandiert zu werden, dass sie die Demütigung nicht mehr erkennen. […] Die Emanzipation wird erst dann erreicht, wenn die Proletarier ihre Führer fortjagen und von sich selbst aus agieren.» [23] Trotzdem waren die Leute der Moker-Gruppe nicht nur «Aktivisten», generell gesehen waren sie Wissbegierige. Die gebildeten unter ihnen – oft Lehrer, die aufgrund ihrer Vorstrafen keine Anstellung mehr fanden oder aus Prinzip nicht im Schulsystem arbeiten wollten – halfen den anderen. Sie lasen die «Klassiker» – zumindest die wenigen Bücher, die auf Niederländisch oder im Notfall auf Deutsch übersetzt waren. Sie machten Musik, organisierten Sprachkurse (unter anderem Esperanto), Zeichnungskurse und Kurse für andere grafische Techniken und schenkten der Form ihrer Publikationen grosse Wichtigkeit. Sie organisierten auch Konferenzen und Debatten, die viele Menschen anzogen und oft sehr hitzig waren. Zusammen mit De Moker verteilten sie auch Alarm und andere libertäre Zeitschriften, sowie dutzende Broschüren und Büchlein über die antimilitaristische, anarchistische und proletarische Bewegung. Neben den vierteljährlichen Kongressen, die sie zusammen mit anderen Gruppierungen des Verbands der freien Jugend durchführten, organisierten sie jährlich während den Pfingstferien libertäre antikapitalistische und vor allem antimilitaristische «Mobilisierungen». So berichtet De Moker am 10. Juli 1926 über «die dritte Pfingstmobilisierung der antimilitaristischen Jugend» in Soest: Die Polizei und die Armee patrouillieren, an den Landesgrenzen wird versucht, die ausländischen Genossen zu blockieren. Unter ihnen dreihundert Holländer, zweihundert Deutsche, und andere aus Belgien, der Schweiz, Österreich, England und Frankreich. In Frankreich werden unermüdliche Anstrengungen für die Agitation gegen den Krieg in Marokko und Syrien gemacht. Dort ist es sehr schwierig Propaganda zu machen: Für das Aufhängen von Plakaten drohen sechs, acht oder mehr Monate Gefängnis. Die Militärverweigerung ist in Frankreich praktisch unmöglich. Ein Verweigerer wird jedes Mal zu fünf Jahren Knast verurteilt, bis er das Alter von achtundvierzig Jahren erreicht hat.» (Und heute noch, während die in Holland sowie überall hart «erkämpften Rechte» schnell wieder abgeschafft wurden, können die lokalen Unterdrücker mit ihrer Milde verglichen mit ihren Kollegen aus den Nachbarländern prahlen.)

 

Kurz vor seinem plötzlichen Tod, drückte Klaas Blauw mit bitteren Worten die Frustration und die Motivation, dieser Aufgebrachten (ohne Revolution) aus:

 

«Fast alles, was man heutzutage Arbeit nennt, zerstört unsere Körper […]. Die Menschen zerstören ihre Körper mit der schlechten Nahrung, die sie selbst produzieren. Sie zerstören ihre Köpfe mit Worten und Ideen, die sie auf sich nehmen, um sich mit ihrer Existenz abzufinden. Falls dies nicht ausreicht, gibt es den Alkohol, Morphium, Fussball, Kino und Frauen, um das Elend zu vergessen und die Religion, um von einem kommenden Glück zu träumen. […] Und wir? Wir wollen, so lange wie möglich, einen lebenden Körper, Gesundheit, Kraft  und ein denkendes Gehirn, wir wollen kreieren und geniessen. Wir wollen unseres und alles Leben geniessen […] Wir haben Ideen, doch wir können sie nicht in die Realität umsetzen. Wir träumen von guten und schönen Sachen, doch erlaubt die Gesellschaft nicht, dass wir sie zum Ausdruck bringen und sie physisch greifbar machen. […]

Der Staat hält uns in seinem Netz der Gesetze gefangen, mit geschriebenen und ungeschriebenen Regeln und Vorschriften. Wenn wir trotz allem unseren Trieb nicht beherrschen können und wir etwas tun wollen, dann können wir unserem “jugendlichen Leichtsinn” freien Lauf lassen auf den eintönigen Mauern der Gefängnisse, als durchnummerierte Gauner. Unsere Herzen glühen vor wildem Hass gegen diese Gesellschaft, die das mit uns macht, die uns zwingt, uns durch die Arbeit selbst zu vergewaltigen oder dem Nichtstun zu erliegen. Aber wir erheben uns und unterliegen nicht.

Wir nutzen unsere Kräfte, wir werden SCHWITZEN und SCHUFTEN. Aber unsere einzige Arbeit ist die Beseitigung einer lukrativen Organisation, die sich kapitalistische Gesellschaft nennt. Es ist die einzige Arbeit, die uns jetzt gefällt, denn so befreien wir die Erde. Sie befriedigt uns nicht, wir müssen das Neue erschaffen können, das nicht wie das Alte erstarrt, sondern sich bewegendes Leben sein soll. Aber vorher… können wir nicht anders.

Kapitalist nimm dich in Acht, ob klein, gross, ganz oder halb. Arbeiter nimm dich in Acht, wenn du gegen uns bist und für deinen Chef kämpfst oder du selbst nach der Macht strebst. Nehmt euch in Acht, denn derselbe makabre Tanz wird euch mitreissen. Wir beseitigen euren Staat mit Hammerschlägen – und eure Köpfe werden folgen. Denn ihr seid die Feinde des Lebens, solange ihr nicht mit uns kämpft.» [24]

Auszüge aus Herman J. Schuurmans, Arbeit ist ein Verbrechen und Els van Daeles, Die Gruppe «De Moker», Die rebellische Jugend in der holländischen libertären Bewegung der wilden Zwanziger, Editions Antisociales, Amsterdam-Paris, 2008

 

Anmerkungen
1 – Ein moker (im Fachjargon auch vuist, «Faust» genannt) ist eine Art kleiner Hammer (vgl. Moker-Logo).
2 – Die erste niederländische Übersetzung der bekannten Broschüre von Lafargue. Sie wurde von J. de Wachter erstellt und erschien im Jahr 1916.
3 – J. Verhave, «Het moet!» («Man muss»), De Moker Nr. 4, 10. Februar 1924.
4 – Fike van der Burght, Die moker en alarmgroepen bestonden niet om te bestaan als groep: sociaal anarchistiese jeugdbeweging in Nederland 1918-1928 [Die Gruppen De Moker und Alarm existierten nicht um als Gruppe zu existieren: Die Bewegung der sozial-anarchistischen Jugend in den Niederlanden von 1918 bis 1928], Amsterdam, 1982, S. 44. Zahlreiche Informationen in diesem Text stammen aus dem genannten Buch und aus dem Werk von Ger Harmsen, Blauwe en rode jeugd. Ontstaan, ontwikkeling en teruggang van de Nederlandse jeugdbeweging tussen 1853 en 1940 [Blaue und rote Jugend. Entstehung, Entwicklung und Rückgang der Jugendbewegung in den Niederlanden von 1853 bis 1940], Nijmegen, 1975.
5 – A. J. Jansma, «Luiheid en kapitalisme» [«Faulheit und Kapitalismus»], Alarm. Anarchistisch maandblad, nr. 6, 1922.
6 – Fike van der Burgh, vgl., S. 35
7 – Meldung zur Erscheinung von De Moker von Jo de Haas, in Alarm, im Januar 1924.
8 – Der niederländische Staat, der 1799 das Prädationsrecht auf dem indonesischen Archipel erbte, das bis anhin von den holländischen Kompanien des oriantalischen Indiens gehalten wurde, sieht sich ein Jahrhundert später in der Epoche des «Imperialismus»  gezwungen, sein Monopol gegen die schonungslose Gier der neuen Konkurrenten in der Plünderung zu verteidigen und unternahm als Reaktion eine unheilsverkündende «Befriedung» des «Ceinture d’émeraude», um sich dort definitiv seine Macht zu sichern und daraus grösseren Profit zu ziehen. Im Rahmen mehrerer militärischer Kampagnen, in welchen man mit äusserster Grausamkeit dem heftigen Widerstand der indigenen Bevölkerung entgegnete, löste die holländische Armee schliesslich die noch immer intakten feudalen Beziehungen mit diversen  Fürstentümern und Sultaneien auf, die die abolute Unterwerfung nicht garantieren konnten, und führte dort den modernen Kapitalismus und seine industrielle Ausbeutung des Grundes und des Untergrundes ein, mit seinen Erdölfeldern, seinen riesigen Minen und Plantagen, was eine Verlagerung des Proletariats auf die indonesischen Inseln, auf das asiatische Festland sowie nach Afrika mit sich brachte. Die regelmässige Aufdeckung der von der Armee und den Kolonien verübten Grausamkeiten, betrübte gewiss das öffentliche Bild von Holland, führten manchmal zu parlamentarischem Disput, doch nur die Anarchisten und, etwas später, die üblichen trotzkistischen Kommunisten aus Seevliet (Gründer der Partai Komunis Indonesia im Jahr 1914) und Rätekommunisten, bezogen entschlossen für den indonesischen Widerstand Stellung. Die Antimilitaristen stellten sich vor allem gegen «Das Senden junger Holländer zur Sicherung der Profite der orientalischen Bourgeoisie». Jene, die sich um Alarm und De Moker sammelten, präzisierten ihre Position, indem sie deklarierten «Die Indonesier vom Kapitalismus und somit von Holland befreien zu wollen»; und sie bekräftigten, dass der beste Unterstützungsbeitrag für die Indonesier in ihrem Befreiungskampf, sowie das beste Mittel um die nationalistische Sache von der Sache des internationalistischen Proletarischen überwunden zu sehen, das Untergraben der Wurzeln des Imperialismus in den Metropolen selbst ist: Das Untergraben des Kapitalismus.
9 – Holland war während des ersten Weltkriegs offiziell «neutral» und blieb es bis zur Invasion der Deutschen im Mai 1940.
10 – Nach Anton Constandse, Mitbegründer und Redakteur von Alarm, «fand eine Annäherung statt, zwischen den Rätekommunisten, die die Kommunistische Partei verliessen (wie Leen van der Linde, Piet Kooijman, Wim Hoeders) und anarchistischen Gruppen wie den Alarmisten, die einige radikale marxistische Konzepte über die Ökonomie übernahmen, die auch die des Syndikalisten Georges Sorel waren. Während der Zeit, als man sie zu den Anarchosyndikalisten zählen konnte, sahen auch sie in dieser Bewegung einen Ausdruck des Klassenkampfes, der ohne Umschweife zu allernächst auf die Betriebe abzielte. Die Idee der Betriebsbesetzungen war eine Form der «Diktatur des Proletariats», und also eben gerade nicht jene einer «Diktatur der Partei». Der übliche Anarchist der Alarmisten blieb von den Verbindungen mit den Rätekommunisten geprägt.» (De Alarmisten, 1918-1933, Amsterdam, 1975.)
11 – Ein Zitat von Leen van der Linde in P. A. Kooijmans, Neem en eet. Bomaanslag en opruiing als sociale filosofie [Nimm und iss. Bombenattentat und Anstiftung von Revolte als soziale Philosophie], «Manifesten», L. J. C. Boucher, La Haye, ohne Datum (um die 1970er Jahre), S. 18-19. In dem anderen Abschnitt erklären sich die Urheber des Attentats schriftlich in P. A. Kooijman, L. v. d. Linde und Jo de Haas’s, De Revolutionnaire Daad, Uitgave: Agitatie-Commissie: Weg met de Partijen, de Vakorganisaties en de Bonzen [Die revolutionäre Tat, Ausgabe: Agitations-Kommission: Nieder mit den Parteien, den syndikalistischen Organisationen und den Bonzen], 1922. Anton Constandse merkte ausserdem an, das zwei der Attentäter aus dissidenten marxistischen Gruppen kamen. «Es war zu der Zeit bereits zu bemerken, das die sozial-Anarchisten gelegentlich mit Marxisten zusammenarbeiteten, denen die Rätekommunistischen Prinzipien zusagten. Sie fanden sich gegenseitig wieder in der Verteidigung des Aufstands von Kronstadt von 1921.» (Dr. A. I., Constandse, Anarchisme von de daad von 1848 tot heden [Die Anarchisten und die Propaganda der Tat von 1848 bis heute], La Haye, 1970, S. 178.). Um die Bewegung zu beschleunigen zu versuchen, stellten sie sich vor, den Bürgermeister von Amsterdam zu kidnappen und ihm jegliche Nahrung zu verweigern, bis Groenendaal befreit sei… Man plante auch ein Attentat auf einen Werftbesitzer zu begehen, der für das Aussperren der Metallarbeiter, die keine gute Leistung mehr erbringen konnten, verantwortlich war; aber all dies bestätigte, dass ihr Hauptantrieb nicht die Solidarität mit Groenendaal war oder die antimilitaristische Sache, sondern eher ihr «zerstörerisches Verlangen» gegenüber dem gesamten kapitalistischen System.
12 – Diese Deklaration wurde in jeder Ausgabe von De Moker abgedruckt. Die gemässigteren Mitglieder des Verbands der freien Jugend regruppierten sich um das Periodika De Kreet der Jongeren [Der Schrei der Jungendlichen], und etwas später, De Branding [Die Brandung]. Es existierte auch ein internes Blatt des Verbands, das beide Tendenzen abdeckte, namens De Pook [der Schürhaken]
13 – De Moker, nr. 11, 1. Oktober 1924.
14 – Siehe Illustration auf S. 66, Darstellung des Deckblats von De Moker, nr. 12, 1. Novembre 1924.
15 – Es gab Konflikte und Streitereien zwischen den Leuten, kleine Machtspielchen, Gerüchte, etc., doch das ist mit dem bisschen Geschichte, die man kennt, und aufgrund mangelnder Dokumente schwierig zu beurteilen und wenig interessant.
16 – De Moker, nr. 30, Mai 1927.
17 – Herman Schuurman, «De Bloedhonden zijn los» [«Die Bluthunde sind los»], De Moker, nr. 12, 1. November 1924.
18 – Rinus van de Brink, «Niet in de kazerne – Niet in de gevangenis» [«Weder in der Kaserne noch im Gefängnis»], De Moker, nr. 11, 1. Oktober 1924.
19 – «Jeugd en alcohol zijn vijanden» [«die Jugend und der Alkohol sind einander Feinde»], De Moker, nr. 8, 1. Julli 1924.
20 – De Moker, nr. 9, 1. August 1924.
21 – Zitiert aus Fike van der Burghts, Die moker en alarmgroepen bestonden niet om te bestaan als groep, S. 27. Sie betonte auch, dass «es schwierig ist auszumachen, in welchem Ausmass man die Sabotage von Betrieben, Fabriken und Ateliers wirklich in die Praxis umsetzte. Diese Sachen schrieb man nicht nieder, das war zu riskant». Die Sabotage zielte ausserdem praktisch immer auf Gebäude oder Militärische Einrichtungen ab.
22 – Herman Schuurman, «Wie zijn de brandstichters?» [«Wer sind die Brandstifter?»], De Moker, nr. 15, 1. Februar 1925.
23 – Jac. Knap, «School- en Partijgif» [« Das Gift der Schule und der Partei»], De Moker, nr. 5, 1. März 1924.
24 – «Daad-loos» [«Tatenlos»], De Moker, nr. 4, 10. Februar 1924.